- Politik
- Autonome Waffen
Gefühllose Killer im Anflug
Die Uno lädt zur Begrenzung neuartiger Waffensysteme ein – mit wenig Resonanz bei den Besitzenden
Man mag es beklagen, doch die bereits in der Steinzeit relevante Frage nach der Länge von Speeren und der Handlichkeit von Pfeil und Bogen hat sich bis in unsere Tage erhalten. Nur wird die seit jeher zum Töten missbrauchte natürliche Intelligenz durch künstliche Intelligenz verstärkt.
Mangels direktem Vergleich rechnen Konstrukteure und Militärs in verschiedenen Ländern mit Hilfe von Computerprogrammen aus, welche ihrer neuen Waffen wie und warum denen anderer Staaten überlegen sind. Mit Inbrunst vergleicht man so derzeit in den USA die technischen Daten der von Lockheed Martin produzierten F-35 mit denen der russischen Su-57. Bis vor kurzem schien – zumindest aus US-Sicht – der US-Tarnkappenjet überlegen. Denn er kann, was die Suchoi nicht kann: Atomwaffen abwerfen. Dann der Schock. Russlands Superjäger ist noch perfekter. Er lässt seine Atomwaffen von Ochotnik-Drohnen transportieren. Die vernichten Ziele ebenso atomar und ganz autonom. Das von Frankreich und Deutschland beriebene Konkurrenz-Rüstungsprojekt namens »Future Combat Air System«, kurz FCAS, wird noch Jahre benötigen, bis es eine vergleichbare Killerfähigkeit erreicht. Was kein Grund zur Beruhigung sein kann.
In mehr als einem Dutzend Staaten werden bereits annähernd 400 teilautonome oder bereits gänzlich autonome Waffen- und militärische Systeme eingesetzt. Man findet solche von Künstlicher Intelligenz beherrschten Roboter auch in Panzern, in Unterwasserfahrzeugen und bald auch im Orbit. Neben Russland und den Vereinigten Staaten sind Frankreich, Israel und Großbritannien gut im Geschäft. Auch China hat herausragende Entwicklungen in den Arsenalen, mit denen sich Überlegenheit träumen lässt.
Neben solchen Träumen stehen vor allem Fragen nach dem ethisch akzeptablen und völkerrechtlich legitimen Einsatz dieser neuen Waffensysteme. Anfang November forderten 62 deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die rot-grün-gelbe Bundesregierung in einem offenen Brief dazu auf, eine führende Rolle bei der Verwirklichung eines internationalen Abkommens zur Autonomie in Waffensystemen zu übernehmen. Denn es bestehe bereits in absehbarer Zeit die Gefahr, dass Menschen von solchen gefühlfreien Killern angegriffen werden.
Die Entscheidung über Leben und Tod dürfe nicht an Algorithmen delegiert werden, warnen die Briefschreiber, die eine weitere Demontage des Völkerrechts sowie ein neues Wettrüsten befürchten, das zu weiteren globalen Unsicherheiten und der raschen Weiterverbreitung solcher Waffensysteme führt. Dadurch nehme auch das Risiko regionaler Konflikte zu.
Großmächte sperren sich gegen verbindliches Verbot
Bereits vor Jahren wiesen Friedensforscher und Nichtregierungsorganisationen mit Sorge auf solche Entwicklungen hin. Sie äußerten ab der Jahrtausendwende die Hoffnung, dass es gelingen könnte, Verträge zur Ächtung solcher autonomen Killermaschinen zu schließen. Anders als bei Verträgen zur Begrenzung atomarer, biologischer und chemischer Waffen bestand da noch die Chance, die neue Bedrohung bereits im Ansatz zu entschärfen. Betrachtet man neueste technische Entwicklungen und aktuelle militärische Strategien, so ist klar: Die Chance, »vor die Lage« zu kommen, ist vertan.
In dieser Woche ist es fünf Jahre her, dass die fünfte sogenannte Überprüfungskonferenz der UN-Waffenkonvention den Beschluss fasste, sich mit sogenannten Lethal Autonomous Weapons Systems (LAWS) zu befassen. Seither wird in regelmäßigen Abständen in Genf gestritten, gefeilscht, gelogen – doch nicht gehandelt.
Am Montag trafen sich Diplomaten und Experten erneut. Dass sie in ihren fünftägigen Beratungen einen Durchbruch erzielen, ist kaum zu erwarten. Vor allem die großen Mächte sperren sich gegen ein völkerrechtlich verbindliches Verbot von LAWS. Das fordern unter anderem Österreich, Irland und Mexiko. Die USA und in ihrem Windschatten Staaten wie Israel bieten dagegen lediglich einen nicht bindenden Verhaltenskodex zu tödlichen oder letalen autonomen Waffensystemen. Auch Moskau und Peking sind weniger denn je bereit, ihre Hinhaltetaktik aufzugeben.
Und Deutschland? Im aktuellen Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP wird betont, dass man sich dem Fortschritt verpflichtet fühle. Dafür, so betont beispielsweise die SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz, brauche es »Mut, Entschlossenheit und gute Ideen«. In Sachen Abrüstung ist davon nichts im Koalitionsvertrag zu spüren. Da heißt es nur lapidar: »Letale Autonome Waffensysteme, die vollständig der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab.« Man wolle die internationale Ächtung solcher Waffen »aktiv« vorantreiben. Das ist kaum mehr als nichts. Ähnlich schwammig »engagierten« sich bereits vorangegangene Bundesregierungen auf dem internationalen Parkett.
Dabei hätten die Verantwortlichen doch nur zu Kenntnis nehmen müssen, was für General Wolf von Baudissin bereits 1954 und damit ein Jahr vor Aufstellung der Bundeswehr ganz klar war: »Das aufs Höchste technisierte Gefecht verlangt, dass die Verantwortung an sehr vielen unteren Stellen gesehen und getragen wird. Daher muss alles getan werden, um den Menschen vor Situationen zu stellen, die seine Verantwortung herausfordern und ihn die Folgen von Tun und Unterlassen erleben lassen.«
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.