Luft nach oben bei der Solarenergie

Bezirke und Stadtwerke forcieren den Photovoltaik-Ausbau – doch viel Potenzial bleibt ungenutzt

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.

»Möglichst schon 2035« soll laut dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und Linke ein Viertel der in Berlin benötigten Energie klimaneutral durch Solarstrom produziert werden. Untersuchungen des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) zeigen, dass das möglich ist - wenn Berlins Dächer mit Solaranlagen einer Leistung von mehr als vier Gigawatt aufgerüstet werden. Laut einer Studie der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin hat die Hauptstadt sogar ein Solarpotenzial von sechs bis zehn Gigawatt, erzeugt bislang jedoch erst 100 Megawatt durch Sonnenenergie.

»Berlin hängt im Vergleich mit anderen Bundesländern hinterher, der Solarausbau muss deutlich beschleunigt werden«, sagt Tilmann Heuser, Geschäftsführer des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND) Berlin, zu »nd«. Die Pläne der neuen Regierung zur Klimaneutralität der Stadt sind nach Ansicht von Judith Dellheim vom Berliner Energietisch jedoch »immer noch ziemlich bescheiden, zu vage formuliert, zu wenig zielorientiert. Das macht schon nervös«, sagt sie auf nd-Anfrage. Dellheim vermisst in dem Koalitionsvertrag Zahlen über das zur Verfügung stehende Budget sowie Angaben zu konkreten Maßnahmen oder dazu, in welchem Jahr welche Zwischenziele erreicht werden sollen.

Laut Matthias Borowski, Sprecher der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, wurde in Berlin 2020 um knapp 1500 auf insgesamt 8672 Photovoltaikanlagen aufgestockt. Aktuelle Zahlen für 2021 lägen noch nicht vor. Die Novelle des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes von August verpflichtet das Land und die Bezirke, öffentliche Gebäude wie Schulen bis Ende 2024 mit Solaranlagen auszustatten.

Die meisten Bezirke kooperieren dabei mit den Berliner Stadtwerken. Seit November wurden mit sechs Bezirken entsprechende Absichtserklärungen über die Errichtung von mehr als 300 neuen Solaranlagen in den kommenden drei Jahren auf bezirkseigenen Gebäuden vereinbart. Unter den ersten war Steglitz-Zehlendorf, wo im Frühjahr fünf neue Photovoltaikanlagen auf Schulen und Sporthallen montiert werden sollen. »Angesichts der für 2045 geplanten Klimaneutralität von Berlin müssen wir schneller als bisher mit der Erzeugung umweltfreundlicher Energie in der Stadt vorankommen«, sagt Steglitz-Zehlendorfs neue Bezirksbürgermeisterin Maren Schellenberg (Grüne). In dieser Hinsicht gebe es bereits »gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit den Berliner Stadtwerken«, so Schellenberg. Beispielsweise sei die Grundschule am Karpfenteich mit einer Solaranlage ausgestattet worden.

Auch in Neukölln wurden bereits neun Photovoltaikanlagen auf Schuldächern gebaut, 60 weitere sind mit der neuen Absichtserklärung in Planung. »Damit das gelingt, brauchen wir aber in den kommenden Jahren auch gute Fachkräfte für die Umsetzung der ambitionierten Pläne«, sagt Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD). Er appelliert an die neue Berliner Koalition, dass sie »die Bezirke hier nicht vergisst«.

Der Fachkräftemangel sei das »Kernproblem der ganzen Klimapolitik«, sagt Tilmann Heuser. Die neue Berliner Regierung möchte laut ihrem Koalitionsvertrag daher eine Ausbildungsoffensive starten, bei der »auch der Bedarf der für die Energie- und Klimawende relevanten Berufe berücksichtigt« werden soll. Matthias Borowski von der Wirtschaftsverwaltung verweist auf die Zusammenarbeit mit der Handwerkskammer, einen geplanten Karrieretag für Schüler*innen sowie Weiterbildungsmaßnahmen für das Dachdeckerhandwerk, wodurch die Anzahl der Betriebe, die Solarinstallationen anbieten, erhöht werden soll.

Es brauche jedoch »Zuwachs auf allen Ebenen«, sagt Stadtwerke-Sprecher Stephan Natz zu »nd«, nicht nur bei den beauftragten Unternehmen, sondern auch bei den Ämtern, die den Bau genehmigen, sowie beim Stromnetz, an das die Anlagen angeschlossen werden müssen. Der Koalitionsvertrag lasse völlig offen, ob oder wie die Bezirke mit mehr Personal unterstützt werden, kritisiert Judith Dellheim vom Energietisch.

Letztlich sollen durch die von Stadtwerken und Bezirken geplanten Photovoltaikanlagen im Schnitt 70 bis 80 Prozent des Energiebedarfs eines Gebäudes mit dem auf dem Dach produzierten Strom gedeckt werden. Überschüsse - zum Beispiel an Wochenenden, an denen die Schulen geschlossen sind - werden in das Energienetz eingespeist. Umgesetzt werden soll das Vorhaben durch ein Pachtmodell: Das jeweilige Bezirksamt verpachtet die Dächer den Stadtwerken und pachtet im Gegenzug die Anlage. Durch den eingesparten Netzstrom sollen für die Bezirke keine zusätzlichen Kosten entstehen.

Ähnliche Vereinbarungen haben die Berliner Stadtwerke auch mit der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement BIM getroffen, die insgesamt bereits 140 Photovoltaikanlagen mit einer Leistung von 14 Megawatt betreibt. Mit vier weiteren Bezirken handeln die Stadtwerke zurzeit ebenfalls Absichtserklärungen aus. Lediglich Charlottenburg-Wilmersdorf treibe den Solarausbau ohne die Stadtwerke voran, und der Bezirk Pankow warte noch auf eine*n neue*n Energiebeauftragte*n, so Stadtwerke-Sprecher Natz.

Der Gesamtumfang der in den ersten sechs Bezirken geplanten Solaranlagen wird 24 Megawatt entsprechen - bis zu den notwendigen vier Gigawatt ist es also noch ein weiter Weg. Laut der HTW-Studie liegt der Großteil des Solarpotenzials in Berlin jedoch ohnehin nicht auf öffentlichen Gebäuden. Während diese nur für bis zu 600 Megawatt Sonnenenergie ausreichen, könnten auf Wohngebäuden etwa 3,5 und auf Gewerbegebäuden 2,3 Gigawatt produziert werden. »Das Potenzial kann nicht vollständig erschlossen werden, solange nicht wirtschaftliche Geschäftsmodelle für verschiedene Eigentumskonstellationen ermöglicht werden«, so die Studie.

Das bedeutet, dass der Solarausbau auch bei privaten Eigentümer*innen und Unternehmen vorangetrieben werden muss. Daher hat der Senat im März dieses Jahres ein Solargesetz auf den Weg gebracht, laut dem ab 2023 eine Pflicht zur Installation von Photovoltaikanlagen bei Neubauten und Dachsanierungen gilt. Tilmann Heuser vom BUND fordert in diesem Zusammenhang eine Bündelung und Vereinfachung von Förder- und Finanzierungsprogrammen, die verschiedene Gebäude- und Dachsanierungen umfasst: vom Solarausbau, bestenfalls kombiniert mit Gründächern, bis hin zur energetischen Dämmung. Auch die Schaffung von sozialem und barrierefreiem Wohnraum müsse damit verbunden werden. »Für Eigentümer muss sich die Sanierung lohnen, aber Mieter darf es nicht belasten«, sagt Heuser.

Bislang vermisse er in Berlin ein entsprechend gebündeltes Förderprogramm. Verfahren zu energetischen Sanierungen seien oft »elend langwierig«, kritisiert er. Auch um den Denkmalschutz bei Altbauten mit Modernisierungsmaßnahmen zu vereinbaren, müssten noch »gute, innovative Lösungen« gefunden werden. Tatsächlich habe der Denkmalschutz den Solarausbau oft verhindert, bedauert Stephan Natz, zum Beispiel auf dem Friedrichstadt-Palast in Mitte. »Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe hat 2021 mit den ersten Schritten zur Erarbeitung von zwei Leitfäden begonnen«, sagt Pressesprecher Matthias Borowski dazu auf nd-Nachfrage. Ein Leitfaden solle Eigentümer*innen, der andere den Denkmalschutzbehörden Hilfestellung bei der energetischen Sanierung bieten.

Unabhängig davon gebe es auf Berlins Dächern und Freiflächen jedoch noch viel ungenutztes Potenzial, das sich nicht auf den Denkmalschutz schieben lasse, findet Judith Dellheim vom Berliner Energietisch. »Das zeigt, wie wenig ambitioniert die Absichtserklärungen sind.« Mit den derzeitigen Koalitionsvereinbarungen könne Berlin ihrer Ansicht nach nicht auf den »Pariser Weg« der 1,5-Grad-Grenze gebracht werden. Andersherum wären umfangreiche Gebäudesanierungen nicht nur im Sinne der Klimaneutralität, sondern auch »eine Riesenchance für eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen in Berlin«, sagt Tilmann Heuser.

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