Der Mythos des Krieges

Christoph Bangert zieht mit dem letzten Band seiner Fotobuch-Trilogie »Rumors of War« ein Resümee seiner Arbeit als Kriegsfotograf

In Michael Hanekes Film »Code Unbekannt« von 2000 gibt es die Figur des Fotografen Georges, der als Kriegsberichterstatter die Krisenschauplätze der Welt bereist und jedes Mal selbst die Krise kriegt, wenn er zurück im zivilen Leben mit den Banalitäten umgehen soll, die das Leben in der Pariser Mittelschicht so bereithält. Zwar plagen ihn (Selbst-)Zweifel an der Sinnhaftigkeit seines beruflichen Tuns, aber die unerträgliche vermeintliche Belanglosigkeit und Kleingeistigkeit des zivilen Alltags lässt ihn dann doch jedes Mal schnell wieder die Flucht in den nächsten bewaffneten Konflikt ergreifen.

Freilich ist das Stereotyp des rastlosen Kriegskorrespondenten, für den Krieg längst eine Droge ist, heute ein fester Topos in der Populärkultur, jedoch einer mit realem Hintergrund. Der deutsche Fotograf Christoph Bangert zumindest scheint dem Bild lange entsprochen zu haben. Er selbst schreibt im Vorwort zu seinem jüngsten Bildband »Rumors of War« davon, dass er den Krieg durchaus vermisst: »Nichts ist so roh und ursprünglich, nichts fühlt sich so echt an wie der Krieg«, lautet sein erster Satz.

Geboren 1978, hat Bangert an der Fachhochschule Dortmund sowie am International Center for Photography in New York studiert und im Auftrag unter anderem der »New York Times« lange verschiedene Kriegsschauplätze bereist. Vor einigen Jahren hängte er seinen Job als Kriegsreporter an den Nagel und lehrt heute Fotografie an der Hochschule Hannover. Über seine Arbeit hat er schon länger intensiv nachgedacht - »Rumors of War« ist der letzte Band seiner Fotobuchtrilogie, die er 2014 mit »War Porn« begann (siehe »nd«, 22.9.14). Darin versammelte Bangert all die ungedruckten - und eigentlich undruckbaren - Bilder aus seinem Archiv und ging damit auf Konfrontationskurs zu den Medien und den Rezipienten seiner Bilder. Im Einleitungstext beklagte er die Heuchelei der »verweichlichten Erste-Welt-Jammerlappen«, die die wirklich drastischen Bilder aus den diversen Kriegen nicht gedruckt sehen wollten. Damit würden Konsumenten und Leser die Augen verschließen vor den Gräueln des Krieges und quasi mitschuldig werden.

Bangerts Anspruch, uns aus unserer vermeintlichen Lethargie zu reißen, ging auf, und das Buch wurde in der Medienszene viel diskutiert. Im zweiten Band »Hello Camel« (»nd«, 3.8.16) ging es Bangert um die absurden Seiten des Krieges. Wieder öffnete er sein Archiv, um Aufnahmen zu präsentieren, die das »Making Of« des Krieges zeigen, keine Kriegshandlungen, sondern das Drumherum mitsamt seiner banalen Alltäglichkeit. Im Vorwort belehrte er den Betrachter, dass Krieg - natürlich - nichts Spaßiges sei und um jeden Preis vermieden werden müsse. Um jeden Preis! Und dennoch: Nie habe er so viel gelacht wie im Krieg. Nie zuvor und danach habe er etwas so Absurdes und Merkwürdiges wie einen bewaffneten Konflikt erlebt. Bilder wie jenes eines nach deutscher DIN-Norm gezimmerten Feldklosetts mitten in der afghanischen Wüste waren einerseits wirklich komisch, ein befreiendes Lachen wollte sich dennoch nicht recht einstellen.

Ihren Abschluss findet die Trilogie nun mit »Rumors of War«. Mit diesem sehr persönlichen Buch in Tagebuchform verabschiedet sich der Fotograf endgültig vom Krieg. Man könnte auch sagen, er ist der Droge entkommen. Freimütig konzediert er zu Beginn, dass ihn Abenteuerlust, die Intensität und Einfachheit des Lebens im Krieg lange in ihren Bann gezogen haben. Aber diese rohe Unmittelbarkeit des Krieges fordere eben auch ihren Preis, sodass am Ende jeder ausgebrannt sei, der die Zeichen übersieht. Freilich besteht die Möglichkeit des Rückzugs nur für Beobachter wie ihn, denn diese Option bleibt den Opfern und den wirklich im Krieg lebenden Menschen versperrt.

Bangerts letzter Einsatz als Fotograf für die »New York Times« 2013 in Afghanistan bildet die Grundlage des Buches. Unterstützt von einer kleinen Sofortbildkamera führt er während des knapp dreimonatigen Einsatzes Tagebuch und lässt den Leser und Betrachter teilhaben am strapaziösen Alltag eines

Kriegskorrespondenten. Aus unzähligen Bruchstücken - neben handschriftlichen Notizen (da diese einen erheblichen Teil des Buches ausmachen, ist es ein großes Manko, dass Bangerts Handschrift kaum zu entziffern ist), Faksimiles von Bordkarten, Geldscheinen und Kontaktbögen, Zeitungsausrisse, Schnappschüsse seiner Mitarbeiter oder privater Momente, Kopien irgendwelcher Unterlagen etc. pp. - ergibt sich ein Konvolut an Assoziationen, das den Einsatz in einem zerrütteten Land wie Afghanistan hautnah erfahrbar machen soll. Unterbrochen werden die Fragmente des Korrespondentenalltags von »richtigen«, journalistischen Fotos, die seine Arbeit als Kriegsfotograf zeigen. Das sind ausdrucksstarke Momente des scheinbar endlosen Konfliktes, die veranschaulichen, warum Bangert all die Jahre gut im Geschäft war.

Aus diesem hat er sich nun zurückgezogen. Um die tieferen Gründe nachvollziehbar zu machen, zitiert er ausführlich den amerikanischen Journalisten und Pulitzerpreisträger Chris Hedges. In seinem Buch »War Is a Force that Gives Us Meaning« von 2014 konfrontiert uns Hedges, der 15 Jahre für die »New York Times« als Kriegsberichterstatter tätig war, mit einer aus seinen Erfahrungen gespeisten Phänomenologie des Krieges.

Hedges’ Analyse des Krieges als Droge, die die Wahrnehmung verzerrt und eine Art Sucht verursachen kann, ist eindringlich und aktuell wie eh und je. Passagen wie die folgende haben Bangerts eigene Auseinandersetzung mit seiner Arbeit gewiss entscheidend geprägt: »Die anhaltende Attraktivität des Krieges ist diese: Trotz der Zerstörungen und des blutigen Gemetzels kann Krieg uns geben, wonach wir uns im Leben sehnen; er gibt unserem Leben einen Zweck, verleiht Sinn und Bedeutung. Erst im Angesicht eines bewaffneten Konflikts tritt die Oberflächlichkeit und innere Leere eines Großteils unseres Lebens deutlich zutage. Trivialitäten dominieren unsere Gespräche und zunehmend auch den Äther. Da ist Krieg ein verlockendes Elixier; er verleiht uns Entschlossenheit und einen tieferen Bedeutungszusammenhang« (Original in Englisch, Übersetzung F. S.). Was beim ersten Lesen bizarr klingt - warum sollten wir verwöhnten Erste-Welt-Bewohner Krieg für sinnstiftend halten? -, erschließt sich, wenn Hedges seinen Gedanken weiterspinnt: »Und diejenigen, deren Leben eine scheinbar geringere Bedeutung haben, die verarmten Flüchtlinge in Gaza, die rechtlosen nordafrikanischen Immigranten in Frankreich, sogar die Legionen junger Menschen, die in der herrlichen Trägheit und Sicherheit der industrialisierten Welt leben, sind anfällig für die Anziehungskraft des Krieges.«

Freilich vergisst Hedges nicht zu schildern, wie der Mythos des Krieges allzu schnell seinen Reiz für jene verliert, die letztlich in die Schlacht ziehen müssen und gelähmt vor Angst weinen, sich übergeben und letzte Briefe an die Lieben daheim schreiben. Im Weiteren legt er dar, wie Krieg als Mythos konstruiert wird, welche Rolle Ideologie, Nationalismus und Rassismus spielen. Der Mythos des Krieges werde unter anderem auch durch die Presse befeuert - hier kommt Bangert wieder ins Spiel -, der Hedges eine Mitschuld an der Verbreitung der Legende vom heroischen oder gerechten Krieg gibt. Kriegsberichterstattung, die nationale Stereotype befördert oder Heldentaten in den Mittelpunkt stellt, verkaufe sich nun einmal besser und steigere die Klickzahlen.

Aus diesem Dilemma hat sich Bangert befreit und ist nach seinem letzten Einsatz in Afghanistan nach Hause zu seiner Familie zurückgekehrt, in der er Erlösung von seinen Albträumen zu finden hofft. Es wird ein Kampf sein, schreibt er am Ende, Frieden zu finden, und ihn wahrscheinlich den Rest seines Lebens beschäftigen. Eines aber sei sicher: »Ich werde niemals wieder in den Krieg ziehen.«

Christoph Bangert: Rumors of War. Kehrer Verlag 2021, 240 Seiten, 35 €.

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