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Nicht nur ein Hass-Megaphon

Telegram ist das wichtigste Werkzeug für Faschisten im Netz. Es ist aber auch für andere nützlich

Im Zweifelsfall »abschalten« möchte Bundesinnenministerin Nancy Faeser den Dienstleister Telegram. Am liebsten europaweit. So sprach die SPD-Politikerin in einem Interview mit der »Zeit«. Das wäre »für jeden Anbieter ein empfindliches Übel«. Eine »ultima ratio« solle so eine Abschaltung sein, erklärte Faeser. Zur Kooperation zwingen könne Deutschland Telegram nicht. Faeser hofft, dass das der Europäischen Union gelingt.

Eine schwache Hoffnung, wenn man sich anschaut, wie Telegram bisher auf den Druck von Staaten reagiert hat. Ein Verbotsversuch in Russland lief ins Leere. Sperrungen von IP-Adressen des Dienstes wurden durch die Nutzung von großen Drittanbietern wie Amazon oder Google umgangen. Apple und Google weigerten sich, Telegram aus ihren russischsprachigen App-Stores zu entfernen. Auch Organisationen wie Amnesty International sprachen sich für Telegram aus. Der Gründer des Unternehmens, Pawel Durow, feierte einen Sieg gegen »politische Zensur«.

Aus Durows Selbstverständnis als Kämpfer für die Meinungsfreiheit erwachsen in Deutschland allerdings auch die Probleme mit Telegram. Der Dienst ist äußerst zurückhaltend, wenn es um Löschungen geht, und arbeitet nur ungern mit Behörden zusammen. Das wissen auch Neonazis, Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker. Telegram ist für sie zum Hotspot geworden. Das ZDF-Magazin »Frontal« berichtete im Dezember über eine Telegram-Gruppe mit dem Namen »Dresden Offlinevernetzung«. Dort tummelte sich eine Mischung aus extremen Rechten und Corona-Leugnern. Ein Teil von ihnen schmiedete Pläne, den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) zu ermorden. Bei sechs Mitgliedern der Gruppe, so berichtete das ZDF, gab es Mitte Dezember Durchsuchungen wegen des Verdachts, eine »schwere staatsgefährdende Gewalttat« vorbereitet zu haben. Festgenommen wurden Mitglieder der Gruppe nicht.

Mordpläne gehören auch in Telegram-Gruppen nicht zum Alltag. Was aber dazu gehört, gerade im Zusammenhang mit der Querdenker-Bewegung, sind offene Feindmarkierungen. Journalisten und Antifaschisten, die Demonstrationen oder die sogenannten Spaziergänge beobachten, werden in Echtzeit mit Fotos oder Beschreibungen benannt. Dazu gibt es abwertende Kommentare oder Aufforderungen, der Person einmal »die Meinung zu sagen«. Auch Mitarbeiter von Stadtverwaltungen – bei Querdenkern sind Beschäftigte der Gesundheitsämter besonders unbeliebt – oder Politiker werden in den einschlägigen Gruppen bedroht oder als Feinde markiert. Welche Folgen das haben kann, erlebte kürzlich Sascha H. Wagner aus dem nordrhein-westfälischen Dinslaken. Der Linke-Kommunalpolitiker hatte sich klar gegen die Spaziergänge der Querdenker ausgesprochen. In einem Chat hieß es daraufhin, Wagner brauche eine »Lektion« und »man könne ja mal mit 15-20 Mann« aufkreuzen »bei dem Kommunisten«. Am Tag nach diesen Äußerungen standen zwei, wie Wagner sagt, »einschlägig anmutende Personen« vor seiner Tür. Als er das Haus verließ, fuhren sie »blitzartig« davon. Wagner erstattete Anzeige und bekam viele Solidaritätsbekundungen. Er hatte Glück, ihm ist nichts passiert.

Warum ist gerade Telegram so beliebt bei Nazis und Querdenkern? Telegram ist einerseits ein Messengerdienst, Whatsapp nicht unähnlich. Dort kann man in Einzelchats oder Gruppen mit Familie und Freunden kommunizieren. Außerdem ist es möglich, Kanäle zu erstellen, in denen nur ein Sender vorhanden ist. Viele politische Gruppen nutzen das, um ihre Verlautbarungen zu verbreiten. Nicht nur Rechte. Beim Kongress des Chaos Computer Clubs Ende Dezember berichtete eine Sprecherin des Klimagerechtigkeitsbündnisses »Ende Gelände« über dessen Medienstrategie. Telegram bezeichnete sie als ausgezeichnetes Mittel, um Unterstützer zu mobilisieren. Wer sich für die Aktionen des Bündnisses interessiert, ist im Infokanal. Das sind derzeit 6300 Menschen. Dadurch, so die Sprecherin, sind auch kurzfristige Mobilisierungen möglich. Ein Punkt, der Telegram für große Chats oder Infokanäle attraktiv macht: Anders als bei Whatsapp können Nutzer verhindern, dass ihre Telefonnummern angezeigt werden. Es ist also leichter, anonym zu bleiben. Allerdings sind Gruppen- und Einzelchats auf Telegram standardmäßig unverschlüsselt. Nur die Eins-zu-eins-Kommunikation lässt sich verschlüsseln. Die Teilanonymität macht Telegram auch für allerhand unpolitische Dinge attraktiv. Das reicht von Chats, die hunderte Mitglieder haben, über die Kleidung, Möbel oder Bücher verschenkt oder getauscht werden, bis zu Hundetreffs, kommerziellen Angeboten für Sexdienstleistungen oder Drogen. Über die Funktion »Leute in der Nähe« lässt sich all das leicht finden.

In Sachen Drogen zeigt sich auch, zu was deutsche Sicherheitsbehörden fähig sind. Im Oktober 2020 erklärten das Bundeskriminalamt und die bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt angesiedelte Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität, dass sie neun Chatgruppen mit insgesamt 8000 Mitgliedern übernommen und geschlossen hätten. Zusätzlich gab es Durchsuchungen und Festnahmen bei 13 Männern, bei denen mehrere Kilogramm Betäubungsmittel und Waffen sichergestellt wurden.

Dass auch Telegram selbst für Ordnung im eigenen Dienst sorgen kann, ist bei den Sexangeboten, die oft mit expliziten Bildern und Videos kombiniert sind, zu beobachten. Inhalte entsprechender Gruppen werden mit dem Hinweis versehen, dass sie wegen pornografischer Inhalte nicht angezeigt werden können. Das passiert nicht, weil die Telegram-Betreiber etwas gegen Pornografie hätten, sondern weil die führenden Appstore-Betreiber Google und Apple den Dienst sonst aus ihrem Angebot entfernen könnten. Ein ähnliches Vorgehen ist seit Kurzem auch bei rechten und Querdenker-Kanälen zu beobachten. »Leider kann diese Gruppe nicht in Telegram-Apps angezeigt werden, die aus dem Google Play Store heruntergeladen wurden«, heißt es etwa, wenn man den Kanal von Boris Reitschuster oder von Corona-Leugnern aus Wuppertal anschauen will. Telegram reagiert damit auf die Nutzungsbedingungen von Google und Apple, die vorsehen, dass gegen »unangemessene« Inhalte vorgegangen wird. Ein Ende des Hasses auf Telegram ist das allerdings nicht. Bei Nazis und Querdenkern werden fleißig Anleitungen verbreitet, wie man das Programm über einen alternativen Appstore oder von der Telegram-Internetseite runterladen kann. Dort sind die Inhalte weiterhin ungefiltert zugänglich.

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