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Mein Meistertipp
BallHaus Ost: Der BFC könnte für einen Triumph fast vergessener Tugenden sorgen
Die Regionalliga Nordost zieht in den Himmel (oder war es die Hölle?). Beim Betrachten der Tabellensituation durchfährt mich jedenfalls die Parole: Steigerung des erfahrbaren Glücks ohne materiellen Besitz. Denn es steht mit dem BFC Dynamo nicht die teuerste und bestbezahlte Mannschaft auf dem ersten Platz.
In seiner Kolumne "Ballhaus Ost" blickt Frank Willmann alle zwei Wochen auf die Geschehnisse im Ostfußball - das wilde Treiben in den Stadien zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.
Alle Texte finden sie unter dasnd.de/ballhaus
Sollte sich der BFC dort halten, wäre es ein Triumph fast vergessener Tugenden: Zusammenhalt, Integration aller Spieler unter dem Gedanken der Gemeinschaft, unbedingter Wille. Unter Trainer Christian Benbennek, der bei seinen bisherigen Stationen nicht durch große Erfolge auffiel, gelang es ein echtes Team zu gestalten. Trotz, oder gerade wegen eines Stars wie Christian Beck. Der Stürmer ist nicht der Schnellste, webt aber ob seiner bescheidenen Art jede Minute am Teamgeist. Eitelkeit ist ihm fremd, die sonst übliche Dünkelhaftigkeit eines einst großen Altspielers verfinstert somit nicht die Gesamterscheinung.
Mal rein sportlich betrachtet, stimmte beim BFC der ersten Halbserie einfach alles. Lag die Mannschaft zurück, ließ sie sich nicht aus der Fassung bringen. Gegen auf dem Papier stärkere Teams (Cottbus, Berliner AK) konterte man klug und listig. Ging es mal schief (in Jena und gegen Lok), wurde das im nächsten Spiel weggelächelt. Teams aus dem Tabellenkeller nimmt der BFC ernst, spielt auswärts frisch auf und hat smarte Vollstrecker in der Mannschaft, die jederzeit wissen, wo das Tor steht.
Zur Verblüffung der Fans ist der jahrzehntelange Dornröschenschlaf des schon damals so umstrittenen DDR-Dauermeisters derzeit unterbrochen. Auch die neue = alte Heimstätte im Sportforum verleiht der Mannschaft zusätzliche Flügelchen. Dem Berliner Pokalgeschehen durch eine frühe Niederlage geschickt entronnen, kann sich der BFC ganz der Rückrunde hingeben. Bleiben die Weinroten vom Verletzungspech verschont, liegt es durchaus im Bereich des Möglichen, dass Verein und Anhängerschaft in der nächsten Saison das Treiben in der 3. Liga verrückt machen. Den BFC auswärts in Mannheim, Kaiserslautern oder bei 1860 zu erleben, käme ein wenig der Landung der Marsfrauchen gleich und verspricht hohen Unterhaltungswert.
Die Liebe zum Verein ist bei Fans ein geradezu spiritueller, zentralmenschlicher Fakt. Leider wird die Erfüllung des Grundbedürfnisses, der Aufstieg in eine höhere Liga, oft erschwert durch unsagbar talentfreie Spieler, miese Trainer, uninspirierte Funktionäre. Neben dem BFC tummeln sich 19 weitere Mannschaften in der Liga, die durch den Schlamm der Täuschung und des Scheiterns irren werden. Mein geliebter FCC Jena gehört dazu. Wenn ein Baby laufen lernt, fällt es zunächst permanent hin. Durchschnittlich 17 Mal pro Stunde und damit geschätzte 100 Mal am Tag. In Jena versuchen wir in jeder Saison das Laufen erneut zu lernen. Die Praktikanten auf der Trainerbank und im Büro der Sportlichen Leitung feilen indes am Gesellenstück oder schmollen im Traditionskabinett und verpassen regelmäßig den Startschuss.
Auf Platz zwei und drei stehen Cottbus und der Berliner AK. Trainerfiesling Wollitz ist zu allem fähig. Wenn dieser Zonentsunami Feuer unter den Ärschen seiner Fußballsklaven legt, kommen die spielend auf 111 Prozent.
Der BAK spielte unter Coach André Meyer angriffsbetonten Fußball. Nun wurde das Trainertalent vom Halleschen FC weggekauft. Tragisch für den BAK und seine Perspektive.
Jena, Lok und Chemnitz stehen auf den Plätzen vier bis sechs. Lok und Chemnitz sind kämpferisch extrem stark und kompensieren fehlende spielerische Klasse mit brennendem Eifer. Ehrgeiz und Siegeswille sind in Jena Fremdworte. Darum lautet mein Meistertipp: BFC Dynamo oder Energie Cottbus.
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