Venezuelas Weg aus der Hyperinflation

Mit Einsparmaßnahmen und einer Dollarisierung konnte die extreme Geldentwertung 2021 spürbar reduziert werden

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 4 Min.

»Wir haben die Last der Hyperinflation überwunden - mit viel Disziplin, Arbeit und Mühe.« Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro verkündete kürzlich nicht nur diese frohe Botschaft, sondern auch, dass die Wirtschaft 2021 über vier Prozent gewachsen sei. »Nach fünf Jahren Wirtschaftskrieg, Boykott und Blockade hat Venezuela den Weg des Wachstums zurückerobert«, sagte er in seinem jährlichen Rechenschaftsbericht vor der Nationalversammlung in Caracas.

Zuvor hatte Venezuelas Zentralbank die Preissteigerungsraten für das letzte Quartal 2021 bekannt gegeben: 7,1 Prozent im September, 6,8 Prozent im Oktober, 8,4 Prozent im November und 7,6 Prozent im Dezember. Die Jahresinflationsrate 2021 summiert sich 2021 damit auf 686 Prozent. 2020 hatte die Zentralbank eine Inflationsrate von knapp 3000 Prozent gemeldet.

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In Sachen Geldwertverlust ist Venezuela seit Jahren das Synonym für Hyperinflation. Als Beginn gilt der November 2017. Keine Währung weltweit hat seither so rasant an Kaufkraft verloren wie der Bolívar. Doch damit ist es vorerst vorbei. Nach Angaben der Zentralbank blieb die Teuerungsrate in den vergangenen zwölf Monaten jeweils unter 50 Prozent - dies gilt als Definition für das Ende einer Hyperinflation. Im Dezember 2020 hatte die Rate mit 77,5 Prozent letztmals über der 50-Prozent-Marke gelegen.

Dass die Zahlen realistisch sind, bestätigt das Observatorio Venezolano de Finanzas (OVF). Die unabhängige Einrichtung, der mehrere Wirtschaftsanalyst*innen angehören, weist für den Monat Dezember sogar eine niedrigere Rate von sechs Prozent aus. Allerdings sei die Hyperinflation noch nicht zu Ende, da erst zehn Monate in Folge die Rate unter der 50er-Marke blieb, erklärte das Gremium. »Trotzdem kam es Ende 2021 zu einer deutlichen Verlangsamung, da sich der Preisanstieg von 3713 Prozent im Jahr 2020 auf über 660 Prozent im Jahr 2021 verringerte.«

Als Gründe für die Eindämmung der Inflation werden die rigide Haushaltspolitik der Regierung mit Einsparungen vor allem bei den Gehältern der öffentlich Beschäftigten und den Rentenzahlungen sowie die Subventionsstreichungen bei Benzin und Diesel genannt. Folglich musste die Zentralbank weniger Geld zum Löcherstopfen drucken und die Geldmenge nicht derart uferlos ausweiten wie in den Jahren zuvor. Das milderte den Entwertungsdruck auf den Bolívar deutlich ab.

Zugleich schreitet der von der Regierung geduldete Prozess der Dollarisierung von Wirtschaft und Handel weiter voran. Längst gibt es nahezu wieder alles zu kaufen, aber eben nur gegen die US-Währung. Dabei steigen die Dollarpreise im Rhythmus der Abwertung des Bolívar, den die Zentralbank im vergangenen Jahr mit einer aggressiven Interventionspolitik stützte. Sie verkaufte dafür Dollarreserven in dreistelliger Millionenhöhe. Während die US-Währung ein knappes Gut ist und die umlaufende Geldmenge in Bolívar eingeschränkt wird, schrumpft das potenzielle Kreditvolumen. Was aufblüht, ist der Handel vor allem mit Importen. Die Produktion im Land selbst kommt mangels kreditfinanzierter Investitionen nach wie vor nicht auf die Beine.

Während die Prozentzahlen zur Inflation die Realität widerspiegeln, sind Maduros Angaben zum Wirtschaftswachstum mit großer Vorsicht zu genießen. Seit dem ersten Quartal 2019 hat die Zentralbank keine Statistiken mehr veröffentlicht. Damals war die Wirtschaft im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2018 noch um 26,8 Prozent eingebrochen. Nimmt man den weltweiten Trend seit Beginn der Corona-Pandemie, dann dürfte auch Venezuelas Wirtschaft weiter geschrumpft sein. Die vom Staatschef verkündeten vier Prozent Wachstum sind denn auch kaum mehr als ein Rebound-Effekt.

Ob die Inflation weiter erfolgreich eingedämmt werden kann, ist offen. Klar ist, wem sie bisher nützte. Und da teilt sich die Bevölkerung in zwei Gruppen: in jene, die Dollars besitzen oder Zugang zu ihnen haben, und in jene, die nur über Bolívares verfügen oder auf staatliche Hilfsprogramme angewiesen sind. Wie groß die zweite Gruppe ist, zeigt die Armenstatistik. Nach der jüngsten Umfrage der Katholischen Universität Andrés Bello leben 94,5 Prozent der Venezolaner*innen in Armut.

Trotz Senkung der Inflation war Venezuela auch 2021 weltweit der unangefochtene Spitzenreiter. In der südamerikanischen Region folgt mit klarem Abstand Argentinien mit 50,9 Prozent, dahinter Brasilien (10 Prozent), Uruguay (knapp 8 Prozent) und Chile (7,2 Prozent). Schlusslicht ist Bolivien mit weniger als ein Prozent.

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