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Perversen Kapitalismus in Frage stellen
Brandenburgs Linke sucht nach historischer Wahlniederlage einen Weg aus der Krise
Zumindest eine gute Nachricht gibt es am Sonntag aus der brandenburgischen Linken. Landesvorständlerin Anne-Frieda Reinke bringt am Morgen ihre Tochter Alexandra zur Welt. Ansonsten besteht wenig Grund zur Freude. 8,5 Prozent der Stimmen erhielt die Linke bei der Bundestagswahl am 26. September in Brandenburg. Nie zuvor war der Landesverband einstellig geblieben, 2009 hatte er noch 28,5 Prozent erhalten.
Es ist nicht der Anfang und nicht das Ende der Debatte, versichert die Landesvorsitzende Katharina Slanina am Sonntag bei einem Landesparteitag, der wegen der Corona-Pandemie online stattfindet. Bisher hat Slanina die Diskussion um die Ursachen der Wahlniederlage als «solidarisch» geführt empfunden. Das stimmt sie optimistisch und sie hofft, dass es so bleibt.
«Das Ergebnis der Bundestagswahl war desaströs. Das ist keine Frage», gesteht die 44-Jährige. Aber es kann ein Weckruf sein. Wir müssen ihn nur endlich einmal hören.« Man habe schmerzhaft erfahren: »Zerstrittene Parteien werden nicht gewählt.« Da meint Slanina die Bundespartei, denn den Wahlkampf in Brandenburg hat sie »relativ geschlossen erlebt«.
Die Linke müsse »zu alter Stärke zurückfinden«, sagt die Landesvorsitzende. Wie das gelingen soll? »Wir müssen unterscheidbarer werden.« Es reicht Slanina zufolge nicht aus, eine Mindestlohn von 13 Euro zu verlangen, wenn die anderen zwölf Euro fordern. »Wir hatten das ökologische Programm, aber die Grünen hatten das Gefühl«, bedauert die Vorsitzende. Das Korrektiv für SPD und Grüne zu sein, sei zwar notwendig. »Aber das reicht nicht.« Corona habe doch die »Webfehler des kapitalgetriebenen Gesellschaftssystems« klar vor Augen geführt. Slanina nennt galoppierende Mieten, steigende Energiepreise. Ganz konkret verweist sie auf den drohenden Rauswurf von Senioren aus der Josefinen-Wohnanlage in Potsdam und auf den Verkauf von 51 Prozent der Anteile des kommunalen Klinikums Niederlausitz an die Sana Kliniken AG. Slanina erwähnt auch die Teilprivatisierung der Rente. »Das muss der feuchte Traum von Investmentbankern gewesen sein«, erklärt die 44-Jährige.
»Die Wähler haben faktisch entschieden: Wir haben keinen Gebrauchswert für sie«, bedauert die Bundesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow. Sie hat sich für die Generaldebatte zugeschaltet und spricht nicht länger als die fünf Minuten, die auch allen anderen zustehen. Vor allem möchte sie sowieso zuhören. Man brauche neue Ideen. »Ich glaube, dass keiner eine Antwort hat, die uns sofort aus der Krise herausführt.« In dieser Krise sei die Partei nicht erst seit der Bundestagswahl, sondern spätestens seit 2013. Der Wahlsieg mit 31 Prozent bei der Landtagswahl 2019 in Thüringen - dort stellt die Linke mit Bodo Ramelow den Ministerpräsidenten - sei eine Ausnahme, stellt Hennig-Wellsow fest.
Ein Wahlsieg im kleineren Maßstab gelang derweil im vergangenen Jahr im brandenburgischen Landkreis Teltow-Fläming. Hier konnte sich Kornelia Wehlan (Linke) gegen den Trend als Landrätin halten. Wehlans Wahlkampfleiter, der Kreisvorsitzende Felix Thier, erinnert beim Parteitag an diesen Erfolg. Er hätte sich gewünscht, dass mal jemand anruft und fragt: »Wie habt ihr das eigentlich gemacht?« Bisher aber klingelte sein Telefon nicht.
Das Ergebnis der Bundestagswahl sei »ernüchternd, aber nicht überraschend«, findet Isabelle Czok-Alm. Sie trat bei der Wahl selbst an und meint: »Statt uns bei SPD und Grünen anzubiedern, hätten wir unseren Markenkern in den Vordergrund stellen sollen. SPD und Grüne wollten uns nicht.«
Die Linke werde nicht mehr als Protestpartei wahrgenommen, weiß die Landtagsabgeordnete Marlen Block. Schließlich sei die Partei in einer rot-roten Koalition in Brandenburg von 2009 bis 2019 zehn Jahre Teil des »politischen Establishments« gewesen. »Wir können uns eine Welt vorstellen, in der es keinen Kapitalismus wie den jetzigen gibt«, ermahnt Block. »Wir sollten den Mut haben, wieder die großen Räder zu drehen, sagen, wo wir hinwollen, auch wenn es 30 Jahre dauert.« In eine ähnliche Richtung denkt auch der Vizelandesvorsitzende Martin Günther. »Eine sozialistische Partei ist nicht gefangen in kapitalistischen Lösungen«, glaubt er. Da, wo die SPD das Leben nur ein bisschen sozialer machen wolle, da stelle die Linke den »perversen Kapitalismus« in Frage. »Eine zweite Sozialdemokratie braucht es nicht«, ist Günther überzeugt. Er erwähnt - wie andere der 111 Delegierten auch - die Möglichkeit der Enteignung.
Die Linke hofft, die Josefinen-Wohnanlage in Potsdam per Enteignung für die dort lebenden Senioren sichern zu können. Dazu steht am kommenden Donnerstag ein Antrag der Linksfraktion auf der Tagesordnung des Landtags. Das Parlament soll die rot-schwarz-grüne Landesregierung auffordern, das brandenburgische Enteignungsgesetz zu überprüfen. »Dabei ist eine Lösung aufzuzeigen, wie in solch und ähnlich bedeutsamen Fällen zum Zweck der Gesundheits- und Wohlfahrtspflege sowie der Bildungs-, Wissenschafts- und Sportinfrastruktur eine Enteignung künftig ermöglicht werden kann«, heißt es in dem Antrag.
Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Linke eine Mehrheit für diesen Vorschlag erhält. Doch Linksfraktionschef Sebastian Walter will trotzdem an einer gesetzlichen Neuregelung arbeiten. »Eigentumsfragen sind Machtfragen«, erklärt er beim Landesparteitag. Welchen Einfluss die Linke künftig noch haben wird, dafür sieht der Linksfraktionschef einen Gradmesser - die kommenden Bürgermeisterwahlen in Rathenow, Eberswalde und Bernau. Die ehemalige Sozialministerin Diana Golze kandidiert in Rathenow, wo bei der letzten Bürgermeisterwahl ihr Mann Daniel Golze angetreten war und sich erst in der Stichwahl dem Amtsinhaber geschlagen geben musste. In Eberswalde kandidiert die ehemalige Sozialdemokratin Steffi Schneemilch für die Linke und die Grünen. In Bernau kandidiert Bürgermeister André Stahl (Linke) für eine zweite Amtszeit.
Der Parteitag hätte eigentlich bereits im Dezember in Schönefeld stattfinden sollen. Wegen Corona wurde er kurzfristig verschoben - und fand jetzt lediglich per Videokonferenz statt. Das sei nicht so gut wie ein persönliches Treffen, aber besser als gar nichts, sagt die Landesvorsitzende Slanina am Sonntag. Anfang April möchte sie sich zur Wiederwahl stellen, während ihre Co-Vorsitzende Anja Mayer nicht weitermachen will. Eine Nachfolgerin Mayers ist dem Vernehmen nach noch nicht gefunden.
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