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Flutkatastrophe belastet Koalition
Ausblick auf 2022: CDU und SPD liegen vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen auf Augenhöhe
Ende Oktober dieses Jahres ist Hendrik Wüst zum nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten gewählt worden. Bis zur Landtagswahl am 15. Mai 2022 hat er also sieben Monate Zeit, um zu beweisen, dass er der richtige Mann für das Amt ist. Bisher hat sich der 46-jährige Münsterländer keine groben Schnitzer erlaubt. Aber er hat sich auch noch kein Image als Landesvater erarbeiten können. Wüst hat, als derzeitiger Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, regelmäßig größere Auftritte, wenn es um Maßnahmen zur Eindämmung von Corona geht. Seine Einwürfe sind allerdings erwartbar. Der CDU-Politiker hätte gerne strengere Regeln als die Ampel-Koalition im Bund. So äußert sich derzeit fast jeder Christdemokrat.
Auch der starke Mann der nordrhein-westfälischen SPD, Thomas Kutschaty, hat einst für etwas strengere Maßnahmen in der Coronakrise plädiert. Wüsts Vorgänger, Noch-CDU-Chef und Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet, warf Kutschaty immer wieder einen Schlingerkurs vor. Es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass sozialdemokratisch geführte Städte öfter Dinge wie die Befreiung von der Präsenzpflicht in der Schule oder die Beibehaltung der Maskenpflicht forderten. Jedes Mal sorgte dies für Debatten. Somit ließ die SPD die schwarz-gelbe Landesregierung für diejenigen schlecht aussehen, die einen vorsichtigen Umgang mit Corona bevorzugen. Seitdem Sozialdemokraten im Kanzleramt und Gesundheitsministerium sitzen, hält sich Kutschaty allerdings mit lautstarker Kritik an der Corona-Politik zurück.
Die Pandemie könnte im Wahlkampf eine wichtige Rolle spielen. Das gilt vor allem für die nordrhein-westfälische Schulpolitik. Die liberale Bildungsministerin Yvonne Gebauer steht seit Beginn der Coronakrise in der Kritik. Sie ist die Zielscheibe von Lehrerverbänden, Elternvertretern und Schülern. Immer wieder wurden neue Vorgaben vom Ministerium sehr kurzfristig kommuniziert, so dass es an Vorbereitungszeit fehlte. Auch die von manchen als Allheilmittel gepriesenen Luftfilter stehen nur in einem Bruchteil der Schulen.
Ein anderes Reizthema, das Wüst überhaupt nicht gefallen dürfte, ist die Verkehrspolitik. Bis zu seinem Aufstieg ins Amt des Ministerpräsidenten war Wüst Verkehrsminister. Und vor wenigen Wochen hat sich in diesem Bereich eine wirklich dicke Baustelle aufgetan. Weil sie nicht mehr sicher ist, wurde bei Lüdenscheid eine Brücke der Autobahn 45 gesperrt. Die Brücke soll zwar in drei Monaten wieder befahrbar sein, doch das dürfte den entstandenen Frust nur wenig lindern. Die A45 gehört zu den wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen in Nordrhein-Westfalen. Seit der Brückensperrung wälzen sich Massen von Lkw durch Lüdenscheid und andere Orte in Südwestfalen. Unternehmen aus der Region beschweren sich, dass Lieferungen nur mit großen Verzögerungen bei ihnen ankommen.
Für CDU und FDP ist das aus zwei Gründen schlecht. Erstens hatten beide Parteien 2017 im Wahlkampf groß damit geworben, dass sie das »Stauland NRW« wieder ins Rollen bringen würden. Zweitens haben beide Parteien in der wirtschaftsstarken Region eigentlich viele Wähler. Wenn die wegen des Brückenfrusts abwandern, dürfte sich das erheblich auf das Gesamtergebnis auswirken. Auch sonst dürfte Wüsts Zeit als Verkehrsminister ein Thema bleiben. Nordrhein-Westfalen hat zwar ein Fahrradgesetz bekommen, dafür brauchte es aber den Druck von Verbänden. Sie bezeichnen das Ergebnis als unzureichend.
Abseits von konkreten Gesetzen ist es bei langfristigen Themen wie der Verkehrspolitik schwierig, der schwarz-gelben Regierung die Schuld anzulasten. Dass mit der Brücke an der A45 etwas passieren muss, war auch zu Zeiten klar, als noch Rot-Grün regierte. Ein Thema, das CDU und FDP aber alleine zu verantworten haben, ist die Reaktion der Landesregierung auf die Flutkatastrophe vom Juli. Dass sie keinen Krisenstab eingesetzt hat, ist schon jetzt ein Dauerbrenner. Auch Verzögerungen und bürokratische Hürden bei der Auszahlung von Hilfsgeldern beschäftigen die Menschen im Flutgebiet. Im Untersuchungsausschuss zur Flut lassen es sich die Oppositionsparteien nicht nehmen, die Landesregierung in die Enge zu treiben.
Im Zusammenhang mit der Flut wird auch immer wieder über den Klimawandel gesprochen. Es ist das Kernthema der Grünen, die im Mai mit einem weiblichen Trio um die Landesvorsitzende Mona Neubaur antreten. Die NRW-Grünen haben in den vergangenen Jahren vieles richtig gemacht. Ihr Einsatz für den Hambacher Forst und die Dörfer am Tagebau Garzweiler haben der Partei viel Zuspruch gebracht. In einer Umfrage der nordrhein-westfälischen Lokalzeiten schnitt die Partei kürzlich mit 17 Prozent gut ab. SPD und CDU lagen darin gleichauf bei 27 Prozent. 12 Prozent würden ihr Kreuz bei der FDP machen, sieben bei der AfD und nur vier bei der Linken.
Die Linke hat, abseits von Streitereien in der Partei, ein großes Problem: Ihre Themen ziehen nicht. Armut, speziell Kinderarmut im Ruhrgebiet, wird von allen Parteien in irgendeiner Form kritisiert. Eine Perspektive, die Verhältnisse zu verbessern, kann die Partei kaum aufzeigen. Sie hat nämlich zweimal den Einzug in den Landtag verpasst. Auch Fragen, die von der gesellschaftlichen Linken skandalisiert werden, kommen nicht so richtig an. Die Demonstrationen gegen das restriktive Versammlungsgesetz waren hauptsächlich Aktionen der linken Szene und strahlten nicht darüber hinaus. Kritik an Innenminister Herbert Reul (CDU) und seinem von vielen als rassistisch angesehenen, Kampf gegen »Clan-Kriminalität« erzeugt auch keine Stimmung in dem Bundesland, die für Zuwachs bei der Linkspartei sorgen könnte. Reul gehört zu den Ministern, mit denen die Menschen in Nordrhein-Westfalen am zufriedensten sind.
Zurzeit ist offen, wer die Wahl gewinnen kann. Die aktuelle schwarz-gelbe Koalition hätte genauso wenig eine Mehrheit wie ein rot-grünes Bündnis. Wüst hat in der Rolle des Ministerpräsidenten einen leichten Vorteil gegenüber SPD-Mann Kutschaty. Außerdem dürften sich jede Panne der Ampel-Koalition in Berlin sowie enttäuschte Erwartungen negativ auf die SPD auswirken. Somit wird bei der NRW-Wahl auch die Arbeit der neuen Bundesregierung bewertet. Weil es sich mit 17,9 Millionen Einwohnern um das bevölkerungsreichste Bundesland handelt, wird die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen auch oft als »kleine Bundestagswahl« bezeichnet.
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