»Ich habe einfach nicht aufgegeben«

Ein Sonderheft der Zeitschrift »Neue Rundschau« zu Wolfgang Hilbig

  • Uwe Schütte
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass Qualität sich nicht automatisch durchsetzt und nicht nur die Welt, sondern gerade und insbesondere der Literaturbetrieb ungerecht ist, ist eine Binsenweisheit. Jeder literaturinteressierte Leser kann wohl eine Handvoll Autoren aufzählen, die allenfalls in drittklassigen Verlagen publizieren können, obgleich ihre Bücher eine größere Aufmerksamkeit verdienen, da sie den normierten Produkten der Schreibschulen oder jenen Texten, deren einziger Verdienst es ist, aktuelle Moden zu bedienen, qualitativ unzweifelhaft überlegen sind.

Der Autor Wolfgang Hilbig (1941-2007) liefert ein Paradigma für große Literatur, die sich mehr durch Zufall und dank Förderung engagierter Kritiker gegen eine Vielzahl von Widerständen hat durchsetzen können. In aller Regel sorgt bereits die kommerzielle Verwertungslogik des Kapitalismus dafür, anspruchsvollen (sprich: »schwierigen«) Texten eine öffentliche Sichtbarkeit zu verwehren. Im real existierenden Sozialismus war die zentrale Hürde die ideologische Konformität. Publikationsverbot aufgrund der Einschätzung als »feindlich-negativer Autor«, zeitweilige Inhaftierung durch die Stasi unter verlogenem Vorwand, Drangsalierungen aller bürokratischer Art durch einen repressiven Kulturapparat waren die allgegenwärtigen Widerstände, gegen die Hilbig einen David-gegen-Goliath-Kampf führte, in dessen Verlauf der Schriftsteller sich so mutig wie starrköpfig für die Autonomie seiner Literatur eingesetzt hat.

Nachzulesen ist dies nun detaillierter im aktuellen Sonderheft der Zeitschrift »Neue Rundschau«, die unter dem treffenden Titel »Ich unterwerfe mich nicht der Zensur« die aus dem Nachlass erstveröffentlichten Briefe Hilbigs an DDR-Ministerien und -Behörden versammelt. Der Band, wie kaum erstaunen wird, bietet eine erschütternde Lektüre. Man nehme nur den im Original abgebildeten Brief des Aufbau-Verlags vom September 1978 mit dem der damals noch unter dem bezeichnenden Titel »Gegen den Strom« firmierende Debütgedichtband Hilbigs nicht nur brüsk abgelehnt wurde. Nein, das Schreiben kommt vielmehr einer politisch-moralisch-ästhetischen Generalabqualifizierung gleich, in welcher die Abkanzelung »Mir scheint, nicht Sie beherrschen die Worte, sondern umgekehrt« noch zu den milderen Urteilen gehört, die anonym und mit der Autorität eines staatlich bestellten Türwächters gefällt werden.

Dass der damals noch in den Meuselwitzer Keller-Höllenschlunden der DDR-Schwerindustrie als Heizer tätige Hilbig die - um ein neues Modewort zu benutzen - Resilienz besaß, seinen aussichtslosen Kampf um Öffentlichkeit für seine Gedichte weiterzuführen, nötigt nicht geringen Respekt ab. Dass er heute, rund 14 Jahre nach seinem vorzeitigen Tod, etwas übertreibend, aber durchaus nicht zu Unrecht als »sächsischer Hölderlin« verklärt wird und zumindest noch zu Lebzeiten den verdienten Büchner-Preis bekommen hat, dokumentiert ein gewisses Maß an Gerechtigkeit, das freilich zugleich übersehen lässt, wie viele andere DDR-Autoren auf der Strecke blieben.

Und dass Hilbig im Westen, also beim Frankfurter S.-Fischer-Verlag veröffentlichen konnte, so wünscht man sich, möge primär am literarischen Sachverstand des dortigen Lektors, Thomas Beckermann, gelegen haben. Denn - wie gerne übersehen wird - zu Zeiten der deutschen Teilung waren die Texte von unterdrückten DDR-Schriftstellern auch deshalb wirtschaftlich interessant, weil ihnen qua Verbot der Autorschaft im östlichen Landesteil ein vermehrtes Interesse im Kapitalismus sicher war. Zudem konnte sich jeder westdeutsche Verlag das politische Verdienst auf die Fahnen schreiben, die DDR-Zensur zunichtegemacht zu haben.

Nicht nur Hilbigs Hartnäckigkeit, auch die Absenz jeglicher Form von Konfliktscheu und Opportunismus in den Briefen an die Zensurorgane der DDR versetzt in bares Erstaunen. Hier beharrt jemand aus der Position erzwungener Unterordnung mit klaren Worten, festem Standpunkt und unerschütterlichem Mut im Angesicht der Allmacht der Stasi auf der Autonomie seiner Literatur.

So spricht Hilbig in einem im Februar 1981 abgeschickten Beschwerdebrief an den stellvertretenden Kulturminister Klaus Höpcke im Hinblick auf die Literaturpolitik der DDR unverblümt von der »Verachtung jeder künstlerischen Äußerung, die ihre Existenz außerhalb der Nutzungsdiktatur, des Unterwürfigkeitsdenkens prostituierend wechselnder Ideologieansprüche zu stellen gewillt ist« und beklagt die am eigenen Leib erlebten staatlichen »Möglichkeiten, Kunst zu vernichten, die durch keine [kulturpolitischen] Proklamationen zu bannen sind«, um dann unter anderem noch anzumerken, dass im Arbeiter- und Bauernstaat »die Würde des Menschen […] zu einem beliebigen Verschleißartikel degradiert« ist.

Erst 1983 darf nach wahren Kabalen der erste Band mit Texten Hilbigs in der DDR erscheinen. Doch da der Autor trotz mangelnder Genehmigung weiter bei Fischer in Frankfurt publiziert, verfällt er erneut der kulturpolitischen Verfemung. Als ihm der Deutsche Literaturfond im März 1985 ein einjähriges Stipendium verleiht, das auf dem Territorium der BRD wahrgenommen werden muss, wird Hilbig das Ausreisevisum wegen seines eigenmächtigen Handelns verweigert.

Nun schreibt er unter anderem an Erich Honecker, und dies zwar sachlich im Ton und nüchtern argumentierend, aber dennoch insistierend im Hinblick auf eine Revision der Entscheidung. Er erinnert Honecker geschickt daran, dass dieser »selbst für Weltoffenheit und Großzügigkeit« in kulturpolitischen Dingen plädiert hat oder dass »das Bekenntnis zum Sozialismus von Autoren wie Majakowski, Neruda, Brecht, Hermlin niemals ein institutionell verordnetes Bekenntnis gewesen ist, noch hätte sein können …, wenn (deren) Weltkenntnis durch unüberschreitbare Landesgrenzen eingeschränkt worden wäre«. Dass Honecker dann die Ausreise Hilbigs genehmigte, verdankte sich freilich nicht diesem Bittbrief, sondern der Schützenhilfe durch Stephan Hermlin und Christa Wolf. Das wusste Hilbig. »Mein Antrag war mehrfach abgelehnt«, schrieb er an einen Freund, »aber ich habe einfach nicht aufgegeben.« Im November 1985 verließ Hilbig die DDR - für immer.

Dass er sich in der BRD nie wirklich einleben konnte, als »Ausländer« ohne sozialen Anschluss in einer hessischen Kleinstadt depressiv und suizidal wurde, ist dann schon eine andere Sache, die viel mit dem schizophrenen Verhältnis der beiden deutschen Staaten zu tun hatte und der perfiden Dialektik des Kapitalismus, dessen Freiheitsversprechen stets unausgesprochen einen nicht geringen Preis fordert. Marktkompatibilität ist ja nur eine andere Form der Zensur. Das Beispiel des Schriftstellers Wolfgang Hilbig erinnert jedenfalls daran, welche essenzielle Funktion die Literatur vor nicht allzu langer Zeit noch besaß: als Reflexionsmedium unseres Gemeinwesens und als Ausdruck persönlicher Prinzipientreue sowie als Dokument eines grundsätzlichen Nonkonformismus - alles Eigenschaften, die in der gegenwärtigen Literatur in nicht geringem Maße fehlen, leider.

Wolfgang Hilbig: »Ich unterwerfe mich nicht der Zensur«. Briefe an DDR-Ministerien, Minister und Behörden. Hg. v. Michael Opitz. »Neue Rundschau«, Heft 2/2021, 208 S, br., 17 €.

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