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Ein Provisorium als Versprechen
Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch gibt Behelfs-Elsenbrücke für den Verkehr frei
Zuerst bekommt die neue Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) die Baustellenausrüstung ausgehändigt: Eine neonorange Jacke, eine gleichfarbige Weste sowie einen weißen Bauhelm, alle mit dem Berliner Wappen. »Ich sehe ein bisschen aus wie die Playmobil-Figuren aus meiner Kindheit«, kommentiert sie das Kleidungsstück beim Anziehen. Die Jacke fällt recht groß aus. Das passt zur Größe der Aufgabe, die die Senatorin zu bewältigen hat. Nicht nur die Mobilitätswende in der Stadt auf die Schiene zu setzen, sondern auch die bröckelnde Verkehrsinfrastruktur wieder in Ordnung zu bringen.
Letzterem Thema gilt der Termin am Mittwochmittag: Feierlich gibt Bettina Jarasch die provisorische Elsenbrücke für den Verkehr frei. In den letzten 15 Monaten ist die 1500 Tonnen schwere Stahlfachwerkbrücke geplant und montiert worden. 20.000 Bolzen waren dafür nötig. Nun stehen zwei Autofahrspuren in Richtung Treptow zur Verfügung, Richtung Friedrichshain ist es nur eine. Die zweite Spur dient als Zweirichtungsradweg. »Ich freue mich sehr, dass es deutlich schneller ging und diese Brücke vor der geplanten Zeit fertig geworden ist«, sagt Jarasch. Ursprünglich hätte die Verkehrsfreigabe erst im März sein sollen.
Der Neubau ist nötig geworden, nachdem im Sommer 2018 an der inzwischen abgebrochenen östlichen Brückenhälfte bei einer Routineüberprüfung ein 28 Meter langer Riss festgestellt wurde. Das Chaos wiederholte sich Mitte Dezember 2021, nachdem Detektoren starke Bewegungen und auch Geräusche registrierten. Doch nach ein paar Tagen war klar: Falscher Alarm. Mit der Behelfsbrücke droht der Verkehrsader nun kein plötzlicher Kollaps mehr. »Wir haben eine Lösung, damit der Verkehr an einer der wichtigen Verbindungen dieser Stadt fließen kann«, sagt Jarasch.
Einen »Kollateralnutzen« nennt die Senatorin den Umstand, dass die vom Autoverkehr befreite Westhälfte der Bestandsbrücke »vorübergehend der breiteste Fahrrad- und Fußweg der Stadt« sein wird. Allerdings nur bis zum Frühsommer. Dann soll der Abbruch beginnen.
»Wir müssen erst mal noch weitere Leitungen verlegen«, nennt Lutz Adam, Leiter der Abteilung Tiefbau in der Mobilitätsverwaltung den Grund. Einen Auftragnehmer für den Neubau gibt es noch nicht. »Wir gehen stückweise vor, um schneller zu sein«, sagt Adam. »Deswegen dauert das verhältnismäßig lange.« Der Neubau der Westhälfte soll 2025 fertig sein, dann wird das Provisorium wieder demontiert und die endgültige östliche Brücke entsteht. Geplantes Bauende: 2028. Die voraussichtlichen Gesamtkosten inklusive Provisorium liegen bei knapp unter 100 Millionen Euro, 90 Prozent davon werden aus Wirtschaftsfördermitteln des Bundes finanziert.
Auch die Wirtschaft treibt der Sanierungsstau um. »Mehr als 40 Querungen in Berlin müssen dringend modernisiert werden. Nur für ein Drittel davon ist im Haushalt bereits Geld eingeplant«, sagt Christian Amsinck, der Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) am Mittwoch.
»Wir haben einen Instandsetzungsrückstand, das wissen wir alle«, entgegnet Tiefbauchef Lutz Adam. Es gehe aber voran, seit »personell und finanziell aufgerüstet« worden sei. »Wir haben im Brückenbau viele Stellen besetzen können«, sagt er zu »nd«. Ob es an Corona gelegen habe, dass sich »gute Leute in Richtung Verwaltung umorientiert haben«, wisse er nicht. Es gebe jedoch deutlich weniger offene Stellen als früher. Von 1995 bis 2015 habe er keine einzige Neueinstellung vornehmen können, berichtet er.
»Berlin kann Brücken«, sagt Senatorin Jarasch angesichts der Baustelle an der Elsenbrücke. »Ich bin angetreten, um die Verkehrswende in der Stadt voranzubringen. Aber die Grundlage ist eine funktionierende und sichere Verkehrsinfrastruktur. Da gehören die Brücken mit dazu«, bekräftigt sie und kündigt an, dass sie in den nächsten Wochen und Monaten gleich bei drei Baustarts für Ersatzneubauten von Brücken zugegen sein wird. Wo die sein werden, will sie noch nicht verraten.
Allerdings hilft die Recherche in den Ausschreibungen ihrer Verwaltung für Bauaufträge. Einer der drei Termine dürfte sie zur Neuen Fahlenbergbrücke in Müggelheim führen. Die erst 1983 erbaute Stahlbrücke im Zuge der Gosener Landstraße kurz vor der Landesgrenze zu Brandenburg muss ersetzt werden. Noch ein Jahr jünger ist die aus Stahlbetonfertigteilen errichtete Wuhletalbrücke im Zuge der B158 – der Märkischen Allee – in Marzahn. Der Abbruch der bereits gesperrten Brücke soll laut Internetseite der Mobilitätsverwaltung noch im Januar beginnen.
Der dritte Termin von Bettina Jarasch dürfte der Pyramidenbrücke in Köpenick gelten. Die Stahlbetonbrücke über die Wuhle direkt neben dem Stadion an der Alten Försterei des 1. FC Union stammt immerhin aus dem Jahr 1939. Auf den Behelfsbrücken, die östlich und westlich des Bestandsbauwerks für die Bauzeit errichtet werden sollen, werden die Züge der drei Straßenbahnlinien 27, 60 und 67 sich den Fahrweg pro Richtung einspurig mit dem Autoverkehr teilen müssen. Bleibt zu hoffen, dass die Tram durch entsprechende Ampelschaltungen nicht im Stau stehen muss – derzeit hat sie dort ein eigenes Gleisbett. Bisher ist der im Mobilitätsgesetz postulierte Vorrang des sogenannten Umweltverbunds aus Fuß-, Fahrradverkehr sowie Bahnen und Bussen bei Baumaßnahmen selten gewährleistet worden. Immerhin sind sechs Jahre Bauzeit angesetzt.
2024 soll die Verlängerung des Berliner Autobahn-Stadtrings A100 zum Treptower Park fertig werden. Hier sorgt ein Brückenneubau für die Ringbahn, dessen Berechnung im Vorfeld als mangelhaft zurückgewiesen worden ist, für die jahrelange Verzögerung bei der Fertigstellung. »Was noch fehlt, ist ein Verkehrskonzept, das den Verkehr klug steuert, damit die Umgebung hier nicht überlastet wird«, sagt Bettina Jarasch zu den Problemen, die bis zur Eröffnung des Autobahn-Teilstücks gelöst werden müssen. Dafür sei das Bundesverkehrsministerium zuständig. Sie werde bald auf den neuen Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) nicht nur deswegen zugehen, berichtet sie. »Wir wollen unbedingt die Autobahnbrücke am Breitenbachplatz zurückbauen. Ich werde mit ihm auch über das Autobahnstück am Kurt-Schumacher-Platz reden«, kündigt sie an. Das sei nötig für die Erschließung der neuen Quartiere am und auf dem ehemaligen Flughafen Tegel.
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