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Solidarisch mit sich selbst
Ob im Handel oder im Wohnungsbau - viele Genossenschaften agieren als Zusammenschluss von Kleinkapitalisten
Edeka ist mit Abstand der größte Lebensmitteleinzelhändler der Republik. Mehr als ein Viertel des gesamten Branchenumsatzes lief 2020 über die Kassenbänder der diversen Vertriebsschienen. Neben den klassischen Supermärkten gehören dazu auch Discounter wie Netto. Edeka, 1898 in der Hauptstadt gegründet von 21 Kaufleuten als Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin, ist bis heute genossenschaftlich organisiert. Rund 3600 selbstständige Händler sind die Genossenschafter der sieben Regionalgesellschaften, denen die Zentrale in Hamburg gehört, der wiederum 50 Prozent an den Regionalgesellschaften gehören.
Doch dass die Genossenschaft eine Vorreiterin wäre, die die Welt des Lebensmittelhandels zum Guten wandeln würde, ist eher selten zu vernehmen. Immer wieder war von schlechten Arbeitsbedingungen etwa bei Netto zu lesen. Weit abgeschlagen auf dem letzten Platz landet der genossenschaftliche Konzern auch beim jährlichen Supermarktcheck von Oxfam, einem weltweiten Verbund von Hilfs- und Entwicklungsorganisationen. »Allein Edeka verweigert sich einer ernsthaften Menschenrechtspolitik«, heißt es im Bericht für 2020 zu Themen wie Frauenrechte, Transparenz, Rechte von Arbeiter*innen und Umgang mit Kleinbäuer*innen. Als einziger deutscher Supermarkt im Check habe Edeka eine Vereinbarung nicht unterzeichnet, in seinen globalen Lieferketten für existenzsichernde Löhne zu sorgen.
Deutlich besser schneidet beim Oxfam-Check Rewe ab, der Lebensmitteleinzelhändler mit dem zweitgrößten Anteil am Gesamtumsatz in Deutschland. Dazu gehört unter anderem der Discounter Penny. Doch der »Revisionsverband der Westkauf-Genossenschaften«, dafür steht das Akronym Rewe, macht natürlich auch mit bei dem Preiskampf auf dem Rücken der Produzenten.
Im Rahmen der politischen Auseinandersetzungen um den Anfang 2020 von der rot-rot-grünen Koalition In Kraft gesetzten Berliner Mietendeckel, der im Frühjahr 2021 vom Bundesverfassungsgericht gekippt worden ist, kamen die Wohnungsbaugenossenschaften in der Hauptstadt in die Diskussion.
Am 18. Juni 2019, pünktlich zum Senatsbeschluss der Eckpunkte eines Berliner Mietendeckels, mit dem die Mieten in der Hauptstadt für fünf Jahre eingefroren werden sollten, schaltete die »Marketinginitiative der Wohnungsbaugenossenschaften Deutschland e. V.« in den großen lokalen Tageszeitungen ganzseitige Anzeigen. In alarmistischem Ton wurde behauptet, dass »Berlins Koalition mit dem Mietendeckel das soziale Gefüge zerstört«. Das Vorhaben werde Neubau und Sanierungen verhindern.
Bereits einige Tage zuvor war durchgesickert, dass der Senatsbeschluss fallen sollte. Nicht nur private Vermieter, auch Genossenschaften verschickten hastig Mieterhöhungsverlangen. Die Berliner Baugenossenschaft eG beispielsweise für rund die Hälfte ihres Bestandes von 7000 Wohnungen, wie aus einer E-Mail hervorgeht, die »nd« vorliegt. »Dieser Schritt ist notwendig, damit die Genossenschaft auch in den kommenden Jahren ihre Instandsetzungs- und Modernisierungsverpflichtungen im gleichen Umfang fortsetzen kann«, hieß es in dem Schreiben.
Doch der Blick in die Bilanzen ließ diese Argumentation eher unglaubhaft erscheinen, denn die etablierten Genossenschaften mit oft über einhundertjähriger Historie hatten fast durchweg in den letzten Jahren solide Finanzpolster aufgebaut - nicht nur wegen der gesteigerten Mieten, sondern wegen dramatisch gefallener Schuldzinsen.
Doch einigen reichte auch die Diskreditierung des Mietendeckels im Diskurs nicht. Vier große Genossenschaften, darunter das Dickschiff Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG mit knapp 7000 Wohnungen, reichten eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Berliner Landesgesetz ein.
»Die Klage gegen den Mietendeckel war ein Sündenfall zum Schaden aller Mieterinnen und Mieter in Berlin. Vorgänge wie dieser zeigen, dass eine Demokratisierung der Genossenschaften nötig ist«, sagt Ralf Hoffrogge zu »nd«. Dafür setzt sich der im Februar 2020 gegründete Berliner Zusammenschluss »Die Genossenschafter*innen« ein, dem er angehört. Mitglieder von über einem Dutzend Wohnungsbaugenossenschaften der Hauptstadt wollen »Hindernisse für ein aktives wohnungspolitisches Engagement von Genossenschaften abbauen, die innergenossenschaftliche Demokratie stärken sowie zu einer Verbreitung des Genossenschaftsgedankens beitragen«, wie es in der Selbstbeschreibung heißt.
Die Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892 eG setzte ihren Kampf gegen den Mietendeckel aber noch an anderer Front fort. Sie beantragte für Tausende ihrer Wohnungen Ausnahmen von den Mietobergrenzen auf Basis einer Härtefallklausel im Gesetz. Dieser Antrag konnte nur dann gestellt werden, »wenn die neu eingeführten Mietobergrenzen zu dauerhaften Verlusten oder zur Substanzgefährdung der Wirtschaftseinheit führen«, wie es in den Erläuterungen dazu hieß. »Das könnte vielleicht der Fall sein, wenn gerade aufwendige Sanierungen durchgeführt worden sind, die nicht auf die Miete umgelegt werden können«, sagte Sebastian Botzem von »Die Genossenschafter*innen« Ende 2020 zu »nd«. »In diesem Umfang ist das aber eigentlich ausgeschlossen.«
Bei der Vertreterversammlung der 1892 im Juli 2021 ging es wegen dieser Aktivitäten des Vorstands offenbar hoch her, wie sich ansatzweise aus dem in der Mitgliederzeitschrift veröffentlichten Bericht erkennen lässt. Auf Rückforderungen wegen der Absenkungen auf Basis des Mietendeckels ist verzichtet worden. Delegierte hatten zudem kritisiert, dass der vom Vorstand prognostizierte hohe Schaden durch den Mietendeckel nicht nachvollziehbar sei. Auch dass die Verfassungsklage gegen das Gesetz ohne Rücksprache mit den Mitgliedern eingelegt worden ist, wurde dem Vorstand angekreidet.
Mit ähnlicher Inbrunst wie gegen den Mietendeckel warfen sich viele Wohnungsgenossenschaften mit einer Kampagne in den Kampf gegen den Volksentscheid Deutsche Wohnen & Co enteignen, der bei der Abstimmung Ende September 2021 eine deutliche Mehrheit bekommen hat. Sie behaupteten, auch von einer Sozialisierung betroffen zu sein. Auch dafür musste der Vorstand der 1892 sich bei der Versammlung im Juli rechtfertigen. »Nachdem auf Nachfrage der 1892 bei der Initiative von dieser aber klargestellt wurde, dass Genossenschaften vom Volksbegehren ausgenommen sein sollen, hat die 1892 ihre diesbezüglichen Aktivitäten eingestellt«, so die halbgare Reaktion.
Echte Veränderungen bei den Wohnungsgenossenschaften dürften aber noch auf sich warten lassen. Bereits seit 2008 setzt sich die Berliner Initiative Genossenschaft von unten für eine neue Ausrichtung ein. Bisher ohne durchschlagenden Erfolg.
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