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Pandemie-Bekämpfung und Enteignung

Im neuen Jahr 2022 muss der rot-grün-rote Senat große Probleme lösen - ein politischer Jahresausblick

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Herausforderungen könnten kaum größer sein. Mit der Ausbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus steht auch der Berliner Senat gleich zu Jahresbeginn erneut vor harten Wochen des Krisenmanagements - großartig Zeit zur Einarbeitung bleibt da für die größtenteils neuen Regierungsmitglieder nicht. Schon über die Weihnachtstage und den Jahreswechsel agierte Rot-Grün-Rot mit Sondersitzungen und Besuchen vor Ort in Impfzentren und Krankenhäusern im Krisenmodus. In den ersten Wochen des Jahres dürfte es jetzt auch darum gehen, die kritische Infrastruktur der Stadt - das Gesundheitssystem, Krankenhäuser, Wasser- und Energieversorgung sowie Polizei und Feuerwehr - abzusichern. »Wir werden weiter die Gesundheit unserer Bevölkerung schützen, die Pandemie bewältigen und die Chancen unserer Stadt nutzen«, erklärt Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) in ihrer Neujahrsansprache an die Berliner Bevölkerung. Der neue Senat werde die Probleme gemeinsam mit seinen Partnerinnen und Partnern anpacken.

»Ich wünsche mir, dass 2022 die Wende bei Corona bringt«, sagt der SPD-Landesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende im Abgeordnetenhaus, Raed Saleh, zu »nd«. Zwar werde man noch länger mit der Pandemie leben müssen, aber man werde hoffentlich das Virus sehr bald weitestgehend im Griff haben. »Dann haben die Menschen in unserer Stadt auch endlich wieder Grund zum Optimismus«, erklärt Saleh. »2022 bringt hoffentlich für uns alle Gesundheit, Freude und das Leben, wie wir es kannten.« Die Wirtschaft werde dann noch stärker anziehen und die Kurzarbeit gehe dann hoffentlich weitestgehend zurück, erklärt der SPD-Politiker.

Von einer erfolgreichen wirtschaftlichen Entwicklung hängen auch unmittelbar die Einnahmen des Landes Berlin ab. Nach vielen Jahren des wirtschaftlichen Wachstums hatte die Coronakrise Berlin abrupt und stark getroffen. Es scheint aber so, dass die Hauptstadt am Ende vergleichsweise glimpflich durch die Krise gelangen könnte. Das hängt unter anderem mit der in Berlin stark vertretenen Digitalwirtschaft zusammen, die auch in Coronazeiten florierte. Die finanzielle Perspektive erwies sich zuletzt als nicht gar so düster wie noch vor einigen Monaten gedacht: Die gute Prognose zum Jahresabschluss 2021, höhere Steuereinnahmen und gute Konjunkturaussichten verhießen zuletzt möglicherweise sogar größere finanzielle Spielräume, mit denen der Senat seine zentralen politischen Absichten angehen kann.

An erster Stelle stehen dabei sicher der Neubau von bezahlbarem Wohnraum und der Klimaschutz. Noch im Januar will sich der rot-grün-rote Senat auf einer Klausur über einige Vorhaben und ein 100-Tage-Programm verständigen. Außerdem soll eine Verständigung über die Richtlinien der Regierungspolitik erzielt werden.

»Oberste Priorität hat das Thema Bauen und Wohnen. Wir werden ein neues ›Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen‹ gründen und diese wichtige soziale Zukunftsfrage gemeinsam mit städtischen und privaten Partnern angehen«, kündigt die Regierende Bürgermeisterin Giffey an. Nicht weniger als 20.000 neue Wohnungen jedes Jahr, davon 5000 geförderte Sozialwohnungen im unteren und mittleren Preissegment, sollen in Berlin gebaut werden. Das sei das Ziel, für das sich die Regierende auch persönlich in den kommenden Monaten einsetzen will.

Ob diese Zielzahlen des Senats nicht zu hoch gegriffen sind, angesichts von steigenden Bodenpreisen und horrend teuren Baukosten, wird sich 2022 zeigen. Nur mit Neubau, das dürfte kaum jemand bezweifeln, wird der Mietenwahnsinn in der Hauptstadt aber kurzfristig nicht zu beenden sein. Auch SPD-Spitzenpolitiker Raed Saleh sagt: »Wenn ich einen persönlichen Wunsch frei hätte, dann würde ich mir für 2022 wünschen, dass niemand in Berlin fürchten muss, aus seinem Kiez vertrieben, abgehängt oder ausgegrenzt zu werden.« Auch die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey fordert deutliche Verbesserungen beim Mieterschutz.

Aber wie soll das im neuen Jahr konkret auf Berliner Landesebene gelingen, wo doch im Vorjahr starke Regulierungsinstrumente wie der Mietendeckel und das kommunale Vorkaufsrecht in Milieuschutzgebieten von Gerichten geschliffen worden sind? Die mitregierende Linkspartei hat dazu eine Vorstellung. »Ích wünsche mir für 2022 die zügige Einsetzung der Expert*innenkommission zur Umsetzung des Volksentscheides Deutsche Wohnen & Co enteignen«, sagt die Landesvorsitzende der Linkspartei, Katina Schubert, dieser Zeitung. Die Kommission solle Wege zur rechtssicheren Umsetzung aufzeigen, betont die Linke-Politikerin.

2022 dürfte aus dieser Perspektive ein entscheidendes Jahr für den erfolgreichen Volksentscheid werden. Klar ist auch, die SPD lehnt das Ansinnen der Initiative, große Wohnungskonzerne mit jeweils mehr als 3000 Wohnungen in Berlin zu vergesellschaften, strikt ab, auch große Teile der Grünen sehen in der angestrebten Sozialisierung allenfalls eine »Ultima Ratio«. Nur die Linke stand von Beginn an hinter der Enteignungsidee. Gleichwohl wird man in der Linkspartei nicht müde zu betonen, dass es sich um keine »triviale« Angelegenheit handele, die sorgfältig vorbereitet werden muss. In diesem Jahr wird sich zeigen, wohin diese schwierige senatsinterne Konfliktkonstellation führen wird. Zu einem Koalitionsbruch, wie einige unken, oder zu einem Aufbruch zu neuen politischen Ufern?

Neuen Schwung braucht das Mitte-links-Bündnis indessen auch beim Thema Klimaschutz und der Umsetzung der Verkehrswende. »Wir wollen Berlin spürbar lebenswerter machen«, hatte Bürgermeisterin und Verkehrssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) bereits beim Amtsantritt angekündigt. »Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit als Leitprinzipien zu begreifen«, das sieht auch die Linke-Landesvorsitzende Katina Schubert als wichtige Richtschnur der Koalition an.

Neben der geplanten energetischen Sanierung landeseigener Gebäude will Rot-Grün-Rot auch in der Verkehrspolitik in diesem Jahr neue Akzente setzen. Unter anderem soll der Preis für Anwohnerparkvignetten angehoben werden. Von rechnerisch zehn Euro pro Jahr auf 120 Euro. Den CDU-Landeschef Kai Wegner ärgert das: »Jetzt geht es darum, Autofahrer abzuzocken, das ist ein deutlich anderer Weg«, rügt er die geplante Erhöhung der Gebühren. Das Beispiel zeigt: Rot-Grün-Rot wird nicht nur interne Debatten auszutragen haben, sondern wird auch gleich von der Opposition schwer kritisiert. Das Schema Klientelpolitik und Autofahrerhass ist indes das Altbekannte.

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