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Polizeischutz für die Bauziele
Landeseigene Wohnungsbaugesellschaft WBM zieht Nachverdichtung gegen massiven Anwohnerprotest durch
Diana Böhme kämpft am Montagmorgen mit den Tränen. »Es gibt viele Studien, dass Grün gesund erhält. Wir haben hier so viele alte Leute, die sonst gar nicht mehr rauskommen«, sagt sie zu »nd«. Um sie herum stehen auf dem Bürgersteig rund zwei Dutzend Anwohnerinnen und Anwohner, dazu zwei Handvoll Polizistinnen und Polizisten. In der Grünfläche hinter ihr ist privater Wachschutz postiert, zwei Bäume sind von zusammen drei Aktivistinnen und Aktivisten besetzt.
Die Eigentümerin, die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte (WBM), will hier 13 Bäume, darunter einige mächtige Schwarzpappeln, fällen lassen, um Platz zu schaffen für den Neubau eines Hauses mit 29 Wohnungen. Seit 7 Uhr morgens sind die drei autonomen Klimaaktivist*innen in den Bäumen. »Gerade in einer Großstadt wie Berlin zählt es, jeden einzelnen Baum zu erhalten«, unterstreicht die Gruppe Baum bleibt Baum in einer Mitteilung. Zumal dort nicht »irgendwelche Bäume« stünden, sondern gesunde Riesen, »die die Dächer der umliegenden Häuser überragen«. Aktivistin Hanna erklärt: »Diese Erholungsgebiete, Lebensräume und CO2-Speicher können nicht eben mal so durch Ersatzpflanzungen ausgeglichen werden.«
»Die Mieter nutzen den Garten als soziale Begegnungsstätte. Und das geht alles verloren«, sagt Diana Böhme, die seit fünf Jahren für den Erhalt der Freifläche kämpft. Die WBM hatte 2018 einen Bauantrag nach Paragraf 34 des Baugesetzbuchs gestellt. Solange sich das Vorhaben laut Gesetz »in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt«, hat der Bezirk als Genehmigungsbehörde wenig Möglichkeiten, den Bau zu verhindern.
»Wir dachten schon, die Bäume sind gerettet und Anfang letzten Jahres hieß es dann wieder: ›Es wird doch gebaut‹«, berichtet Kirsten Reinhold, die wie Böhme Mitstreiterin in der Initiative »Erhaltet unsere grünen Friedrichshainer Innenhöfe« ist. »Als kommunales Wohnungsunternehmen ist die WBM durch das Land Berlin verpflichtet, ihre Bestände durch den Bau von Wohnungen zu erhöhen. Dazu gehört, freie Flächen und Baupotenziale zu nutzen. Wir kommen diesem Auftrag nach«, erklärt Unternehmenssprecherin Karen Jeratsch auf nd-Anfrage.
Berlinweit wächst der Widerstand gegen Nachverdichtungen. Zum Tag der Umwelt im Juni 2021 demonstrierten 18 Initiativen aus der ganzen Stadt am Brandenburger Tor gegen die derzeit praktizierte Form von Nachverdichtungen.
An der Kavalierstraße in Pankow kämpfen die Anwohnerinnen und Anwohner ebenfalls seit Jahren dagegen, dass ihr Hof teilweise zugebaut wird. Dort hatte die landeseigene Gesobau ebenfalls einen Bauantrag nach Paragraf 34 eingereicht. Doch Ende April 2021 hatte der Bezirk einen Aufstellungsbeschluss für einen Bebauungsplan für das Gebiet gefasst. Es solle »die Grundidee der begrünten Blockinnenbereiche erhalten« bleiben und zugleich »eine behutsame, mit dem gesamten Umfeld verträgliche Nachverdichtung zugelassen werden«, heißt es in dem Papier mit Bezug auf den 2019 von der Bezirksverordnetenversammlung Pankow festgestellten »Klimanotstand«. Damit werden normalerweise alle Baupläne bis zur Verabschiedung des Plans auf Eis gelegt. Der Ausgang ist derzeit offen, denn die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung kann das Verfahren an sich ziehen. In Plänterwald kämpfen Mieterinnen und Mieter der landeseigenen Stadt und Land gegen die Fällung über 100 Jahre alter Bäume für die Nachverdichtung. Im Kietzer Feld in Köpenick ist es die landeseigene Degewo, die Teile der grünen Höfe zubauen möchte.
Umweltverbände wie der BUND, aber auch die Architektenkammer Berlin setzen auf »verträgliche Nachverdichtungen«. Gemeint ist damit, dass vor allem bereits versiegelte Flächen wie Parkplätze für den Wohnungsbau genutzt werden sollen. Ein Schlüssel sind für sie auch Aufstockungen und der Ausbau von Dachgeschossen im Bestand. »Ein programmatisches Umdenken wäre hier angesagt und eine konsequente Entsiegelungsstrategie«, heißt es in einer Stellungnahme der Architektenkammer zum Koalitionsvertrag vom Dezember 2021. »Die nötige Geschwindigkeit der Umsetzung sollte durch die regelmäßig aktualisierte Bevölkerungsentwicklung und -prognose bestimmt sein, nicht durch Stückzahlen pro Jahr«, heißt es weiter von der Architektenkammer.
Bekanntlich möchte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) erreichen, dass in Berlin 20 000 Wohnungen jährlich bis 2030 errichtet werden. Eine Zahl, die deutlich über dem aus Statistiken und Prognosen ableitbaren Bedarf liegt. »Die Bürgermeisterin soll auch explizit gefragt worden sein, ob sie für die Weiterführung des Projekts ist, und hat sich dafür ausgesprochen«, berichtet die Friedrichshainer Aktivistin Kirsten Reinhold in der Pintschstraße. Eine nd-Anfrage, ob Franziska Giffey, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum WBM-Vorhaben wohnt , sich tatsächlich dafür ausgesprochen hat, ließ die Senatskanzlei bis Redaktionsschluss dieser Seite unbeantwortet.
»Wir sind nicht grundsätzlich gegen Bauen. Wir sehen auch, dass Wohnungen gebraucht werden«, sagt Kirsten Reinhold zu »nd«. »Man muss hier anders herangehen, ein Zeichen für klima- und sozialverträgliches Bauen setzen«, fordert sie. »Wir haben einen Alternativentwurf vorgelegt, mit dem 25 Wohnungen realisiert werden könnten«, sagt Architekt Mathias Milchmeyer zu »nd«, der ebenfalls gegen die Fällung demonstriert. Der Ensembleteil an der Kochhannstraße müsste dafür aufgestockt werden, im Hof an der Pintschstraße müssten nur zwei Bäume geopfert werden, um eine zweistöckige Remise errichten zu können. Doch die WBM hält an ihrem Entwurf fest, der 29 neue Wohnungen bringt.
»Das geltende Bauplanungsrecht gibt eine freie Platzierung einer Remise auf dem Grundstück nicht einfach so her. Gleiches gilt für das Thema Aufstockung, die sich in Bezug auf die Höhe auch nur im Rahmen der umgebenden Gebäude bewegen dürfte, also wenn überhaupt nur in sehr begrenztem Ausmaß möglich wäre«, so die WBM.
»Früher wurden die Hinterhöfe freigemacht, um das Zille-Milieu mit drei Hinterhöfen, das früher Usus war, aufzulockern«, sagt Mieterin Sabine, die im Erdgeschoss des Ensembles wohnt. Der Maler und Fotograf Heinrich Zille dokumentierte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts die elenden Lebensbedingungen der Berliner Arbeiterschaft. »Was machen wir nun? Wir bauen neue Hinterhöfe«, beschwert sich die Seniorin, die sich bisher unter anderem an der Fütterung der Eichhörnchen und Vögel erfreut hat. »Wo geht der Fuchs jetzt hin?«, will sie wissen. Dank eines bewegungssensorengesteuerten Lichts an ihrem Fenster sieht sie das abendliche Treiben der Tierwelt im Hof. »Da ist oft mehr los als bei den Menschen tagsüber«, berichtet sie. Der Verlust der Natur im Hof schmerzt sie sehr und künftig wird sie in ihrer Wohnung auch wesentlich weniger Tageslicht als bisher abbekommen.
»Ich bin wirklich überrascht, wie die WBM agiert. Das hätte ich eher von einem Immobilienhai erwartet als von einem städtischen Unternehmen«, sagt Reinhold. Trotz breiter Unterstützung von Politikerinnen und Politikern der Linken und der Grünen auf Bezirks-, Landes- und Bundesebene beim Kampf der Anwohnerinnen und Anwohner gegen das Vorhaben sei es dennoch ungerührt weitergeführt worden.
Diesen Montag sind Linke-Vertreter eindeutig in der Überzahl. Der ehemalige Mietenexperte der Abgeordnetenhausfraktion, Michail Nelken, stürzt fast, nachdem er vom Sicherheitsdienst vom Grundstück abgedrängt wird. Gaby Gottwald, die nun für die Linke in der Bezirksverordnetenversammlung Friedrichshain-Kreuzberg sitzt, wird sanfter angefasst. Das Rodungsteam leistet im Anschluss ganze Arbeit. Die zahlreichen Büsche sind schnell verschwunden, von den großen Pappeln stehen bald nur noch die Stämme. Diesen Dienstag sollen auch sie verschwinden.
»Das ist wohl gleich das erste Beispiel in der neuen Legislatur, wie es bei der Nachverdichtung laufen soll. Mit Sicherheitsdienst, Polizei und Fälltrupp setzten die städtischen Unternehmen den Wohnungsbau gegen die Anwohnerinnen und Anwohner durch«, sagt sie zu »nd«. »Im Grunde genommen wird die im Koalitionsvertrag versprochene Partizipation gleich zu Jahresanfang in die Tonne getreten«, so ihr bitteres Fazit.
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