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Supermärkten den Profit klauen
Der Bioladen Robinhood Store will Reichtum in den Globalen Süden umverteilen. Dafür orientiert er sich am Modell der Donut-Ökonomie
Verantwortungsbewusst einkaufen - dazu scheinen die Körbe mit Brandenburger Gemüse, die Kühlschränke mit Berliner Ökosäften und ein Regal voller Kaffeesorten zapatistischer Kooperativen geradezu einzuladen. Der Berliner Bioladen Robinhood Store mit seinen beiden Filialen in Neukölln und Kreuzberg verspricht das jedoch nicht nur über seine Produktpalette. »Wir sind eine Struktur, die Reichtum in den Globalen Süden umverteilt. Dorthin, wo er am dringendsten gebraucht wird«, sagt Mattis Steib, Gründungsmitglied der Läden.
Konkret spendet das Unternehmen fünf Prozent seiner Einnahmen - im ersten Halbjahr 2021 waren das 3700 Euro - an die Nichtregierungsorganisationen (NGO) Give Directly und Cool Earth. Dabei orientiert sich Robinhood am Modell der Donut-Ökonomie, das auf die britische Wirtschaftswissenschaftlerin Kate Raworth zurückgeht. Es heißt so, weil es durch zwei ineinanderliegende Kreise versinnbildlicht wird. Der äußere steht für die planetaren Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, um den Klimakollaps und den Verlust der Artenvielfalt zu verhindern. Der innere Kreis bildet soziale Grenzen wie Ernährung, Gesundheit und Bildung ab. Bleibt man dahinter zurück, droht extreme Armut. Deshalb klafft in der Mitte der Kreise ein Loch - wie in einem Donut.
Dieser ganzheitliche und globale Ansatz macht Wohlergehen also von einer intakten Umwelt und von sozialer Gerechtigkeit abhängig und nicht, wie viele herkömmliche Wirtschaftstheorien, vom Wachstum des Bruttoinlandsprodukts.
»Die Spenden sind unsere Idee, um am effektivsten dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft sich innerhalb dieser Grenzen bewegt«, erklärt Steib. Cool Earth unterstützt die lokale Bevölkerung in Regenwaldgebieten dabei, den Wald zu schützen, und setzt sich so für Klimagerechtigkeit ein, zielt also vor allem auf den Schutz der äußeren Grenze des »Donuts« ab. Give Directly will Menschen, die in Kenia und Uganda unter der Armutsgrenze leben, selbstbestimmte Wege aus der Armut ermöglichen und so die soziale Grenze stärken. Beide NGOs, so das Versprechen, lösen die dringendsten Probleme der Welt mit den messbar effizientesten Maßnahmen.
Natürlich könne man sich mit Spenden nicht »das Gewissen reinwaschen«, trotzdem sei das Geld bei den NGOs besser aufgehoben als in den Taschen von Investoren, findet Mattis Steib. Theoretisch ließe sich schon mit einem Betrag von 20 Euro im Monat ein Mensch aus extremer Armut befreien.
Entstanden sind die Idee und der erste Robinhood Store 2019 in einem Wohnprojekt in Eberswalde (Barnim). Ende 2020 öffnete die erste Berliner Filiale an der Altenbraker Straße in Neukölln, im April 2021 die zweite am Maybachufer in Kreuzberg. »Wir wollten einen Weg für gesellschaftlichen Wandel schaffen, der direkter ist als der Umweg über die Politik«, so Steib.
Dabei gehe es nicht nur ums verantwortungsvolle Konsumieren, sondern auch ums soziale Engagement in Form einer Mitgliedschaft. Danny, die an diesem Tag im Neuköllner Geschäft an der Kasse steht, ist seit einem halben Jahr Robinhood-Mitglied, weil sie das Konzept der Umverteilung und den communitybasierten Bioladen in ihrer Nachbarschaft unterstützen möchte. Dafür hilft sie drei Stunden im Monat mit, im Gegenzug gibt es Prozente beim Einkauf. »Ich mache das gerne, mir gefällt der Kontakt zu den Kund*innen«, sagt sie. Die meisten seien selbst Mitglieder und hätten kein Problem damit, wenn das Abkassieren mal länger dauere als in großen Supermärkten.
Statt Arbeitseinsätze zu leisten, können Mitglieder auch einen Beitrag von einem Prozent ihres Einkommens beisteuern. Etwa 20 Prozent der 1200 Mitglieder tun sogar beides. »Das ist der Grund, aus dem wir preislich mit anderen Bioläden mithalten können«, sagt Mattis Steib. Auch für Investitionen ist Robinhood auf die Community angewiesen. Jedes Mitglied zahlt zu Beginn ein Guthaben von 60 Euro ein, das über ein Jahr verteilt mit den Einkäufen wieder verrechnet wird. So müssen keine Bankkredite aufgenommen werden, was der Grundidee widerspräche, »denn Banken leben davon, dass die Reichen noch reicher werden«, erklärt Steib.
Prinzipiell lehnt Robinhood zwar den Kapitalismus ab, jedoch nicht das eigene wirtschaftliche Wachstum. »Jeder Euro, der bei uns ausgegeben wird, ist besser investiert als im übrigen Kapitalismus. Das rechtfertigt, dass wir weiter wachsen«, meint Steib. Lebensmittel kaufen müssen Menschen sowieso, und indem sie das bei Robinhood tun statt in herkömmlichen Supermärkten oder Discountern, »klauen wir den Profit der Unternehmen« - daher auch die Benennung nach dem englischen Sagenhelden Robin Hood, der die Reichen ausraubt, um den Armen zu geben.
Bei zwei Filialen - wobei die in Neukölln besser laufe als die in Kreuzberg - sei der Effekt natürlich nur »ein Tropfen auf den heißen Stein«. Gerade deshalb müsse der Laden ein exponentielles Wachstum hinlegen und weiter expandieren. Zurzeit arbeite Robinhood auf eine Dachorganisation hin, unter der sich verschiedene Akteur*innen versammeln, vom Handel über die Gastronomie bis hin zum Technologiebereich. So sollen sich in Berlin langfristig verschiedene Branchen und Unternehmensformen nach dem Donut-Modell organisieren.
Wie das in der Praxis aussehen kann, dafür gibt es kein Patentrezept. Allerdings könnte Amsterdam als Vorbild dienen. Seit der Corona-Pandemie treibt dessen grüne Vize-Bürgermeisterin und Stadträtin Marieke van Doorninck den Umbau der Stadt nach den Prinzipien von Donut-Ökonomie und Kreislaufwirtschaft voran, indem zum Beispiel nachhaltiger und ressourcenschonender gebaut, auf erneuerbare Energien und Recycling umgestellt wird.
Allgemein steht die Donut-Ökonomie nicht nur für ökologische und soziale Prinzipien, sondern auch für flache Hierarchien. Der Robinhood Store versucht das über eine sogenannte Holokratie umzusetzen, eine Struktur, in der bestimmte Verantwortungsrollen festgelegt und Entscheidungen nach transparenten, partizipativen Beteiligungsmöglichkeiten gefällt werden. Robinhood-Mitglieder können beispielsweise das Sortiment entsprechend einer Wunschliste mitgestalten oder ganz eigene Ideen einbringen.
Auch bei ihren Gehältern orientieren sich die zwölf Mitarbeiter*innen der beiden Bioläden an sozialen und globalen Grenzen, indem die Löhne einerseits an den jeweiligen persönlichen Bedarf angepasst werden, andererseits jedoch eine Gehaltsobergrenze von 1500 Euro netto festgelegt ist. Dieser Betrag komme in etwa zustande, wenn man die global zur Verfügung stehenden Ressourcen durch die Anzahl der Menschen auf der Welt teilt. »Das Kuchenstück, das jeder Person auf der Welt zusteht, ist das Gerechteste, was uns eingefallen ist«, sagt Mattis Steib. Außerdem brauche es die Obergrenze, um zu verhindern, dass die Gehälter so weit steigen könnten, dass keine Gewinne zum Spenden mehr übrig blieben.
Was den Bereich der Nachhaltigkeit betrifft, versucht Robinhood - neben bio und möglichst regional - so einzukaufen, dass kein Überschuss entsteht und kaum Lebensmittel weggeworfen werden müssen. Danny, die als Community-Mitglied an der Kasse steht, findet das Sortiment trotzdem groß genug. »Das wirft die Frage auf: Wie viel braucht man eigentlich? Im Grunde ist das Angebot in Supermärkten doch viel zu groß«, sagt sie.
Natürlich lasse sich nicht zu jeder Stellschraube in Robinhoods Donut-System die globale Auswirkung berechnen, manches sei auch einfach nur ein Gefühl. Zum Beispiel, dass für Brottüten seit Kurzem fünf Cent genommen und alle Kund*innen gefragt werden, ob sie eine brauchen. Viele nehmen trotzdem eine. Andere haben aber auch schon ihren eigenen Beutel dabei.
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