»Wir werden immer jünger«

Weniger Fußnoten, mehr Auflage: Die linke Zeitung »Analyse & Kritik« wird 50. Ein Gespräch mit Co-Geschäftsführer Jan Ole Arps

»Analyse & Kritik« wird 50. Sie sind Redakteur und Co-Geschäftsführer und sieben Jahre jünger. Wissen Sie noch, wann Ihnen die Zeitung zum ersten Mal begegnet ist?

Ungefähr 2001. Ich war in eine linke WG gezogen, die ein Abo hatte. 2003 machte ich dann ein Praktikum bei »ak«. Ich bin also vom Praktikanten zum Geschäftsführer aufgestiegen - ganz klassisch der American Dream.

Vom "Arbeiterkampf" zu "ak"

Jan Ole Arps ist Redakteur und Co-Geschäftsführer der linken Monatszeitung »Analyse & Kritik« (»ak«), die in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag feiert. Die meisten sagen der »ak«, denn früher war dies - groß geschrieben -  die Abkürzung für »Arbeiterkampf«.

Es war die Zeitung des Kommunistischen Bundes (KB), ebenfalls 1971 in Hamburg gegründet. Unter den westdeutschen K-Gruppen war der KB am wenigsten dogmatisch, ein »Trüffelschwein«, wie ihn Georg Fülberth nannte: Stets auf der Suche nach Möglichkeiten der politischen Einflussnahme – in der Ökologie-, Friedens-, Frauenbewegung. Das wurde in der Zeitung offen diskutiert, was sie zu einem sehr interessanten Produkt machte, zu einer Art »Spiegel« der Linksradikalen. Deshalb hat die Zeitung die Auflösung des KB 1991 überstanden, ohne zu einem Nostalgieheft zu werden. Ganz im Gegenteil: Die Zeitung hat sich verändert, verjüngt und verflottet, aber nicht verdummt. Zum Glück!

Und die Auflage steigt auch - traumhaft.

Total. Wir sind jetzt bei 6500 Exemplaren. Als ich mein Praktikum machte, war sie bei gut 2500.

Wie erklären Sie diese linke Erfolgsgeschichte?

Ich glaube, dass »ak« in den 2000ern der Anschluss an eine jüngere linke Generation geglückt ist. »ak« hat sich damals an die Mobilisierungen gegen die Gipfel und an die globalisierungskritische Bewegung drangehängt, darüber berichtet und sie diskutiert.

War die Zeitung nicht auch Teil der Interventionistischen Linken?

Ja, beim Prozess, aus dem die IL entstand, waren wir dabei. Aber den Schritt zur Organisation ist »ak« nicht mehr mitgegangen, das machte als Zeitung keinen Sinn. Wir haben uns thematisch verbreitert und vor zehn Jahren unser Layout reformiert. Wir haben auch recht früh viel auf Social Media gemacht, das ist dann wohl durchgesickert zu anderen Lesegenerationen. Und zu den heutigen Redakteur*innen, die ebenfalls immer jünger wurden. (lacht)

Gefällt Ihnen eigentlich der Titel?

»Analyse & Kritik«? Nein, den finde ich schrecklich. Abgekürzt als »ak« geht er gerade so.

Der alte Titel »Arbeiterkampf« war auf jeden Fall beeindruckender. Früher noch mit Arbeiterfaust versehen, in der ein Schraubenschlüssel steckte. Damals, als das die Zeitung des KB war.

Ja, da hieß er sogar eine Weile »Arbeiterkampf - Arbeiterzeitung des Kommunistischen Bundes«.

Das war mehr Anspruch als Realität in den 70er Jahren der westdeutschen ML-Gruppen.

Naja, aus dem KB waren damals tatsächlich viele in Betrieben. Viele Mitglieder brachen ihr Studium ab und gingen in die Fabrik. Aber da haben sie nicht unbedingt die Zeitungen verkauft. Die Idee war, soweit ich weiß, dass die Arbeiterklasse sich politisieren und auch breiter politisch äußern werde. Die Leute, die das interessierte, sollten den »AK« dann auch lesen. Die Erwartung war aber wohl nicht, dass man sich in die Fabrik reinstellt und schon reißen einem die Arbeiter*innen diese 50-Seiten-Zeitung aus der Hand.

Ab wann wurde »ak« kleingeschrieben?

Seit 1988. Da gab es ein neues Logo und der Schraubenschlüssel fiel weg. Darüber hatten die im KB aber schon ab 1980 geredet, weil man keinen Etikettenschwindel betreiben wollte.

Wann war denn klar, dass es nicht so schnell geht mit der proletarischen Revolution?

Nach 1973, als der wilde Streik bei Ford in Köln gescheitert war, ließ das Interesse vieler Linker an der Arbeiterklasse nach. Vom KB waren bis Mitte der 70er mehrere Hundert Mitglieder wegen Radikalismus aus der Gewerkschaft ausgeschlossen worden und dadurch auch aus ihren Betrieben geflogen.

Der KB hat sich dann mehr für die Neuen Sozialen Bewegungen interessiert, besonders für die Anti-AKW-Proteste.

Und für die Frauen- und die Lesben- und Schwulenbewegung.

Und dann kam die Grüne Partei, um die sich gekümmert werden musste.

Ja, anfangs hat der KB noch versucht, mit den »Bunten Listen« eine linksradikale Alternative an den Start zu bringen.

Dafür hat er sich 1979 sogar gespalten.

Ja, davon hat sich die Organisation nie wieder richtig erholt, sagen alte Genoss*innen. Das sei der schlimmste Bruch gewesen, schlimmer als 1989.

Und trotzdem haben die beiden Seiten dann doch wieder zur linken Beeinflussung der Grünen zusammengearbeitet. So wie später auch der »ak« weiterexistierte, als sich der KB 1989 über die Bewertung des Zusammenbruchs des Realsozialismus derartig zerstritt, dass er sich auflösen musste. Ist diese Zeitung besonders konstruktiv?

Sie ist vor allem sehr diskussionsfreudig.

Woran liegt das?

Das gab es schon beim KB. Als Ausgleich zur mangelnden Demokratie in der Organisation, die Führung wurde ja nicht gewählt, gab es viel Diskussion in der Zeitung. Dass sich die verschiedenen Positionen so gefetzt haben, war das Markenzeichen. Mit den vielen Spaltungen kommt mir der KB schon fast vor wie die Trotzkisten unter den ML-lern.

Der KB hatte kein Programm, aber eine Zeitung, bei der alle mitmachten. Eigentlich war das eine Zeitungsorganisation.

Kann man so sagen. Der Zeitung hat es auf jeden Fall gutgetan.

Alte Genoss*innen gibt es heute nicht mehr?

Doch, im Layout. In der Redaktion hat im Sommer 2020 der letzte Redakteur, der noch im KB war, aufgehört.

Und die heutigen Redakteur*innen kommen woher?

Von der Uni, aus postautonomen und linksradikalen Gruppen. Aus der Antira- und feministischen Bewegung, die aber nicht unbedingt mit irgendwelchen Organisationen verbunden waren. Zwei waren auch mal beim »nd«: Nelli Tügel und Guido Speckmann. Wir haben uns wirklich um eine Verjüngung bemüht. Ich bin jetzt 12 Jahre dabei und schon der Dienstälteste in der Redaktion. Der Zweitdienstälteste ist seit fünf Jahren dabei.

Wie sehen die heutigen Redakteur*innen die Geschichte des »ak«?

Es gibt teilweise gar nicht so viel Wissen darüber, weil das auch nicht vermittelt wird beziehungsweise für uns keine große Rolle mehr spielt. Ist ja eigentlich auch eine komplett andere Sache. Ich würde das Verhältnis zur KB-Zeit als neugierig-fasziniert sympathisierend beschreiben.

Wie viele Leute sind das heute insgesamt?

Layout, Geschäftsführung, Redaktion und Vertrieb... das sind etwa 14 Leute.

Auf vollen Stellen?

Nee, auf halben.

Wer beim »ak« arbeiten will, braucht also noch einen Zweitjob.

Klar, wir alle haben noch andere Jobs. Ein Redakteur, der nicht mehr dabei ist, war zum Beispiel lange nebenbei als Postbote unterwegs - die perfekte Kombination.

In welchem Zustand sind die Computer?

Die sind glaube ich okay. Zumindest die für das Layout. Wir Redakteur*innen bringen eh immer unsere eigenen Laptops mit.

Weil die Reaktion nicht komplett in Hamburg sitzt.

Ja, wir kommen aus verschiedenen Städten, die meisten aus Berlin und Hamburg. Und einmal im Monat basteln wir in der »ak«-Produktionswoche die Zeitung fertig.

Früher gab es in der Zeitung Artikel als sehr lange Abhandlungen, mit Fußnoten.

Die finde ich immer noch richtig geil.

Es war eine Art Flugblatt-Layout. Heute sind die Fotos farbig und die Artikel kürzer.

Ja, aber Fußnoten gibt es immer noch. Aber wir versuchen, weniger davon auftauchen zu lassen. Meistens sind es ja nur Links zu irgendwelchen Quellen. Auf der neuen Website kann man sie auch direkt verlinken praktischerweise. Das konnten wir bis vor anderthalb Jahren nicht. (lacht)

Die Website wurde auch relauncht?

Ja, letztes Jahr im Frühjahr.

Gibt es auch Website-Verantwortliche?

Wir versuchen so was wie eine Onlineredaktion zu entwickeln. Rotierend aus der Printredaktion. Wir experimentieren da noch etwas.

Das läuft dann auf das alte Prinzip linker Projekte raus: alle können alles. Egal ob Print oder Web.

Und angeblich auch noch Bild, denn wir haben ja keine Bildredaktion. Was man leider auch sieht. Hauptsächlich Demobilder oder irgendwas, was man bei Wikipedia findet.

Etwas monoton vielleicht.

Das liegt eben daran, dass wir alle Allrounder sind.

Und so eine »ak«-Produktionswoche ist immer eine große Anstrengung?

Eine sehr große.

Woran liegt das? Theoretisch weiß man doch, wie es geht.

Die üblichen Krisen: Die Arbeit an Texten dauert länger als gedacht oder sie werden zu spät geschrieben oder es bricht was weg - was machen wir jetzt? Und die ganzen Sachen, die wir besprechen müssen, wir sind ja ein Kollektiv, wo alles besprochen werden muss. Das ist sauviel Arbeit. Ich weiß auch nicht, es zieht sich einfach.

Kommt die Zeitung immer zum selben Tag raus?

Ja. Am dritten Dienstag im Monat.

Früher war der Anspruch, dass alle KB-Mitglieder die Zeitung verkaufen. Die standen dann auf Demos oder linken Veranstaltungen mit dem »AK« rum, als wäre es der »Wachtturm«. Man konnte der Zeitung nicht entrinnen.

So muss es gewesen sein. Ich bin traurig, dass ich es nicht mehr miterlebt habe. Heute laufen 90 Prozent unserer Einnahmen über Abos. Und der Rest über die linken Buchläden, die es noch gibt und ein bisschen Bahnhofsbuchhandel.

Wo wird »ak« am meisten gelesen?

In Berlin. Und dann in Hamburg, Leipzig, Frankfurt und vielleicht auch noch Wien.

Und wie sieht’s aus im Osten?

Bei meinem Praktikum gab es quasi keine Oststädte außer Berlin. Jetzt gibt es nicht nur Leipzig, es gibt auch in Dresden, Jena, Erfurt, Halle oder Magdeburg Abonnentennester. (lacht)

Für ein echtes Printprodukt.

Ja, man kann uns aber auch auf dem Smartphone lesen. Gerade bei Jüngeren frage ich mich, warum die noch eine Printzeitung abonnieren. Machen die aber.

Warum war der KB undogmatischer als andere K-Gruppen?

Letztlich aus Pessimismus. Man befürchtete die Faschisierung der Verhältnisse und wollte dagegen breite Bündnisse schmieden.

Das pathetische Wort war damals Kommunismus. Ist das denn heute auch noch so wichtig im »ak«?

Ich habe das Gefühl, es geht den Leuten wieder leichter über die Lippen.

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