Die falsche Art von Strukturwandel

Der Bahnkonzern Alstom will bis zu 1300 Stellen streichen, die meisten davon in Ostdeutschland

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Von »neuen Talenten« war die Rede, als der französische Zug- und Bahntechnikhersteller Alstom im Januar 2021 die Übernahme des kanadischen Konkurrenten Bombardier abschloss. »Neue Talente« nannte man die Mitarbeiter in dessen Werken, die das Profil von Alstom »bereichern« sollten. Es war viel von Chancen die Rede und davon, dass ein »neuer Weltmarktführer« für nachhaltigen Mobilität entstehe. Angekündigt wurde aber auch, dass durch »Synergieeffekte« 400 Millionen Euro binnen vier bis fünf Jahren eingespart werden sollten. Solche Bekundungen lassen für Beschäftigte oft nichts Gutes ahnen.

Elf Monate später kündigt Alstom nun an, dass in den deutschen Werken in den nächsten drei Jahren bis zu 1300 Stellen wegfallen könnten. Der Schritt ist Teil eines »Transformationsplans«, bei dem es unter anderem um die »Anpassung der Positionen in der Fertigung« gehe, heißt es. Parallel dazu könnten bis zu 700 neue Stellen in den Bereichen Digitalisierung, Software und Ingenieurdienstleistungen entstehen, freilich meist in anderen Werken als in denen, wo Jobs entfallen. Die IG Metall Berlin, Brandenburg, Sachsen kündigte Widerstand an. »Personalabbau ist ein einfaches und zunächst schnell wirksames Mittel des Managements«, sagte deren Bezirkschefin Birgit Dietze: »Auf lange Sicht bedeutet es aber Know-how-Verlust.« René Straube, Chef des Gesamtbetriebsrats, fügte an, es sei »kurzsichtig und sträflich«, Jobs und Kompetenz in einer Branche abzubauen, die für Energie- und Verkehrswende eine zentrale Bedeutung habe.

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Der Stellenabbau in der Produktion trifft maßgeblich mehrere ostdeutschen Standorte. Im brandenburgischen Hennigsdorf stehen 350 bis 450 Stellen auf der Kippe und in Berlin bis zu 100. In den beiden ostsächsischen Werken in Bautzen und Görlitz wären es bis zu 150 beziehungsweise 400. In Summe fielen also womöglich allein 1100 Jobs in Ostdeutschland weg. Aktuell hat Alstom laut IG Metall 9400 Mitarbeiter in Deutschland.

Die stark betroffenen Werke im Osten sind das verbliebene Erbe des Schienenfahrzeugbaus der DDR. Nach deren Ende waren die meisten von ihnen in der »Deutschen Waggonbau AG« (DWA) zusammengefasst worden. Diese wiederum wurde 1998 von Bombardier übernommen. Der damalige Vizepräsident versprach, man wolle sich »langfristig engagieren«. Allerdings konsolidierte der Konzern Aktienkurs und Gewinne stets gnadenlos zulasten der Beschäftigten. So hatten zuletzt im Jahr 2016 in den Werken Görlitz, Bautzen und Hennigsdorf 1430 Stellen auf der Kippe gestanden. Damals gab es massiven Widerstand; die IG Metall Ostsachsen erklärte, wenn die Pläne nicht zurückgenommen würden, »gibt es Krieg«. Es kam zu massiven Protesten mit Tausenden Beteiligten vor allem in Görlitz. Dort wurde zwar die Entwicklungsabteilung geschlossen, der befürchtete Kahlschlag aber abgewendet.

Nun gibt es erneut Hiobsbotschaften. Damit zerschlagen sich endgültig die Erwartungen, mit dem Eigentümerwechsel könne sich die Situation verbessern. »Die Hoffnung war groß, dass es mit Alstom wieder aufwärts geht«, sagte der Görlitzer Rathauschef Octavian Ursu (CDU) der »Sächsischen Zeitung«: Es sei »sehr enttäuschend, was stattdessen nun hier passiert«. Das Werk in Görlitz, das eine Tradition seit 1849 hat und in dem einst sogar ICE-Züge aus dem Werktor rollten, wurde bereits von einst 2000 auf 900 Beschäftigte geschrumpft; nun droht die Belegschaft noch einmal halbiert zu werden.

Es wäre ein harter Schlag für die Stadt in Ostsachsen und für die Lausitz insgesamt. Dieser steht mit dem Ausstieg aus der Braunkohle womöglich schon bis 2030 ohnehin ein gravierender Strukturwandel bevor. Die Politik versucht derzeit Bedingungen dafür zu schaffen, dass neue Industriearbeitsplätze in der Region entstehen. Dass sich nun einer der wenigen Großbetriebe jenseits der Kohle bis auf eine Rumpfbelegschaft zurückzuziehen droht, ist ein fatales Signal. Die Folge werde »weitere Abwanderung aus der Region« sein, sagt der sächsische Linksabgeordnete Mirko Schultze. Die Grünen im Landtag fordern, die Gesetze zum Strukturwandel so anzupassen, dass sie »bestehende Industrie stützen«. Auch sollten Gelder aus dem »Just Transition Fonds«, den die EU für den Strukturwandel in den Kohleregionen aufgelegt hat, für dieses Anliegen genutzt werden können.

Zunächst will die Landespolitik in Sachsen indes versuchen, die Kürzungspläne abzuwenden. Wirtschaftsminister Martin Dulig sagte, er erwarte eine Revision der Entscheidung. Diese sei »völlig inakzeptabel« und zudem »weder wirtschaftlich klug noch nachvollziehbar«. Im Hinblick auf den Zeitpunkt sprach der SPD-Politiker von einem »vergifteten Weihnachtsgeschenk«. Dulig erklärte, man stehe in Kontakt mit der Unternehmensführung von Alstom. Vorbereitet werde ein Gespräch mit Robert Habeck (Grüne), dem neuen Bundesminister für Wirtschaft. Dulig bot Alstom zudem Hilfe des Landes an: »Wir sind sofort bereit dazu!«

Die IG Metall kündigte derweil »Widerstand« gegen die Pläne zum Stellenabbau an, ohne freilich schon konkret zu werden. Bezirksleiterin Dietze verwies auf Gespräche mit Mitgliedern und Betriebsräten an den betroffenen Standorten. Uwe Garbe, der Bevollmächtigte in Ostsachsen, kündigte an, man werde »gemeinsam mit Politik und anderen gesellschaftlichen Akteuren für die Zukunft der Werke kämpfen«.

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