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Krimiautor Petros Markaris: »Geld ist kein Traum«
Petros Markaris über die Plünderung Griechenlands, Gentrifizierung und Kommissar Charitos
Herr Markaris, in Ihrem neuesten Kriminalroman, »Das Lied des Geldes«, zerstören ausländische Großinvestoren die sozialen Strukturen in der Stadt. In der jüngeren Vergangenheit haben wieder mal womöglich andere Großinvestoren Brände gelegt und die Natur zerstört. Ist der Mensch überhaupt noch zu retten?
Können Sie sich an den Film von Woody Allen »Take the money and run« erinnern? Heute sind wir so weit, dass jene, die das Klima und die Umwelt zerstören, sich die Taschen vollgestopft haben - und wir laufen, um unser Leben zu retten.
Auch bei den verheerenden Bränden im vergangenen Sommer wurde wieder Brandstiftung vermutet. Wie wahrscheinlich ist das?
Zwei Männer und eine Frau sind in Untersuchungshaft. Daraus kann man schließen, dass es Brandstiftungen gegeben hat.
Gab es in der Vergangenheit schon mal Verurteilungen?
Ja, schon. Aber ob die Drahtzieher oder die Handlanger verurteilt wurden? Darauf kann ich Ihnen keine klare Antwort geben.
Warum sind die Menschen so vernarrt in das Geld?
Man muss unterscheiden zwischen jenen, die Geld brauchen, damit sie und ihre Familien überleben können, und einer Minderheit, die reich und mächtig ist. Der Mörder in meinem letzten Roman sagt zum Kommissar: »Was heute um uns herum passiert, ist eine Farce, Herr Kommissar. Eine Farce, bei der das Finanzsystem Regie führt und die Politiker als Schauspieler auf der Bühne stehen.«
Hoffnungen? Auswege?
Hoffnung? Das Einzige was mir dazu einfällt ist der Titel eines Stücks von Ödon von Horvàth: »Glaube, Liebe, Hoffnung«.
In Ihrem neuen Kriminalroman ist ein Schauplatz auch in einer Ruine in Exarchia angesiedelt. Ist diese Geschichte um das ehemalige Wohnhaus des Dichters Napoleon Lapathiotis ausgedacht?
Nein, diese Ruine gibt es, sie war das Wohnhaus der Familie Lapathiotis. Der Dichter Napoleon Lapathiotis lebte dort fast 40 Jahre mit seiner Familie. Sein Vater war Offizier beim griechischen Militär.Napoleon Lapathiotis war homosexuell und eine sehr prominente Figur der literarischen Salons. Er hatte in seinem Leben nie arbeiten, kein Geld verdienen müssen, weil er vom Einkommen seines Vaters leben konnte. Als sein Vater 1942 starb, war der Sohn völlig mittellos. 1944 beging er Selbstmord.
Wie sind Sie auf diese Geschichte gestoßen? Hat auch die Dichtung für Sie eine Rolle gespielt?
Die Dichtung spielt keine Rolle im Roman. Aber das verfallene Haus kennt jeder Einwohner von Exarchia, als »das Haus von Lapathiotis«. Und es geht um einen chinesischen Investor. Solche gibt es mittlerweile auch in meiner Heimat. Bis zur Pandemie haben Chinesen in Exarchia alles aufgekauft. Exarchia ist ein sehr zentrales, aber auch sehr verkommenes Viertel, weil es jahrelang ein Anarchisten- und Drogenviertel war mit sehr niedrigen Immobilienpreisen. Die Chinesen wollten Exarchia in ein AirBnB-Quartier verwandeln.
AirBnB ist ein 2008 im kalifornischen Silicon Valley gegründetes US-amerikanisches Online-Portal für Buchung und Vermietung von Unterkünften rund um den Globus. Gab und gibt es heute noch Spekulationen um diese Ruine?
Nein. Das Haus von Lapathiotis wurde Mitte der 80er Jahre als Kulturerbe der Stadt Athen eingestuft. Es gibt aber keine Erklärung dafür, dass das Haus nach wie vor als Ruine dasteht und vom Kulturministerium nicht restauriert wird.
Was ist aus dem ehemaligen Anarchisten-Viertel Exarchia geworden? Aus und vorbei, gänzlich Opfer der Gentrifizierung?
Es gibt zwar ab und zu Protestmärsche und Demonstrationen, aber das alte Anarchisten-Viertel existiert nicht mehr.
Unternimmt Athen eigentlich etwas gegen AirBnB? Andere Städte, Amsterdam etwa oder auch Berlin, versuchen, dem Ausverkauf einen Riegel vorzuschieben. Gibt es ähnliche Anstrengungen der Athener Stadtregierung?
Soviel ich weiß, werden AirBnB-Wohnungen nunmehr versteuert. Andere Maßnahmen gibt es meines Wissens nicht. Die Mieten sind mittlerweile in vielen Athener Vierteln wegen AirBnB so stark gestiegen, dass die Wohnungen für normale Athener Familien unerschwinglich sind.
Haben Sie mit Ihrem Roman in Griechenland eine Debatte anstoßen können? Oder bleibt Literatur eben nur Literatur?
Meine Romane lösen immer eine Debatte aus, weil sie politisch engagiert sind. In meinem neuen Roman geht es um den Selbstmord der Linken und den Niedergang des Mittelstands. Das brennt vielen Leuten auf den Nägeln.
Seit bald 30 Jahren schreiben Sie jetzt Kriminalromane, 1995 erschien ihr erste Roman in Griechenland, in Deutschland dann fünf Jahre später, im Jahr 2000. Hat sich das Menschenbild vom Kommissar, Kostas Charitos, in dieser Zeit gewandelt?
Einerseits kenne ich Charitos nach 25 Jahren viel besser als am Anfang unserer Freundschaft. Ich habe einige Seiten seines Charakters entdeckt, die mir unbekannt waren. Andererseits hat sich auch die Situation von Charitos verändert. Dazu hat sowohl seine Beziehung zu Adriani, seiner Frau, als auch die Geburt von Lambros, seinem Enkel, beigetragen. Charitos ist nicht nur Polizist, sondern auch Großvater. Seine menschliche Seite kommt dadurch stärker heraus.
Und Ihr eigenes Menschenbild? Ist es düsterer geworden?
Immer wenn mich die düstere Realität überwältigt, denke ich an den Vers aus dem Gedicht von Bertolt Brecht »Das Lied von der Moldau«: »Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.«
Bleiben die negativen Tendenzen des Menschen am Ende siegreich? Das wäre dann die Apokalypse.
Die negativen Tendenzen werden nicht siegen, solange wir den Kampf nicht aufgeben. Wir müssen uns von unserer Passivität befreien.
Sokrates sagte: Die schlimmste Sklaverei sei die Unterwerfung unter unsere Begierden. Sind wir so weit? Befinden wir uns in der Sklaverei?
»Das Leben ist ein Traum« lautet der Titel eines Theaterstücks des spanischen Dichters Pedro Caldéron de la Barca. Es gibt keinen Kampf ohne Träume. Geld ist kein Traum, sondern die Unterwerfung unter unsere Begierden, also Sklaverei, wie Sokrates sagt.
Und ausgerechnet Silvester/Neujahr feierten Sie wieder, wie jedes Jahr, auch Ihren Geburtstag? Ein Witz der Geschichte und eine Zufälligkeit zugleich, oder?
Ja, es geht nicht anders. Die Feier findet immer um zwölf Uhr mitternachts statt. Dann heißt es: Ich wünsche dir ein glückliches neues Jahr und beglückwünsche dich auch zu deinem Geburtstag. Das muss nicht sein! Das neue Jahr genügt! Aber ich muss es schlucken. Das ist wie das Shampoo zwei in eins.
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