Die Ruhe vor dem Sturm

Der Schulstart in Berlin ist überraschend entspannt verlaufen – viele rechnen damit, dass das nicht so bleibt

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Sorgen vor explodierenden Infektionszahlen an Berlins Schulen nach den Weihnachtsferien haben sich offenbar nicht bestätigt. Zumindest vorerst nicht. »Es ist tatsächlich relativ entspannt«, sagt etwa Sven Zimmerschied, Leiter der Friedensburg-Oberschule in Charlottenburg, zu »nd«. Von seinen über 1200 Schülerinnen und Schülern sind in den ersten drei Schultagen nach den Ferien nur fünf positiv auf Corona getestet worden, drei weitere Meldungen seien am Mittwoch später noch hinzugekommen, berichtet der Schulleiter. Dass die Lage nicht so entspannt bleiben wird, zeichne sich zwar ab – zumal die hochansteckende Omikron-Virusvariante in Berlin seit Dienstag dominant ist. Aber, so Zimmerschied weiter: »Noch ist die Welle nicht da.«

Eine Einschätzung, die man so auch von vielen anderen Schulen hört. »Die Situation scheint sich doch ruhiger darzustellen, als zum Teil befürchtet worden ist«, sagt auch Landeselternsprecher Norman Heise zu »nd«. Auch er sei von einem »deutlichen Anstieg der Inzidenzen nach den Ferien« ausgegangen. »Das sehen wir jetzt zumindest noch nicht.« Genaueres wisse man freilich erst am Ende der Woche, wenn die Senatsbildungsverwaltung erstmals seit Mitte Dezember wieder ihre Zahlen zu den positiv getesteten Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern veröffentlicht.

Das Grundproblem ist, dass Berlin mit Blick auf die Infektionszahlen nach wie vor ein Stück weit im Nebel stochert. So stieg die Sieben-Tage-Inzidenz zwar von Dienstag auf Mittwoch rapide an, von 287 auf nun 336. Fast ein Viertel aller berlinweiten Meldungen entfiel dabei aber auf den Bezirk Mitte, der nach längerem Dämmerschlaf erstmals wieder Zahlen veröffentlichte, bei denen es sich wiederum zu einem nicht unerheblichen Teil um Nachmeldungen handeln dürfte. Kurzum: Auf die aktuellen Inzidenzen ist wenig Verlass. Klar scheint nur die Kurve beim Infektionsgeschehen. Und die geht besorgniserregend schnell nach oben.

Auch deshalb gibt es in Teilen der Elternschaft den unverändert lauten Ruf nach einem Aussetzen der Präsenzpflicht. Eine Schülerin oder ein Schüler kann aktuell von der Anwesenheitspflicht vor Ort in der Schule nur dann befreit werden, wenn, so die Bildungsverwaltung, »bei ihr oder ihm eine Grunderkrankung vorliegt, die im Falle einer Infizierung mit dem Coronavirus zu einem besonderen gesundheitlichen Risiko für sie oder ihn führen kann«. Für alle anderen gilt: Ab in die vollen – und vielerorts dank Dauerlüften kalten – Klassenräume. Denn alle Tage daheim werden als unentschuldigtes Fehlen im Zeugnis vermerkt.

Kurz vor Weihnachten hatte auch der Landeselternausschuss mit Blick auf die drohende Omikron-Welle gefordert, dass die Präsenzpflicht zumindest teilweise ausgesetzt wird. Davon sei man nun wieder ein Stück weit abgerückt, sagt Elternvertreter Norman Heise: »Als die Präsenzpflicht im vergangenen Schuljahr ausgesetzt war, hat man gesehen, dass das bisweilen auch Schuldistanz provoziert hat. Das ist die Gefahr, wenn man das macht.«

Die Linke-Politikerin Claudia Engelmann will bei dem Schuldistanz-Argument nicht mitgehen. »Mir ist keine Statistik bekannt, aus der hervorgeht, dass Eltern laissez-faire mit der ausgesetzten Präsenzpflicht umgegangen wären und ihre Kinder einfach so zu Hause gelassen hätten«, sagt die Bildungs- und Jugendpolitikerin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus zu »nd«. Sie bleibe bei ihrer seit Längerem vertretenen Forderung: »Eltern sollten allein entscheiden können, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken oder nicht.«
Die Linke hätte sich in dieser Hinsicht bereits vor den Weihnachtsferien mutigere Entscheidungen gewünscht, sagt Engelmann: »Aber das war mit der Bildungsverwaltung nicht zu machen. Und nun? Die Zahlen steigen, das sehen wir, und alles bleibt so, wie es ist. Das geht so nicht.«

Absehbar ist bei alldem, dass die Bildungsverwaltung vorerst nicht davon abrücken wird, Präsenzunterricht mit Anwesenheitspflicht zum Gebot der Stunde zu erklären, Omikron hin oder her. Rückendeckung hierfür gab es erst am Dienstag erneut von Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). »Kinderschutz ist auch Gesundheitsschutz. Und Kinderschutz heißt auch, dass sie in die Schule gehen können«, sagte Giffey im Anschluss an die erste Senatssitzung des neuen Jahres. Wobei sie abermals bekräftigte, »dass wir alles tun werden, um den Präsenzunterricht und den Schulbetrieb hier in Berlin aufrechtzuerhalten«.

In gewisser Weise schon wieder konterkariert wird dieser Anspruch dadurch, dass ab kommendem Montag die Coronatest-Frequenz von aktuell täglich wieder auf dreimal die Woche heruntergeschraubt wird. Schulleiter Sven Zimmerschied sagt, er habe angesichts des riesigen Beschaffungsaufwands durchaus Verständnis für diesen Schritt. Und letztlich sei es sicherer, »die Senatsverwaltung kann drei Tests absichern als gar keine mehr«. Dennoch: »Ich hätte mir gewünscht, wir wären bei fünf Tests geblieben.«

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