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Libyen: »Ein Spielplatz der Diplomatie«
Mit Präsidentschaftswahlen will die internationale Gemeinschaft Libyen stabilisieren
Herr Issa, die Wahlen werden offensichtlich verlegt. Sind Sie überrascht?
Nein, denn die einflussreichsten Politiker im Land haben die Wahlen schon immer abgelehnt. Haftars Macht beruht auf den Waffen seiner Armee, Dbaiba sitzt dank einer geschickten Verteilung seines Budgets an Milizen, Stämme, Revolutionäre und ehemalige Regime-Anhänger fest im Sattel. Für Saif Al-Islam Al-Gaddafi ist schon die Rückkehr in die Öffentlichkeit ein Erfolg. Eine faire Wahl könnte durchaus mit einen Überraschungssieger wie 2019 in Tunesien enden, als der Universitätsprofessor Kais Saied haushoch gewann.
Der politische Aktivist Yunis Issa war Kulturminister unter der sogenannten Fajr Libya-Regierung, die nach den Parlamentswahlen von 2014 an die Macht kam. Er gehört zu der nicht-arabischen Volksgruppe der Tobu, lebt in Tripolis und Südlibyen. Mit Issa sprach für »nd« Mirco Keilberth.
Sie glauben, die Libyer wollen die aktuelle politische Führung nicht mehr?
Ja, aber sie glauben nicht, dass sie diese mit kurzfristig anberaumten Wahlen und ohne Wahlkampf los werden. Und solange Milizen wie gestern die Ölindustrie oder die Wasserversorgung der Hauptstadt im Handumdrehen blockieren können, zieht die Zivilgesellschaft immer den Kürzeren. Über 100 erfolgreiche Kommunalwahlen seit 2011 und die beiden Parlamentswahlen von 2012 und 2014 haben jedoch gezeigt, dass die Demokratie in Libyen noch lebt. Doch man kann nicht mit der Wahl der Staatsspitze anfangen.
Wie geht es nun weiter?
Sollten die Wahlen auf unbestimmte Zeit verlegt werden, könnten sie ganz ausfallen. Ich fürchte, dass dann mehrere Parallelregierungen entstehen könnten. Eine Verlegung um wenige Wochen ist daher im Interesse der internationalen Gemeinschaft. Die ehemalige Vizechefin der UN-Mission Unsmil, Stephanie Williams, ist ja gerade dabei, die wichtigsten Kandidaten zu treffen und auszuloten, was jetzt noch möglich ist.
Die US-Regierung scheint nun wieder stärker an Libyen interesiert. Die nach Libyen zurückgekehrte Stephanie Williams und der US-Sondergesandte Noland setzten sich in den letzten Wochen aktiver für die Einhaltung des Wahltermins ein als ihre europäischen Kollegen.
Als stellverstretende Leiterin der UN-Mission hat Williams ja sogar die Wahlen mitorganisiert. Nun steht sie nach dem Rücktritt des slowakischen Missionschef sogar an der Spitze von Unsmil. Doch weil sich der Sicherheitsrat nicht offiziell auf einen Nachfolger von Jan Kubis einigen kann, ist sie nur Beraterin. Das zeigt vielen Libyern, dass die internationale Gemeinschaft kein einigender Faktor im Land ist, trotz der Berliner Konferenzen.
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Libyen so etwas wie ein Spielplatz der Diplomatie ist. Jetzt probiert man es mit Präsidentschaftswahlen. Sollte dies scheitern, akzeptiert man vielleicht die illegale Machtteilung der derzeitigen Machthaber in Ost- und Westlibyen. Sollte dies so weiter gehen, könnten die Extremisten in der angrenzenden Sahel-Region das Machtvakuum in Südlibyen für sich nutzen.
Glauben sie Europa kann einen neuen Konflikt um Tripolis verhindern?
Die meisten Libyer wollen friedlich zusammenleben, wir sind ein reiches Land mit einer kleinen Bevölkerung. Europa kann bei der gerechten Verteilung des Wohlstands helfen, indem es klare Richtlinien seiner Politik vorgibt und diejenigen sanktioniert, die wieder zu Gewalt aufrufen.
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