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Im Wunderland der Mega-Jachten
Das Meer wird zum Rückzugsort der Reichen und Superreichen. Deutsche Werften gehören zu den Marktführern
Es ist eine Art Wunderland, die Käufern der »Alice« versprochen wird: »Parks und Teiche verwandeln das Deck der Jacht in ein Naturparadies, das zusammen mit den lebendigen Wänden im Innenraum ein einzigartiges Ökosystem an Bord schafft. Der frische Duft der Natur umgibt ›Alice‹ in seiner eigenen Atmosphäre, und Teak wird durch schnell nachwachsendes Holz aus biologischem Anbau ersetzt, das die hohen Standards für Jachten mit der gleichen exquisiten Optik und Haptik erfüllt.« Soweit der Marketingtext, mit dem die Bremer Werftengruppe Lürssen ihre neue, rund 100 Meter lange Mega-Jacht »Alice« bewirbt.
Der eigentliche Clou dieses Wunderlandes auf See wird allerdings der Brennstoffzellantrieb, der bislang lediglich in U-Booten erprobt ist. Diese Technologie, so behauptet Lürssen, ermöglicht es, insgesamt 15 Tage emissionsfrei zu ankern oder 1000 Seemeilen mit langsamer Geschwindigkeit zu segeln.
Die Namen der Auftraggeber solcher Mega-Jachten gelten als »Top Secret«. Zusammen mit Bordhubschrauber und Mini-Jacht für den Landausflug dürfte der Preis der »Alice« um die 500 Millionen Euro betragen - plus X. Dabei sind die Schiffe der 100-Meter-Klasse heiß begehrt. In einer Konsumwelt, in der Villa und Mercedes schon zum Standard der oberen Mittelschicht gehören, gibt es wenige Produkte, mit denen sich Reiche und Superreiche von diesen noch abgrenzen können. Besonders für Eigner aus der früheren Sowjetunion oder den Golfstaaten spielt zudem Sicherheit eine Rolle. Gerade seit »9/11« ist das Meer zum Rückzugsort der Reichen geworden.
Weltweit steigt die Zahl der »High Net Worth Individuals«, Menschen, die wenigstens eine Million Dollar flüssig haben, seit Jahrzehnten. 2020 überschritt deren Anzahl weltweit erstmals die 20-Millionen-Grenze. Gleichzeitig stieg das Gesamtvermögen dieser Personengruppe auf fast 80 Billionen US-Dollar, heißt es im »World Wealth Report 2021« von Capgemini.
Begünstigt wurde diese Entwicklung durch hohe Unternehmensgewinne, steigende Kurse an den Aktienmärkten und den rasanten Wertzuwachs von teuren Immobilien. Nun kann sich natürlich nicht jeder Millionär eine Mega-Jacht leisten. Aber aus der maritimen Branche wird auch für Schiffsklassen bis 10, 25 und bis 50 Meter von langen Wartelisten berichtet. Millionäre und Milliardäre, die heute bestellen, dürfen sich erst in einigen Jahren über ihren Neubau freuen.
Die große Nachfrage hat natürlich auch volkswirtschaftliche Effekte. »Die beeindruckenden Erfolge beim Bau von Kreuzfahrtschiffen und großen Jachten haben der deutschen Schiffbauindustrie in der letzten Dekade Wachstum beschert und weltweit große Anerkennung für ihre hohe Leistungsfähigkeit gebracht«, heißt es im Jahresbericht des Verbandes für Schiffbau und Meerestechnik (VSM) in Hamburg.
Das halbe Dutzend Werften in Europa, welche sich den Weltmarkt für Mega-Jachten weitgehend teilen, besitzen eingespielte Produktionsstrukturen und setzen auf ausgefeilte Lieferketten. Schätzungsweise 1500 Zulieferer sind am Bau einer Jacht beteiligt. Entsprechend ist die eigentliche Werft vor allem Systemintegrator, deren Fertigungstiefe vielleicht ein Drittel beträgt.
Neulinge tauchen in der lukrativen, aber hochkomplexen Branche daher nie auf. Genauer gesagt, fast nie: Nun sorgt ausgerechnet der Branchenführer für den Bau von Kreuzfahrtschiffen für Aufregung. Die Meyer-Werft im niedersächsischen Papenburg kündigte kurz vor dem Jahreswechsel an, zukünftig Mega-Jachten zu fertigen. »Ein weiter Schlüssel für unseren Wandel für eine langfristige Zukunft waren und sind neue Aufträge und sowie neuerdings auch die Ergänzung unseres Produktportfolios«, ließ sich Geschäftsführer Thomas Weigend Ende Dezember in einer Mitteilung zitieren.
Auf der »Monaco Yacht Show«, der jährlich stattfindenden Messe für Luxus-Yachten in dem noblen Mini-Fürstentum, sorgte eine Konzeptstudie der Meyer-Gruppe für Aufsehen. Die vollständig mit Brennstoffzellen und Batterien betriebene Mega-Jacht »One 50« habe sehr positives Feedback aus der Branche erhalten. Gegenüber der alteingesessenen Konkurrenz sieht man sich an der Ems sogar im Vorteil. Das Familienunternehmen hat überdachte Baudocks, in denen Schiffsgrößen gebaut werden, »die andere Werften nicht bieten können«, erklärt Geschäftsführer Bernard Meyer. Schließlich sind die touristischen Traumschiffe bis zu 300 Meter lang und länger.
Meyer reagiert damit nicht allein auf den Boom bei Mega-Jachten, sondern auch auf die schleppenden Bestellungen von Kreuzfahrtschiffen. Mit dem Auftrag der japanischen Reederei NYK hat die Werft erst kürzlich den ersten Auftrag für ein Kreuzfahrtschiff seit Beginn der Corona-Pandemie erhalten. Deren Überführung durch die enge Ems bleibt jedoch ein kostspieliges Unterfangen, das mit den kürzeren Jachten umschifft werden könnte.
Bei den Luxusbooten gilt Lürssen bislang global noch als Nummer eins. Zur familiengeführten Gruppe gehören auch Blohm+Voss in Hamburg und die Peene-Werft in Wolgast, in denen Marineschiffe gebaut und gewartet werden. Ein Massengeschäft ist auch das Geschäft mit Milliardären selbstverständlich nicht. Immerhin einige 100 000 Menschen werden die »Alice« noch in diesem Jahr zu sehen kriegen. Das Modell der Mega-Jacht soll demnächst im »Miniatur-Wunderland« in Hamburg zu bestaunen sein.
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