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Kiew will auch deutsche Waffen
Während der US-Außenminister auf Erkundungstour in Europa ist, rüstet der Westen die Ukraine weiter auf
US-Außenminister Antony Blinken ist auf Europatour. Im Gepäck hat er viele Fragen unter anderem dazu, wie real die Bedrohung durch Russland ist, das nun für ein angekündigtes gemeinsames Manöver zusätzliche Truppen nach Belarus verlegt hat. Ähnliche Fragen hatte CIA-Chef William Burns – quasi als Wegbereiter von Antony Blinken – jüngst bei einem Geheimbesuch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erörtert.
Am Donnerstag will sich der US-Chefdiplomat Blinken mit den Außenministern Frankreichs, Großbritanniens und der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) austauschen, die zu Wochenbeginn das politische Terrain in Kiew und Moskau erkundet hatte. Am Freitag steht ein Treffen Blinkens mit Russlands Außenminister Sergej Lawrow in Genf an.
Auf allen Seiten und auch innerhalb der Nato gilt: Noch haben die Diplomaten das Sagen, doch bleiben jene, die auf militärische Argumente setzen und sogar Gewaltlösungen für denkbar halten, nicht untätig. Wer setzt sich durch? »Russland hat zwei Möglichkeiten: Diplomatie und Deeskalation oder Eskalation und massive Konsequenzen«, hörte man vor der Blinken-Reise aus dem US-Außenministerium. Das Weiße Haus äußerte sich ähnlich.
Die USA stellten der Ukraine – die selbst ein gewichtiger Hersteller und Exporteur von Waffen und Militärgerät ist – zusätzliches Militärmaterial in Aussicht. Bislang lieferte Washington elektronische Aufklärungs- und Luftraumüberwachungstechnik. Dazu Aufklärungsdrohnen, Geländewagen, Panzerabwehrraketen, Scharfschützengewehre und Patrouillenboote. Großbritannien flog in dieser Woche Panzerabwehrwaffen in die Ukraine. Die Türkei liefert Kampfdrohnen und demnächst auch Kriegsschiffe. Dazu schicken die Exportstaaten jede Menge Ausbilder, die die ukrainischen Soldaten an den westlichen Waffen ausbilden.
Das ist nicht nötig bei jenem Gerät, das aus einstigen sogenannten Ostblockstaaten wie Polen, Bulgarien und Tschechien kommt. Auch jede Menge Munition ist dabei. Estland informierte darüber, dass man Kiew Hunderte ausgemusterte Pistolen Makarow-Pistolen überließ. Seltsamerweise vergaß man zu erwähnen, dass auch 42 D-30-Haubitzen sowjetischer Bauart geliefert wurden. Die haben eine spezielle Geschichte, denn sie gehörten einst der Nationalen Volksarmee der DDR. Sie wurden nach der Wende von der Bundesregierung nach Finnland verkauft. Laut Vertrag muss jeder Weiterverkauf solcher Ex-NVA-Waffen von Deutschland genehmigt werden. Ob der Bundessicherheitsrat der Lieferung in die Ukraine zugestimmt hat, ist unbekannt.
Maschinengewehre und Panzerfäuste auf der Wunschliste
Falls ja, so ist die von Außenministerin Baerbock in Kiew geäußerte deutsche Enthaltsamkeit bei Waffenlieferungen wohl nicht ganz so ernst gemeint. Kanzler Olaf Scholz jedenfalls betonte am Dienstag nach einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Berlin: »Die deutsche Bundesregierung verfolgt seit vielen Jahren eine gleichgerichtete Strategie in dieser Frage. Und dazu gehört auch, dass wir keine letalen Waffen exportieren.« Daran habe sich auch nach dem Regierungswechsel nicht geändert.
Die Ukraine fordert seit Jahren Waffenlieferungen von Deutschland. Man hat elektronische Geräte auf der Wunschliste ebenso wie Maschinengewehre und Panzerfäuste und gepanzerte Fahrzeuge. Sogar Kriegsschiffe, Hubschrauber und Kampfflugzeuge wären Kiew willkommen. Der ukrainische Botschafter in Berlin Andrij Melnyk hat gerade gegenüber dpa auch noch einen »riesigen Bedarf« an »modernsten Luftabwehrsystemen« angemeldet.
Derartige Großwaffensysteme wären – wenn überhaupt – allenfalls Gegenstand langfristiger Verträge. Aktuell geht es um Waffen samt Munition nur zur Selbstverteidigung. Das betonen Lieferbefürworter und verweisen auf das Recht der Ukraine, sich vor Angriffen zu schützen. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), plädiert für Härte statt Dialogbereitschaft gegenüber Russland. Parteikollege und Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff hat – wie jeder Fachmann – Probleme mit dem Begriff »Defensivwaffen«. Er wäre lediglich bereit, »nicht kinetische Ausrüstungsgegenstände«, also Schutzwesten, Helme, Radar- oder Nachtsichtgeräte zu liefern. Zudem betonte er: »Das Kriegswaffenkontrollgesetz, die Außenwirtschaftsverordnung verbieten die Lieferung von Waffen in Spannungsgebiete, Krisengebiete, Kriegsgebiete.«
Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jürgen Hardt, übersieht das juristische Lieferverbot offenbar und will – wie der CDU-Verteidigungspolitiker Henning Otte – »defensive Waffen« an die Ukraine liefern. Hardt betonte, er sehe es wie der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck. Der ist als Wirtschaftsminister vorrangig für Rüstungsexport zuständig und hatte bereits im Wahlkampf Militärlieferungen Richtung Kiew befürwortet. Laut dpa bleibt er dabei, verschiebt die Entscheidung aber in Richtung Nato.
»Die immer lauter werdenden Forderungen aus der Ampel-Koalition nach Waffenlieferungen an die Ukraine stellen klar, wie wenig von einem neuen Rüstungsexportkontrollgesetz in der Praxis zu erwarten ist«, kritisierte die Außenpolitikerin der Linksfraktion, Sevim Dagdelen.
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