Mit Atomkraft zurück in die Zukunft

Russlands Atomlobbyisten spüren globalen Auftrieb - im Namen des Umweltschutzes

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Im Abschlussdokument der Klimakonferenz in Glasgow wird empfohlen, »ineffiziente« Subventionen von Öl, Gas und Kohle zu streichen, um die Erderwärmung zu begrenzen. Damit sei den 197 Teilnehmerländern »etwas wirklich weltbewegendes gelungen«, meinte die damalige Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD). Das beantwortet aber nicht die Frage, wie der in den kommenden Jahren noch wachsende Energiehunger zahlreicher Staaten gestillt werden wird. Nur alternativ durch Wind und Sonnenlicht?

Am 31. Dezember um 23.59 Uhr stellt das Atomkraftwerk Brokdorf den Betrieb ein, nach 35 Jahren. Nach der Katastrophe im japanischen AKW Fukushima 2011 hatte die schwarz-rote Bundesregierung den kompletten Ausstieg aus der nuklearen Stromproduktion beschlossen. Und so werden auch alle anderen in Deutschland noch laufenden AKW im kommenden Jahr abgeschaltet.

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Die Entscheidung ist jedoch - anders als erhofft - kein Vorbild für andere Nationen. Im Gegenteil. Die für den Schutz des Klimas dringend notwendige Absenkung des CO2-Ausstoßes gilt nicht nur dort als willkommenes Argument zum Ausbau der Atomtechnologie. Sieht man einmal von der Gewinnung nuklearer Brennstoffe ab, gelingt mit AKW die Stromerzeugung nahezu frei von CO2-Emmissionen. In Russland, den USA, China, Indien, Südkorea, Kanada und anderen Staaten gab es keinen Bruch bei der Entwicklung und dem Ausbau der nuklearen Stromerzeugung. Frankreich, Polen und mehrere andere Länder im Osten der EU setzen sich sogar dafür ein, dass die Gemeinschaft Atomstrom als nachhaltige Energiequelle anerkennt. Sven Giegold, Europaabgeordneter der Grünen, befürchtet, dass die Atomtechnologie noch im Dezember auf EU-Ebene eine Einstufung als »grüne« oder zumindest »graugrüne« Technologie erfahren könnte.

Die in Wien ansässige Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) prognostizierte bereits vor der Konferenz in Glasgow, dass im Jahr 2030 zwischen 8,6 und 10,8 Prozent des weltweit erzeugten Stroms mithilfe von Kernkraft produziert werden wird. Im Jahr 2050 könnten es bis zu 12,3 Prozent sein. Was aus Sicht der Außenhandelskammer in Moskau absolut begrüßenswert ist, denn einer der größten Akteure beim Bau von AKW-Neubauten ist Rosatom. Der russische Staatskonzern betreibt derzeit in zehn russischen Werken 36 Reaktorblöcke. Zwei weitere Reaktoren sind bei Kursk im Bau. Auch im Ausland ist Rosatom präsent. Nach eigenen Angaben baut der Konzern mehr als dreißig neue Reaktoren in zwölf Ländern Asiens, Europas und Afrikas. Der Gesamtwert der laufenden Auslandsprojekte belaufe sich auf ungefähr 100 Milliarden Euro. Auch in der EU behaupte man seine Stellung, heißt es in Moskau.

Man verweist darauf, dass Finnland sein drittes Kernkraftwerk in Pyhäjoki im Norden des Landes von russischen Experten bauen lasse. Stimmt, allerdings verzögert sich der Bau immer wieder. Im April dieses Jahres wurde eine weitere Verschiebung des Baubeginns auf 2023 angekündigt. Die Inbetriebnahme könnte so erst 2029 erfolgen. Die Kosten steigen von bislang geschätzten 6,5 auf 7,5 Milliarden Euro. Auch die im ungarischen Paks laufenden, aus Sowjetzeiten stammenden vier Reaktoren sollen Zuwachs bekommen. Die Türkei lässt sich derzeit von Russland das AKW Akkuyu bauen. Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan Anfang Oktober Wladimir Putin besuchte, kam der Bau von zwei weiteren Kernkraftwerken ins Gespräch. Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko erklärte sein Land am 7. November zur »Atommacht«, als das von Rosatom gebaute AKW in Ostrowez so gut wie fertig war. Für dieses bisher größte gemeinsame Wirtschaftsprojekt der beiden Staaten räumte Moskau Minsk einen Kredit von umgerechnet zehn Milliarden US-Dollar ein. Das Geld muss anderswo wieder hereingeholt werden. So beteiligt sich Rosatom demnächst an einer Ausschreibung für den Bau eines AKW in Saudi-Arabien.

Bei all diesen Anlagen handelt es sich in der Regel um herkömmliche Reaktoren, also Auslaufmodelle. Die Zukunft, so sagen Fachleute, gehöre Anlagen der vierten Generation. Rosatom-Direktor Alexej Lichatschew versicherte Anfang November, dass »die klügsten Köpfe der Menschheit« daran arbeiteten, einen geschlossenen Brennstoffkreislauf für Reaktoren zu schaffen. Im westsibirischen Sewersk hat Rosatom im Juni dieses Jahres offiziell mit dem Bau eines bleigekühlten sogenannten Schnellen Brüters vom Typ Brest-300 begonnen.

Die Abkürzung »Brest« steht für die russischen Worte »bleigekühlter Schnellreaktor mit natürlicher Sicherung«. Mit ihm will man den Kernbrennstoffkreislauf schließen, so das Atommüllproblem lösen und gleichzeitig sparsam mit dem Rohstoff Uran umgehen, dessen Vorräte in Russland vergleichsweise bescheiden sind. Eine Weiterverbreitung von spaltbarem Material sei nahezu unmöglich, heißt es. Für einen weiteren Brutreaktortypen werden die technischen Dokumentationen bis 2030 vorliegen. Dieser natriumgekühlte Reaktor soll am AKW Belojarsk im Swerdlowsker Gebiet gebaut werden, wo bereits zwei Schnelle Brüter anderer Typen im Einsatz sind.

Abgesehen von ökologischen Bedenken: Das technologisch Machbare ist nicht gleichbedeutend mit dem wirtschaftlich Vernünftigen. Sergej Kondratjew, Vizechef der Wirtschaftsabteilung im Moskauer Institut für Energie und Finanzen kann sich eine »Revolution« auf dem Sektor der Kernenergie vorstellen. Dazu jedoch müsse der Brest-Reaktor so bald wie möglich in Serie gehen. Nur so könne es gelingen, die enormen Kosten beim Bau solcher Anlagen drastisch zu senken.

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