- Politik
- Judenfeindlichkeit und Verschwörungen
Antisemitismus ist »ein Kernelement« der AfD-Ideologie
American Jewish Committee legt Studie zu Judenfeindlichkeit und Verschwörungserzählungen vor
Lars Rensmann führte schon mehrfach ein provokantes Experiment durch. »Hitler oder Höcke?«, fragte der Sozialwissenschaftler die Student*innen in seinen Lehrveranstaltungen. Sie sollten dabei ausgewählte Zitate entweder Adolf Hitler oder Björn Höcke zuordnen. Die Pointe: Alle vorgelegten Äußerungen stammten aus Mund und Feder des völkischen AfD-Politikers. Dennoch gingen die Student*innen davon aus, dass einige Äußerungen Zitate des NS-Diktators seien. »Sie liegen regelmäßig falsch«, sagt Rensmann.
Der Versuch mag zugespitzt sein, illustriert aber ein Problem, dass aus Sicht des American Jewish Committee (AJC) zu wenig Beachtung findet: Antisemitismus ist in der AfD weit verbreitet, finde in der öffentlichen Wahrnehmung jedoch kaum statt. »Dem Antisemitismus der AfD wurde aus unserer Sicht bisher noch nicht ausreichend die gebotene Aufmerksamkeit zu Teil«, kritisiert Remko Leemhuis, Direktor des AJC Berlin, das eine Studie zum Thema bei Rensmann in Auftrag gab, die am Freitag in der Hauptstadt vorgestellt wurde.
Dass Antisemitismus in der Partei selten für Aufregung sorge, hat laut Leemhuis mehrere Ursachen. Bisher liege der Fokus der politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzung auf dem Rassismus sowie der Migrations- und Demokratiefeindlichkeit der Partei. »Dies ist aus unserer Sicht problematisch, da der Antisemitismus ein Kernelement der Parteiideologie ist«, so der AJC-Direktor.
Die AfD versuche dies jedoch zu verdecken, in dem sich die Partei als Freund der jüdischen Gemeinschaft und des Staates Israel inszeniere. Beispiele dafür gibt es über die gesamte Parteigeschichte hindurch. Eine besonders provokante Behauptung stellte 2017 die damalige Bundesvorsitzende Frauke Petry auf. Die AfD sei »einer der wenigen Garanten jüdischen Lebens« in Deutschland, behauptete die Politikerin in einem Interview. Entscheidend ist, was Petry im Nachsatz betonte. Weiter sagte sie: »[...] auch in Zeiten illegaler antisemitischer Migration«. Ähnlich äußerte sich zwei Jahre später unter anderem die AfD-Politikerin Beatrix von Storch.
»Antisemitismus wird in der AfD als rein muslimisches beziehungsweise Problem des linken politischen Spektrums benannt«, erklärt Leemhuis. Judenfeindlichkeit und antisemitische Ressentiments aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft und der extremen Rechten würden dagegen praktisch nicht thematisiert. Darüber hinwegtäuschen dürften auch nicht die »Juden in der AfD«, eine seit 2018 existierende Gruppe, die nach eigenen Bekunden Interessen jüdischer Parteimitglieder vertrete. Auffallend ist, dass auch die Bundesvereinigung in öffentlichen Äußerungen ihren Fokus bei der Benennung von Antisemitismus auf Migrant*innen und Muslim*innen legt.
Leemhuis stellt klar, dass Antisemitismus kein Problem sei, das sich auf Anhänger*innen des formal aufgelösten völkisch-nationalistischen »Flügel« beschränkt. Oft zeige sich dieser aber nicht direkt. Jüngstes Beispiel dafür sei die Corona-Pandemie. Vertreter*innen der Partei und Anhänger*innen greifen in ihrer Kritik an den Anti-Pandemie-Maßnahmen oft auf die Konstruktion einer angeblichen »korrupten globalisierten Elite« zurück, die hinter der Krise stecke. Ähnlich verhält es sich bei der Verschwörungserzählung eines angeblich geplanten Bevölkerungsaustauschs. Beides klassische antisemitische Erzählungen, die von der extremen Rechten in ganz Europa verbreitet werden, so Rensmann, der an der Universität Groningen in den Niederlanden arbeitet.
Bei ihrer Wählerschaft stößt die Partei dabei auf hohen Zuspruch. In einer im November vom Zentralrat der Juden veröffentlichten Studie kam heraus, dass AfD-Anhänger*innen überdurchschnittlich häufig antisemitischen Aussagen zustimmen.
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