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Schwarz-gelbe Gratwanderung
Dortmund mit 3:2-Kraftakt in Frankfurt nach 0:2-Rückstand
Marco Rose sah ein bisschen so aus wie einer, der gerade eine wilde Schneeballschlacht mit seinen Jungs im tief verschneiten Frankfurter Stadtwald gewonnen hatte. Zu seinem verschmitzten Grinsen passte die olivgrüne Pudelmütze, die der Trainer von Borussia Dortmund selbst bei der digitalen Pressekonferenz aus dem Presseraum der Arena nach einer spektakulären Aufholjagd bei Eintracht Frankfurt (3:2) noch trug. Dabei hatte der Hausmeister gar nicht die Heizung abgeschaltet. Der gesamte Bereich unter der Haupttribüne war wohltemperiert, weil 250 Logengäste den ersten Dortmunder Auswärtserfolg in der Main-Metropole seit dem 1. September 2013 erleben konnten. Rose hätte sich allerdings eine deutlich stattlichere Kulisse gewünscht, denn: »Ohne Fans fehlt in diesem Sport eigentlich alles!«
Tatsächlich wäre das Topspiel am Samstagabend wie gemacht gewesen, in der Pandemie entfremdetes Publikum mal wieder zu erfreuen. Eintracht-Coach Oliver Glasner sprach gleich mehrfach von einem »absoluten Spitzenspiel« - und übertrieb keineswegs: Die in der ersten Halbzeit bärenstarke Eintracht hätte sogar höher führen können als 2:0 durch Rafael Borré (15. und 24.). Doch am Ende jubelte der zur zweiten Hälfte erwachte BVB nach Toren des eingewechselten Thorgan Hazard (71.), Jude Bellingham (86.) und Mahmoud Dahoud (89.). Plötzlich ist der Rückstand auf den FC Bayern auf sechs Punkte verkürzt. Darüber wollte Rose gar nicht viel sagen, außer: »Wir würden gerne die Bundesliga spannend machen, wissen aber auch, was die Bayern zu leisten imstande sind.«
Es kann Dortmund indes nur helfen, zumindest für einen Spieltag die Abhängigkeit von Tormaschine Erling Haaland widerlegt zu haben. Der für seine Verhältnisse blasse Norweger hatte sich mit einer Vorlage begnügt und ansonsten nur unpräzise Abschlüsse zu bieten, ehe er sich ein heftiges Gerangel und Wortgefecht mit dem Frankfurter Haudegen Martin Hinteregger um das Spielgerät lieferte, das Haaland nach dem 2:2 flugs zum Anstoßkreis tragen wollte. Dass sich der BVB-Stürmerstar wegen seiner Schimpfkanonade eine Gelbe Karte einhandelte (87.) und später auch noch bedrohlich vor Doppeltorschütze Borré aufbaute, wertete sein Trainer als Beleg für den Ehrgeiz aller. Nach den Rückschlägen gegen den FC Bayern und Hertha BSC (jeweils 2:3) zum Ende der Hinrunde war genau eine solche Trotzreaktion vonnöten, um die lästigen Mentalitätsdebatten nicht gleich in der Rückrunde fortzusetzen.
Wortführer Mats Hummels sprach von »einem geilen Sieg«, wobei der nach eigenem Bekunden wieder vollständig fitte Abwehrchef das »ganz große Thema« nicht vergaß: »Die Stabilität müssen wir uns ganz oben auf die Fahne schreiben, wenn wir etwas erreichen wollen. Und wenn wir was gewinnen wollen diese Saison, brauchen wir das Energielevel der zweiten Hälfte über 90 Minuten.« Der Fußballlehrer konnte seinem Klassensprecher nur beipflichten. Gegentore nach Standards (wie beim 0:1) oder Ballverlusten (erst Thomas Meunier, dann Marco Reus vor dem 0:2) gehörten endlich abgestellt.
Rose vertiefte ansonsten sein Grundsatzreferat über Nachhaltigkeit, wobei bei ihm (noch) nicht die ökologisch gerechte Produktion von Fanutensilien gemeint ist. Sondern genau solche Trotzreaktionen, wenn es mal nicht so läuft: »Das war ein Beispiel dafür, wie es aussehen kann und soll.« Bloß nicht resignieren, predigt der 45-Jährige fürs neue Jahr. Trotz der vielen einfachen Ballverluste: Keiner habe abgewunken, jeder den anderen unterstützt. »Dass wir das Spiel gedreht haben, sollte den Jungs zeigen, dass sich das Thema Haltung sehr lohnt. Bei diesem Thema fordere ich auch Nachhaltigkeit«, sagte Rose. »Ein Einstellungsthema haben wir sowieso nie: Wir sind wieder 123 Kilometer gelaufen, haben über 260 Sprints gemacht. Daher sollte uns das Spiel was geben.« Nun sei er mal selbst gespannt.
Die nächsten drei Bundesligaspiele stehen gegen die unmittelbaren Verfolger SC Freiburg (Freitag), TSG Hoffenheim (22. Januar) und Bayer Leverkusen (6. Februar) an. Besteht die junge BVB-Truppe diese Charaktertests, dann geht vielleicht auch noch was in Sachen Meisterschaftskampf. Denn den am Freitag patzenden FC Bayern plagen derzeit weitaus größere Corona-Sorgen als seinen wohl einzig ernstzunehmenden Verfolger. Gleichwohl wären die Westfalen gut beraten, den geglückten Start ins neue Fußballjahr nicht zu hoch zu bewerten. Dafür lieferte ihr Auftritt letztlich zu viele sachdienliche Hinweise, dass auch 2022 eine schwarz-gelbe Gratwanderung wird.
Der gefeierte Kraftakt gelang ja nur, weil die Eintracht am Ende ohne Struktur und ohne Mumm spielte. Man sei platt gewesen, habe ständig den Ball zu Torhüter Kevin Trapp zurückgespielt, monierte Frankfurts Trainer Glasner: »Wir haben uns wie das Kaninchen vor der Schlange verhalten - und dann hat die Schlange zugebissen.« Der Österreicher hatte sich bei einem bösen Sturz mit dem E-Roller am Neujahrstag das Jochbein gebrochen: Sein noch blau schimmerndes Auge vermittelte irgendwie den Eindruck, dass den Hessen das verlorene Wild-West-Duell im winterlichen Ambiente richtig weh getan hatte.
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