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Aus der gleichen Handball-Schmiede

Beide deutsche EM-Torhüter wurden in Wetzlar ausgebildet. Ihre Entwicklung aber unterscheidet sie

  • Michael Wilkening, Bratislava
  • Lesedauer: 4 Min.

Jasmin Camdzic muss vor Stolz fast geplatzt sein. Der gebürtige Bosnier ist 51 Jahre alt, hat fast sein halbes Leben in Deutschland verbracht und kümmert sich als ehemaliger Handballtorwart seit mehr als zehn Jahren um die Keeper beim Bundesligisten HSG Wetzlar. Camdzic ist in Mittelhessen längst heimisch geworden und saß am Sonntag vor dem Fernseher, als einer seiner aktuellen Schützlinge zum ersten Mal auf der ganz großen Handballbühne auftrumpfte, während er von einem ehemaligen Talent Camdzic’ von der Bank aus angefeuert wurde. Torhüter Till Klimpke avancierte beim 34:29-Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Österreich zum starken Rückhalt, Andreas Wolff vervollständigte das Torwartduo und gab dem Kollegen wertvolle Hinweise.

Camdzic versucht Klimpke, in jedem Training daheim etwas besser zu machen. Bei Wolff ist ihm das vor ein paar Jahren bereits gelungen. »Ich habe Kontakt zu Jasmin, aber er versucht sich zurückzuhalten«, sagte Klimpke am Montag in Bratislava. Schließlich befinden sich die Torhüter im Kreis der Nationalmannschaft in Obhut von Mattias Andersson - und der Torwarttrainer aus Wetzlar möchte dem Kollegen nicht in die Arbeit pfuschen. »Der ein oder andere Tipp ist aber dabei«, räumte Klimpke ein.

Der 23-Jährige ist wie ein Schwamm, er saugt wissbegierig alle Eindrücke und Hinweise auf, die er bekommt. Der Torhüter aus einer bekannten Handballerfamilie gilt seit Jahren als Versprechen für die Zukunft. Bei der Europameisterschaft in der Slowakei machte er im zweiten Vorrundenspiel deutlich, dass schon die Gegenwart außergewöhnlich werden kann. »Till hat eine große Präsenz auf dem Feld«, sagt Andersson, der Torwarttrainer beim Deutschen Handballbund (DHB).

Topspiele auf internationalem Niveau werden nicht nur mit Muskelkraft, sondern zu einem großen Anteil im Kopf entschieden. Vor allem im Duell mit den Angreifern kommt es für die Torhüter darauf an, »in die Köpfe« jener Gegner zu gelangen, dort Angst vor dem Fehlwurf zu verursachen. Andreas Wolff war in seinen besten Partien ein Meister darin, auf dem Feld eine Aura der Unbesiegbarkeit aufzubauen. Klimpke ist in seiner Persönlichkeit ein völlig anderer Typ, aber auch er ist in der Lage, größer und schneller zu wirken als er ist. Der Wetzlarer kann somit Lücken im Tor für die Angreifer kleiner werden lassen.

»Andi hat sein riesiger Ehrgeiz ausgezeichnet. Er hatte den Willen, immer besser werden zu wollen, Die Trainingsbereitschaft war einmalig«, erinnert sich Camdzica an seine Arbeit mit Wolff. »Bei Till ist es ganz ähnlich.« Vor sechs Jahren gewann Deutschland unerwartet die EM in Polen, weil ein bis dahin nur Experten bekannter Torhüter zu einem Superstar wurde, der damals in Wetzlar unter Vertrag stand und von Camdzic trainiert wurde. Andi Wolff wurde danach wohl der bekannteste aktive Handballer in Deutschland und bildet in den Tagen von Bratislava in gewisser Weise ein Duett mit einer jüngeren Ausgabe von sich selbst. Das Miteinander des früheren und des aktuellen Keepers der HSG ist gut. »Sie haben eine gemeinsame sportliche Herkunft, das verbindet sie«, sagt Klubtrainer Camdzic.

Es wäre spannend zu erfahren, wie Wolff über seinen Kollegen denkt, ob er Parallelen zu seinem kometenhaften Aufstieg vor sechs Jahren sieht. Aber Wolff schweigt, der Keeper hat sich seit knapp einem Jahr selbst einen Interviewboykott auferlegt. Zunächst wirkte das Vorgehen etwas trotzig, nachdem er vor der Weltmeisterschaft vor einem Jahr öffentlicher Kritik ausgesetzt war.

In Bratislava ist der 30-Jährige lockerer, scheint zu mehr innerer Ruhe gefunden zu haben. Dennoch hält er an seinem medialen Schweigegelübde fest. In den zurückliegenden Turnieren waren Glanzleistungen von Wolff seltener geworden. Der (über)ehrgeizige Torhüter scheiterte an seiner eigenen Erwartungshaltung, trat verkopft auf, die Lockerheit und jene Aura der Unbesiegbarkeit waren verloren gegangen. Nun deutet einiges darauf hin, dass beides zurückkehrt. »Till hat eine innere Ruhe von Geburt an«, sagt Camdzic, »Andi musste das erst lernen. Für ihn war früher jeder Gegentreffer eine Katastrophe.«

Im abschließenden Vorrundenspiel gegen Polen an diesem Dienstag kann Wolff auf dem Spielfeld zeigen, dass er wieder bereit ist. Bundestrainer Alfred Gislason deutete an, dass der Routinier zu Beginn im Tor stehen wird: »Andi kennt die Polen sehr gut, es spricht viel für ihn«, sagte Gislason. Tatsächlich steht Wolff seit 2019 beim polnischen Spitzenklub KS Kielce unter Vertrag. Sollte er im »Gruppenfinale« gegen die bislang überzeugenden Polen mit seiner Klasse zum dritten Sieg beitragen, wäre die Ausgangsposition in der am Donnerstag startenden Hauptrunde glänzend.

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