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»Fahrradstadt« Hamburg: Mehr Schein als Sein

Die Bedingungen für Radfahrer sind in der Hansestadt alles andere als optimal

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: 5 Min.
Krasser Fall von Fehlplanung: Das Fahrradparkhaus an der U-Bahnstation Kellinghusenstraße ist nur über Treppen erreichbar.
Krasser Fall von Fehlplanung: Das Fahrradparkhaus an der U-Bahnstation Kellinghusenstraße ist nur über Treppen erreichbar.

Die Behörde trägt ausdrücklich nicht nur den Verkehr, sondern auch die Mobilitätswende im Titel. Ihr Chef, Senator Anjes Tjarks von den Grünen, lässt keine Gelegenheit aus, sich als Radfahrer zu inszenieren. Hamburg hat sich selbst das Label »Fahrradstadt« verliehen. Die Verhältnisse sind jedoch weniger rosig, als es die Werbung verspricht. In einem Ranking zum »Fahrradklima« des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) vom März steht Hamburg in der Liste von Städten mit mehr als 500 000 Einwohnern nur auf Platz sieben - hinter Frankfurt am Main, München, Bremen und Hannover.

Dirk Lau, Sprecher des ADFC in Hamburg, vermisst »den großen Wurf« und »eine mutige Politik, die den öffentlichen Straßenraum nachhaltig und gerecht zugunsten der klimafreundlichen Verkehrsmittel neu verteilt, um Hamburgs Straßen und Plätze sicher, attraktiv und lebenswerter für die Menschen zu machen. Und das nicht nur in der City, sondern auch in Osdorf, Bergedorf und Volksdorf«, also den Außenbezirken.

Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit zeigt sich eindrücklich in Gestalt von Fehlplanungen wie dem »total verrückten Fahrradparkhaus«, wie es die NDR-Satire-Sendung »Extra 3« nannte und das im Schwarzbuch des Bundesverbands der Steuerzahler als »Millionengrab« gebrandmarkt wird. Bei dem 3,5 Millionen Euro teuren Betonklotz wurde zwar an Insekten gedacht, die auf dem begrünten Dach einen Lebensraum finden. Die eigentlichen Nutzer*innen wurden darüber offenbar vergessen. So ist zum Beispiel aus keiner Richtung eine Zufahrt vom Radweg aus möglich. Der Eingang zu den Stellplätzen im Erdgeschoss ist gut versteckt. Das zweite Geschoss ist nur über zwei Treppen zu erreichen. Warum die, bei denen man das Rad immerhin nicht tragen muss, sondern schieben kann, mit Handläufen versehen sind, bliebt das Geheimnis des Architekten. Für Räder mit Satteltaschen ist die Rampe zu schmal, die Stufen sind unbequem hoch.

Ob »bis zu 1000 Fahrräder sicher abgestellt« werden können, wie es in einem Werbetext heißt, oder doch nur 600, zuzüglich 145 oder 150 extra gesicherter Stellplätze, die sich für einen Euro am Tag mieten lassen, steht dahin. Seit der Eröffnung im Mai 2021 wurden im Erdgeschoss nie mehr als ein Dutzend Räder gesichtet und im Obergeschoss jeweils nur ein oder zwei.

Die mangelnde Auslastung des Vorzeigeobjekts erklärte der Senator im Juli mit der Corona-Pandemie und dem Wetter: »Wir haben Sommer, da fahren die Leute durch.« Nachdem der Lockdown vorbei war, standen indes nicht mehr Räder im Parkhaus, und auch auf den 400 sonstigen Abstellplätzen im Bahnhofsumfeld fanden sich deutlich weniger als im Sommer.

Tatsächlich ist Hamburg nach wie vor vor allem Autostadt. Die Zahl der angemeldeten Pkw ist ständig gestiegen, seit 2011 um 100 000, und jährlich kommen 10 000 hinzu. Knapp über 800 000 sind es heute. Der Anteil des Fahrrads am Verkehrsaufkommen wird auf lediglich 15 Prozent geschätzt.

Mit dem Bewusstseinswandel, der eine Mobilitätswende begleiten müsste, tut man sich schwer. Wenn in den Medien von »Verkehrsbehinderungen« die Rede ist, sind selbstverständlich nur die Einschränkungen für Autos gemeint. Dass sich Busse verspäten und Radfahrer*innen gezwungen werden, widerrechtlich auf den Gehweg auszuweichen, kommt nicht in den Blick.

Als Fortschritt galt zunächst, dass seit Oktober 2020 nur noch Taxis, Busse, Lieferfahrzeuge den Jungfernstieg in der Innenstadt benutzen dürfen. Das klingt für Radfahrer*innen angenehmer, als es ist. Denn Schilder allein genügen nicht, um private Pkws von der 350 Meter langen Strecke fernzuhalten. Bis zu 1000 tägliche Verstöße gegen den Bann zählt die Polizei.

»Wir wollen weniger Autoverkehr in Hamburg«, erklärte Senator Tjarks im Oktober. Und kündigte mehr Radwege und weniger Raum für Autos an. Tatsächlich wurden auf einigen Straßen »Pop-up-Radstreifen« angelegt. Sie gelten offiziell als Verkehrsversuch, ersparen damit langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren und lassen sich ohne viel Aufwand einrichten. Praktisch werden sie aber gern als Parkplatz für Autos genutzt und zwingen Radfahrer*innen zu gefährlichen Ausweichmanövern. »Protected Bike Lanes« wie in Amsterdam oder Kopenhagen, die mit Kantsteinen die Rad- von der Autospur trennen und sichern, sind weiterhin eine Rarität.

Statt den Autos Platz wegzunehmen, werden die Radspuren von den Gehwegen abgeschnitten. Wie bei der ab Sommer 2020 sanierten Hoheluftchaussee, auf der täglich bis zu 8000 Räder unterwegs sind.

Weil die Konkurrenz zwischen Rad- und Fußverkehr an der U-Bahn-Station Hoheluftbrücke besonders augenfällig ist, wurde dort Anfang des Jahres mit Markierungen und Absperrgittern experimentiert. Die Erinnerung an die proklamierte »Fairness-Zone« ist inzwischen verblasst, und der entsprechende Schriftzug auf dem Boden war schon nach wenigen Tagen nicht mehr zu sehen. Die Folge: Rad- und Fußverkehr kreuzen sich nach wie vor anarchisch. Nach Angaben des zuständigen Bezirksamts wird es »Gespräche mit der Fachbehörde« geben, und nicht näher benannte »Erkenntnisse« sollen »in andere Planungen einfließen«. Außer Spesen also nichts gewesen.

60 bis 80 Kilometer neuer oder sanierter Radwege jährlich haben SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart. 2020 waren es 62 Kilometer. Doch Radfahren bleibt ein Abenteuer, bei dem man den Refrain eines Liedes von Jan Böhmermann mitsingen kann: »Warum hört der Fahrradweg einfach hier auf?«

Viele Radwege sehen auf dem Papier gut aus, lassen sich aber kaum befahren. Wie eine Stelle an der Hoheluftbrücke, an der die Radfahrer*innen rechtwinklig abbiegen müssten, stattdessen aber im Bogen und mitten durch die Fußgänger*innen fahren. Seit rund 20 Jahren gibt es »Radfahrstreifen in Mittellage«, auch Fahrradweichen genannt, bei denen die Radspur zwischen den Autos geführt wird. Sie heißen auch »Angstweichen«, weil der Wechsel vom Fahrradweg über die Abbiegerspur der Autos riskant ist. Erst im Oktober wurde ein Radfahrer bei einem solchen Manöver von einem Lkw erfasst und getötet.

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