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Die Linke gegen alle anderen
Bei ihrem Jahresauftakt kritisiert die Parteispitze die Klimapolitik der Bundesregierung als unsozial
Eigentlich wollte Susanne Hennig-Wellsow ihre Rede in einer Halle halten, Auge in Auge mit dem Publikum. Doch wegen der Corona-Pandemie und der derzeit zahlreichen Neuinfektionen lässt auch die Linkspartei Vorsicht walten. Der politische Jahresauftakt der Parteispitze am Samstagmorgen ist ins Internet verlegt worden. Die Parteichefin sitzt vor einer weißen Wand. Ansonsten ist nur ein Regal zu sehen, in dem einige Leitz-Ordner stehen. »Am Bildschirm eine feurige Rede zu halten, ist eine Herausforderung«, sagt Hennig-Wellsow. Sie hofft, dass der Bundesparteitag im Juni wieder in Präsenz stattfinden kann. »Denn es gibt viel aufzuarbeiten«, kündigt die Parteivorsitzende an.
Tatsächlich ist die Situation der Linken alles andere als rosig. Bei der Bundestagswahl im September wäre sie um ein Haar aus dem Parlament geflogen. Sie landete unter fünf Prozent und konnte sich nur wegen drei gewonnener Direktmandate retten. »Eine schwache Linke im Bund ist kein Rückenwind für die Landesregierungen mit Linke-Beteiligung und kein Rückenwind für die anstehenden Landtags- und Kommunalwahlen«, konstatiert Hennig-Wellsow. In diesem Jahr werden etwa im Saarland, in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein neue Landesparlamente gewählt. Zuletzt war nur das Saarland eine Bastion der Linken. Doch der dortige Landesverband ist zerstritten und der Fraktionsvorsitzende Oskar Lafontaine wird bei der Wahl im März nicht mehr antreten. Aktuelle Umfragen sehen die Partei im Saarland bei sechs Prozent, den Einzug in die anderen drei westdeutsche Landtage würde sie laut den Erhebungen einmal mehr verfehlen.
Kein Grund also für Optimismus. Immerhin ist es der Parteispitze aber gelungen, dass die Linke derzeit wieder in den Medien mit ihren Kernanliegen wahrgenommen wird. Das liegt auch an ihrem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten. Der Arzt Gerhard Trabert wird am 13. Februar gegen den früheren Außenminister und Amtsinhaber Frank-Walter Steinmeier antreten, der einen großen Rückhalt in der Bundesversammlung hat. Trabert weiß, dass er chancenlos ist. Es handelt sich um eine symbolische Kandidatur. Beim Jahresauftakt der Linken darf Trabert die erste Rede halten. Ebenso wie Hennig-Wellsow wird auch er zugeschaltet. Trabert fordert »mehr Widerstand gegen unsoziale Politik«. Das gilt für ihn sowohl im Umgang mit Geflüchteten als auch mit einheimischen Erwerbslosen. »Humanität kennt keine Obergrenzen. Wir sind ein reiches Land«, sagt Trabert. Außerdem verlangt er mehr Geld und Anerkennung für Menschen, die auf Hartz IV angewiesen sind.
Für Aufsehen könnte noch sorgen, dass Trabert mit Blick auf die soziale Ausgrenzung armer und geflüchteter Menschen eine Parallele zur Verfolgung von Juden in der NS-Zeit gezogen hat. »Wie damals viele Deutsche wussten, was mit den Juden geschieht, ist es heute so, dass wir wissen, was mit geflüchteten Menschen im Mittelmeer, in libyschen, in syrischen Lagern geschieht. Wir wissen, wie die Armut zunimmt, wir wissen um die erhöhte Sterberate von armen Menschen auch hier in Deutschland«, sagt er. Später schreibt der Kandidat auf Twitter: »Es geht mir nicht um eine historische Gleichsetzung. Das von den Nationalsozialisten verursachte Leid vieler Menschen war unbeschreiblich größer und ist nicht vergleichbar. Aber die Tendenz des Wegschauens muss deutlich kritisiert werden. Mir geht es ums Hinschauen, gerade in der heutigen Zeit und um ein Lernen aus der Vergangenheit.«
Schwierige Rolle als kleinste Oppositionspartei
Traberts Kandidatur ist auch ein Hinweis darauf, welche Rolle die Linkspartei bei vielen Fragen künftig spielen wird. Sie kämpft gegen alle anderen. Steinmeier wird nicht nur von den Regierungsparteien SPD, Grüne und FDP, sondern auch von der Union unterstützt. Die AfD will einen eigenen Kandidaten vorschlagen, der für die anderen Parteien unwählbar sein dürfte. Mit der AfD wird es in der Opposition keine Verständigung geben, mit der Union dürfte es sehr schwierig werden, vor allem weil diese nach der Wahl von Friedrich Merz zum Parteivorsitzenden der CDU weiter nach rechts driften wird.
Die Linke wird als kleinste Oppositionspartei versuchen, eigene Akzente zu setzen. Intern will sie ihre Wahlschlappe aufarbeiten mit »solidarischer Selbstkritik und mehr Debatte«, wie Hennig-Wellsow mit Verweis auf Rosa Luxemburg sagt. Gleichzeitig wird die Partei die neue Bundesregierung attackieren. Sie präsentiert am Samstag ein Strategiepapier, in dem sie SPD, Grünen und FDP vorwirft, in der Klimapolitik vor allem auf Anreize für Unternehmen zu setzen. Die Koalition wolle private Investitionen und steigende Preise für fossile Brennstoffe. Und das gehe zulasten der Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen. Die Linkspartei fordert stattdessen »soziale Garantien« beim Klimaschutz und mehr Rechte für die Beschäftigten. Zugleich soll aber der Transformationsprozess beschleunigt werden. Deutschland müsse 2035 klimaneutral wirtschaften, also zehn Jahre früher als von der Bundesregierung geplant. Der Kohleausstieg soll nach dem Willen von Hennig-Wellsow und ihrer Ko-Vorsitzenden Janine Wissler bereits im Jahr 2030 abgeschlossen sein.
»Die Linke muss als moderne Gerechtigkeitspartei wahrgenommen werden«, sagt Wissler an einem Rednerpult in der Berliner Parteizentrale. Sie sei die Partei der Mieter und Pflegekräfte und stehe für gewerkschaftliche und soziale Kämpfe, für mehr Klimaschutz und Frieden. Allerdings erwähnt Wissler nicht, dass es bei den von ihr genannten Themen zum Teil unterschiedliche Auffassungen in der Linken gibt. Hinzu kommt, dass derzeit ein Thema die Schlagzeilen und Nachrichtensendungen bestimmt, über das beim Jahresauftakt der Linken kaum geredet wird. Es geht um Maßnahmen der Bundesregierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie und die Frage, ob eine allgemeine Impfpflicht eingeführt werden sollte. In der Linken ist das Thema umstritten. Der Parteivorstand hatte sich Anfang Dezember mit einer knappen Mehrheit für die Impfpflicht für Volljährige ausgesprochen.
Dieses Thema überdeckt oft die sozialen Anliegen der Partei. Eine ähnliche Erfahrung hat auch Labour im Vereinigten Königreich gemacht. Sie verlor die Unterhauswahl im Dezember 2019 gegen die Tories von Boris Johnson, weil es bei der Wahl vor allem um den Brexit ging und weniger um konkrete soziale Fragen. Die Frage, ob Großbritannien aus der EU austreten sollte, hatte Labour und ihre Wählerschaft tief gespalten. Daran erinnert der Gastredner der Linkspartei, John McDonnell, der Schatzkanzler im Schattenkabinett des einstigen Parteichefs Jeremy Corbyn war. Noch immer blicken deutsche Linke wehmütig nach Großbritannien, wo es linken Politikern um Corbyn in Zusammenarbeit mit sozialen Bewegungen zwischenzeitlich gelungen war, die Labour-Partei zu kapern. Inzwischen ist Corbyn wieder an den Rand der Partei gedrängt worden. Nach den Worten von McDonnell ist das linke Programm von Labour durch den neuen Vorsitzenden Keir Starmer bedroht. Diese Situation ist sinnbildlich für die gegenwärtige Krise der Linken in vielen Ländern.
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