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Gemäß der Tradition zu Karl und Rosa
Tausende kamen zur Liebknecht-Luxemburg-Ehrung auf dem Friedrichsfelder Zentralfriedhof
Am Sonntagmorgen erinnert die Linkspartei auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde an die 1919 ermordeten Sozialisten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Der eine oder andere möchte möglichst weit vorn dabei sein. Kurz nach 10 Uhr haben sich die Reihen sortiert. An der Spitze laufen die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow und die Bundestagsfraktionschefs Amira Mohamed Ali und Dietmar Bartsch, außerdem Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. In der zweiten Reihe kommt die Berliner Landeschefin Katina Schubert mit Kultursenator Klaus Lederer.
Zum Vorwurf des früheren PDS-Ehrenvorsitzenden Hans Modrow, die Parteiführung missbrauche das Gedenken an Karl und Rosa, da sie doch auf die Alten nicht mehr höre, mag Hennig-Wellsow nichts sagen. »Wir wollen heute an Liebknecht und Luxemburg erinnern«, blockt sie Nachfragen ab. Petra Pau wirft ein, dass sie davon ausgehe, dass auch Hans Modrow wie immer kommen werde, um der Ermordeten zu gedenken. Doch Modrow bleibt der Veranstaltung fern. Später berichtet jemand, der 93-Jährige sei aus gesundheitlichen Gründen verhindert gewesen.
Nachdem die führenden Genossen ihre Kränze für Karl und Rosa abgelegt haben, wenden sie sich dem Stein für die Opfer des Stalinismus zu, der sich vis-à-vis befindet. Für den haben sie einzelne Blumen aufbewahrt. Das ärgert Gerhard Langguth. Der Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes in Berlin-Lichtenberg versucht noch vergeblich, sie davon abzuhalten. Langguth schüttelt den Kopf, ist enttäuscht.
Denn hinter dem Stein haben sich demonstrativ CDU-Politiker und Vertreter der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur postiert. Im Kontrast zu den vielen roten Nelken für Karl und Rosa sind sie mit weißen Blumen für die Opfer des Stalinismus erschienen. Sie könnten eigentlich auch Blumen für Luxemburg bringen, die sich doch vor ihrem Tod noch kritisch zu negativen Erscheinungen der russischen Revolution geäußert hatte. Aber das haben sie nicht getan.
»Was wäre geschehen, wenn Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg überlebt hätten?«, fragt Mario Röllig, der 1987 verhaftet wurde, als er versuchte, über Ungarn und Jugoslawien in den Westen zu fliehen. »Ich wüsste nicht, ob sie besser gewesen wären als die Gruppe Ulbricht. Das ist der Grund, warum wir hier unten stehen und nicht da oben«, sagt Röllig. Er hat die Aktion organisiert, die nicht nur vom VVN-BdAler Langguth als Provokation empfunden wird, sondern auch von dessen Stellvertreterin Rosemarie Heyer. »Die Parteiführung unterstützt das?«, empört sie sich mit Blick auf die Spitzen der Linken. Bekommt aber keine Antwort. »Es ist nicht zu fassen«, beklagt Heyer. »Ich dachte, die haben aus ihrer Wahlniederlage gelernt.«
Aber nicht alle stören sich daran, dass die Chefs und Chefinnen der Linken hier und heue auch der Opfer des Stalinismus gedenken. Es habe diese Opfer nun einmal gegeben, darunter auch Kommunisten in der Zeit des Großen Terrors der 1930er Jahren in der Sowjetunion. »Das hat unserer Sache sehr geschadet«, bedauert Renate Rudolph. Die Seniorin ist sich absolut sicher, dass die Parteivorsitzende Janine Wissler und die anderen Genossen ihre Blumen für diese Opfer niedergelegt haben und nicht etwa für nach dem Zweiten Weltkrieg ergriffene Nazis, die in sowjetischen Speziallagern interniert wurden und heute als Opfer des Stalinismus hingestellt werden.
Nachdem die Führung der Linkspartei gegangen ist, verschwinden auch die CDU und die Stiftung Aufarbeitung sehr schnell. Aber es kommen immer weiter Menschen, denen es ein Bedürfnis ist, an Karl und Rosa zu erinnern. Bei Gerhard Langguth ist es eine Familientradition. Sein Vater Ernst hatte als Elfjähriger 1919 am historischen Trauerzug für Liebknecht und Luxemburg teilgenommen und war bis zu seinem Tod im Jahr 1983 in jedem Januar zu der Ehrung gekommen - außer in der Nazizeit. Da ging es nicht. Der Kommunist war erst in die Tschechoslowakei emigriert und schließlich nach England. Jetzt liegt Ernst Langguth selbst in Friedrichsfelde begraben.
Wegen der Corona-Pandemie waren im vergangenen Januar nicht so viele zur Gedenkstätte der Sozialisten gekommen wie diesmal. Gegen 11.30 Uhr trifft die am U-Bahnhof Frankfurter Tor gestartete Demonstration ein. Gut und gern 7000 Menschen ziehen mit; es sind vor allem junge Leute. Die Gudrunstraße zum Friedhof hin verwandelt sich in ein Meer von roten Fahnen, dazwischen die hellen Fahnen der Linksjugend Solid und die blauen Fahnen der Freien Deutschen Jugend (FDJ).
Vor einem Jahr hatte die Polizei behauptet, die FDJ sei verboten, ihre Symbole seien illegal. Beamte zerrten damals mehrere FDJler aus ihrem Marschblock heraus, die sich weigerten, ihre Blauhemden auszuziehen. Diesmal blieb die FDJ unbehelligt und auch sonst alles friedlich. Zwei Prozesse habe es inzwischen gegeben und es seien noch drei weitere Anklagen erhoben worden, sagte FDJ-Sprecher Jan Haas. Darüber hinaus drohten noch zwei bis drei zusätzliche Anklagen. Den Beschuldigten werde vorgeworfen, sich der Polizei widersetzt zu haben. Haas sagte, die Bundesrepublik müsse sich entscheiden, ob sie ihr 1951 im Westen erlassenes FDJ-Verbot aufhebt oder den 1990 geschlossenen Vertrag zur deutschen Einheit zurückzieht, der den Fortbestand der ostdeutschen FDJ erlaube.
Stände sind am Eingang zum Friedhof dieses Jahr wieder zugelassen. Auch das »nd« hat einen Stand. Dort liegt ein Kranz für Karl und Rosa von der neuen nd-Genossenschaft bereit. Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) kommt vorbei, weil er Mitglied der Genossenschaft werden will. Doch es findet sich nicht sofort ein Formular für ihn. Erst später übergibt ihm nd-Redakteur Daniel Lücking eins. Auch andere Anlaufschwierigkeiten müssen überwunden werden, früh hat ein Kollege den Schlüssel der Kassette mit dem Kleingeld vergessen. Nun muss er diese mit einem Schraubenzieher knacken, um an das Wechselgeld zu gelangen. Martin Günther, stellvertretender Landesvorsitzender der brandenburgischen Linkspartei, sagt, solche kleinen Schwierigkeiten seien bald überwunden. Er habe solche Erfahrungen mit einer Braugenossenschaft in seiner Heimatstadt Bernau auch gesammelt. Der studierte Volkswirt überlegt, der nd-Genossenschaft beizutreten, möchte aber dazu erst noch das Konzept lesen.
Längst entschieden hat sich Brandenburgs junger Linksfraktionschef Sebastian Walter, der erst zwei Anteile zeichnete und inzwischen auf fünf Anteile erhöht hat. »Ich habe gedacht, die brauchen das Geld«, wehrt er jedes Erstaunen darüber bescheiden ab.
Ein anderer Leser erzählt, er habe sein Abonnement gerade gekündigt, weil sich das »nd« seiner Ansicht nach zu wenig von anderen Zeitungen unterscheide. Er kauft es sich aber noch oft am Kiosk. Die Genossenschaft hält er für den richtigen Weg. Er will dieser beitreten und genau beobachten, ob sich die Unabhängigkeit des Blattes positiv auf den Inhalt auswirke. Er hoffe das sehr, erklärt er.
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