Von hier deportiert und ermordet

In Brandenburg erinnern mehr als 1100 Stolpersteine an Opfer des Faschismus

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

»Hier wohnte Emma Anker, geborene Wittenberg, Jahrgang 1878, deportiert 1942, verschollen in Trawniki.« So viel verrät der Stolperstein in der Neuruppiner Karl-Marx-Straße 34. Er weist darauf hin, dass hier früher einmal eine Frau wohnte, die ein Opfer des Faschismus wurde. In dem polnischen Dorf Trawniki gab es ein Arbeitslager, in dem die SS nicht nur Juden quälte und ermordete, sondern darüber hinaus zwischen 1941 und 1944 ungefähr 5000 KZ-Wachleute ausbildete, die keine Deutschen waren. Diese Männer werden Trawniki-Männer genannt.

Derlei Erläuterungen passen nicht auf die kleinen Messingtafeln der rund 80 000 Stolpersteine, die in mittlerweile 21 Staaten in die Gehwege eingelassen sind und an Naziopfer erinnern. Allein mehr als 1100 Stolpersteine gibt es in Brandenburg, davon 178 in Frankfurt (Oder).

Der eine oder andere Passant würde gern mehr erfahren, wenn er einen dieser Steine sieht, würde gern mehr wissen als den Namen und wohin jemand deportiert und wo er schließlich ermordet wurde. Auf der Internetseite stolpersteine-brandenburg.de findet sich eine Liste aller im Bundesland verlegten Steine. Hinter dieser Seite steht das hiesige Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Als die Seite im November 2020 freigeschaltet wurde, erklärte Geschäftsstellenleiterin Frauke Büttner, dass im Jahr 2021 weiter daran gearbeitet werden solle. Sie sagte: »Wir wünschen uns vor allem, dass wir mehr Biografien zu den 1109 Steinen erstellen können. Denn es sind die Geschichten hinter den Steinen, die das Projekt so besonders machen.«

Die Lebenswege sind alle einmal recherchiert worden, bevor die Stolpersteine in einer der Werkstätten angefertigt wurden, die im Auftrag des Kölner Künstlers Gunter Demnig arbeiten. Demnig hatte 1996 den ersten seiner Stolpersteine in Berlin-Kreuzberg verlegt. Nachgeforscht haben jeweils Ortschronisten, Heimatvereine oder auch Schulklassen. Doch um alle Kurzbiografien, die einst bei der Verlegung der Steine vorgetragen worden sind, ins Internet zu stellen, müsste man für jeden Stein schriftliche Aufzeichnungen darüber finden oder alles noch einmal erforschen. Das ist nicht so einfach. Deshalb bleiben die Informationen bislang lückenhaft.

In einigen Fällen weiß man inzwischen jedoch mehr. Nehmen wir das Beispiel Rosa Storch. In der Eisenbahnstraße 147 in Fürstenwalde gibt es einen Stein für sie, der neben ihrem Namen lediglich ihr Geburtsjahr 1889 verzeichnet und auf dem drei Fragezeichen an die Stelle gesetzt sind, an der stehen müsste, welches Schicksal sie erlitt. Dazu liefert die Webseite stolpersteine-brandenburg.de Angaben. Rosas Ehegatte Heimann Storch war demnach Handelsvertreter für Nähmaschinen, seine Tochter Hilde laut Adressbuch von 1933 Verkäuferin. Die Tochter konnte nach England fliehen, ihre Eltern wurden ins Ghetto Warschau deportiert.

Noch mehr zu lesen gibt es über Ludwig und Rosa Warschauer, für die in der Breiten Straße 39 von Beeskow die einzigen beiden Stolpersteine dieser Stadt liegen. Rosa führte dort mit ihrem ersten Mann ein kleines Kaufhaus für Kleider und Stoffe. Nach seinem Tod heiratete sie 1935 Ludwig Warschauer, der mit ins Geschäft einstieg. In der Reichspogromnacht am 10. November 1938 sind ihnen die Schaufensterscheiben eingeschlagen worden. Die Warschauers wollten zu einer Verwandten nach Shanghai emigrieren oder auch nach Paraguay. Doch die Pläne zerschlugen sich. Im Juni 1943 wurde das Paar zunächst nach Theresienstadt deportiert, dann im Oktober 1944 nach Auschwitz. Die am 20. März 2014 von Gunter Demnig für Rosa und Ludwig Warschauer verlegten Steine wurden bereits in der nächsten Nacht entwendet. Demnig ersetzte sie fünf Wochen später, diesmal diebstahlsicher im Bürgersteig verankert.

Stolpersteine finden sich in Brandenburg nicht allein für jüdische Naziopfer, sondern genauso für Zeugen Jehovas oder für Kommunisten wie den Schlosser Arthur Magnor, der zum Arbeiterwiderstand um Anton Saefkow und Bernhard Bästlein gehörte und Anfang 1945 hingerichtet wurde. Er hatte in seinem Häuschen in Bergfelde den Zwangsarbeiter Gregori Wassiliew versteckt und im Radio sogenannte Feindsender gehört. Im Juni 2021 bekam Magnor seinen Stolperstein, der in der Liste des Aktionsbündnisses noch nicht verzeichnet ist - so wie fast alle seit einem Jahr hinzugekommenen Steine.

Anfang Dezember gab es eine kleine Tagung zum Thema Stolpersteine in Brandenburg. Dabei regte Miriam Rürup vom Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum an, in der Nachbarschaft neben Opfern des Faschismus auch Täter sichtbarer zu machen. Andrea Genest, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Ravensbrück, sprach von einer besonderen Bedeutung der Stolpersteine als Form zivilgesellschaftlichen Erinnerns.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden in Brandenburg in Zukunft noch mehr Stolpersteine zum Preis von 132 Euro verlegt. Neue Termine sind kurzfristig aber nicht zu bekommen. Künstler Demnig ist schon bis September kommenden Jahres ausgebucht.

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