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Myanmar verliert eine ganze Generation
Die Vereinten Nationen schätzen, dass ein Viertel der Bevölkerung humanitäre Hilfe benötigt
Vor einem Jahr befand sich Myanmar noch im Aufschwung. Gerade hatte die von der Demokratie-Ikone Aung San Suu Kyi angeführte Nationale Liga für Demokratie (NLD) mit großer Mehrheit die Wiederwahl gewonnen. Das Wirtschaftswachstum hatte im Vorjahr trotz Pandemie gut drei Prozent betragen. Zwar gehört das 54-Millionenland im Südosten Asiens weiter zu den ärmsten der Welt, doch die jüngere Generation war voller Tatendrang und Zuversicht.
Davon ist nichts übrig. Ein Report des Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) kam vor kurzem zum Ergebnis, dass in diesem Jahr 14,4 Millionen Menschen voraussichtlich humanitäre Hilfe benötigen werden - ein Viertel der Bevölkerung. Ihnen wird es am Nötigsten zum Leben fehlen: Essen, Strom und weitere Dinge von grundlegender Bedeutung. Die UN-Organisation spricht von nie dagewesenen Herausforderungen.
Seit dem 1. Februar 2021 befindet sich Myanmar im freien Fall. Als das neu gewählte Parlament zum ersten Mal tagen sollte, putschte das trotz der demokratischen Verfassung mit diversen Vetorechten ausgestattete Militär. Es folgten zuerst friedliche Demonstrationen in den größeren Städten, dann ein Generalstreik. Bald schlug das Militär die Proteste brutal nieder. Das wirtschaftliche Leben im Land wurde lahmgelegt. Durch die Streiks fuhren kaum noch Lkw’s, die Waren von den Häfen ins Landesinnere transportierten. Diverse, vom Militär kontrollierte Unternehmen - von der Herstellung von Zigaretten bis zum Bankenwesen - wurden von weiten Teilen der Bevölkerung boykottiert.
OCHA nennt nun als wichtigste Gründe für die zunehmende Hilfsbedürftigkeit gestiegene Preise für Lebensmittel und Benzin an. Diverse Preissprünge erklären sich einerseits dadurch, dass im Land ein reeller Mangel der grundsätzlichsten Güter besteht, zumal Myanmar in hohem Maß von Importen abhängt. Indem viele Menschen inmitten des Chaos ihren beruflichen Tätigkeiten kaum noch nachgehen können, lässt auch die Kaufkraft nach.
Hinzu kommt, dass der Wert des Kyat, der nationalen Währung, seit dem Putsch stark an Wert verloren hat. Dies liegt nicht nur daran, dass ausländische Investoren und Unternehmen ihr Geld abgezogen haben. Im Land sind auch die Reserven von US-Dollar bald aufgebraucht, die Nachfrage nach der krisenfesten Währung steigt, der Kyat verliert an Wert.
Was den Nachwuchs angeht, nennt der OCHA-Bericht weitere Probleme, die durch Covid-19 entstanden sind: Rund zwölf Millionen Kinder konnten seit Beginn der Pandemie teilweise nicht zur Schule gehen. In einem Land ohne flächendeckenden Internetzugang kann gerade in ländlichen Gebieten kaum auf Onlineunterricht umgeschwenkt werden. Myanmar droht eine ganze Generation zu verlieren.
Politisch zeichnet sich kein Ende des Konflikts ab. Seit dem Putsch sind laut der Unterstützungsvereinigung für Politische Gefangene (AAPP) an die 1400 Menschen inmitten der Proteste gestorben. Rund 8200 befinden sich demnach derzeit in Haft. Ende 2021 wurde mit Aung San Suu Kyi die wichtigste Identifikationsfigur zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Nur scheinen diese Entwicklungen die Gegner des Militärs weniger einzuschüchtern, als anzustacheln. Am Montag berichtete die AAPP wieder von fünf »gefallenen Helden.« Der Konflikt ist derart eskaliert, dass die Toten, die sich für die Demokratie eingesetzt haben, nicht nur beweint, sondern auch heroisch bejubelt werden.
Eine Schattenregierung aus Protestanführern und der vor dem Putsch gewählten Politiker hat im Ausland Geld gesammelt, um einen bewaffneten Kampf gegen das Militär zu führen. Dies wiederum sucht die Nähe zu China. Im Dezember wurde bestätigt, dass die Junta fortan für den Handel mit dem nördlichen Nachbarn die chinesische Währung als Zahlungsmittel akzeptieren wird. In Myanmar, das für Chinas Handelsprojekt der Neuen Seidenstraße eine wichtige Rolle einnimmt, sind auch mehrere Infrastrukturprojekte geplant.
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