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Vorsorge statt Schulddebatten
HEISSE ZEITEN - Die Klimakolumne: Deutschland sollte weniger über Putin diskutieren, sondern über die knappen Erdgasreserven
Die Daten zur Gasversorgung in diesem Winter geben viel Grund zur Besorgnis: Die Erdgaslieferungen aus Russland über die Ukraine sind auf fünf Prozent des Vorjahresstands gefallen, über Polen und Weißrussland werden nur noch 27 Prozent der Vorjahresmengen geliefert und die bis Dezember 2021 stabilen Liefermengen über die Nordstream1-Pipeline sind nun im Januar ebenfalls um sieben Prozent gesunken. Insgesamt fließt gerade nur noch weniger als die Hälfte der Gasmenge aus Russland verglichen mit dem Stand Anfang letzten Jahres.
Diese geringeren Liefermengen treffen auf erschreckend leere Gasspeicher. Die deutschen Gasspeicher waren insgesamt Mitte Januar noch zu etwa 40 Prozent gefüllt, die drei Speicher in Gazprom-Besitz, die ein Viertel der Kapazität ausmachen, nur noch zu 17 Prozent. Im größten deutschen Speicher in Rehden liegt der Füllstand in dieser Woche bei weniger als sechs Prozent. Aber auch die anderen Speicherbetreiber haben nach dem vergangenen Winter die Speicher nicht so gefüllt, wie es für die Versorgungssicherheit notwendig wäre. Die Auseinandersetzung in den Medien dreht sich vor allem um die Rolle des russischen Präsidenten, dabei sollten wir besser diskutieren, was eigentlich getan werden muss, um solche kritischen Situationen zu vermeiden.
2014 hat das Wirtschaftsministerium ein Gutachten veröffentlicht, das vor der Anfälligkeit des deutschen Gassystems in Bezug auf die Speicherfüllstände warnte. Werden die Speicher im Sommer nicht ausreichend gefüllt, könnten im Winter konkrete Versorgungslücken eintreten. Empfohlen wurde eine strategische Gasreserve, wie es sie auch für Erdöl gibt, sowie Mindestfüllstände in den Gasspeichern, die nicht unterschritten werden dürfen. Für Erdöl muss eine Menge vorgehalten werden, die dem Verbrauch von 90 Tagen entspricht. Für Gas gibt es bisher keine solche Vorratspflicht.
Geschehen ist seitdem nichts. Die damalige Bundesregierung lehnte die Einrichtung einer Gasreserve ab, da es auf dem Weltmarkt genügend Erdgas gäbe und genügend alternative Lieferanten zur Verfügung stünden. Diese Fehleinschätzung könnte nun im Januar/Februar 2022 noch zu einer echten Gaskrise in Europa führen, falls die nächsten Wochen eisige Temperaturen bringen und wegen eines Konflikts zwischen Russland und der Ukraine die russischen Lieferungen noch weiter abnehmen. Pipelines, die Gas aus Norwegen liefern, haben kaum mehr freie Kapazitäten. Auch der Import von Flüssiggas lässt sich nicht mehr stark erhöhen, da die Kapazitäten der europäischen Importterminals bereits stark ausgelastet sind. Dann könnte die Versorgung tatsächlich gefährdet sein. Die aktuelle Krise sollte nun endlich zu Maßnahmen wie einer strategischen Gasreserve und einem Monitoring der Mengen in den Gasspeichern führen, damit das Unterschreiten der notwendigen Füllstände klare Maßnahmen auslöst.
Die Eröffnungsbilanz Klimaschutz, die Klimaminister Robert Habeck kürzlich vorgestellt hat, sieht vor, dass neu eingebaute Heizungen ab 2025 mit einem Anteil von 65 Prozent an erneuerbaren Energien betrieben werden sollen. Bis 2030 sollen vier bis sechs Millionen Wärmepumpen installiert werden. Dafür müsste der Ausbau der Wärmepumpen jährlich um 20 Prozent wachsen. In den vergangenen Jahren ist diese Rate schon deutlich übertroffen worden und der Energieeffizienzverband für Wärme und Kälte ist zuversichtlich, dass dies geschafft werden kann.
Ein deutlich höherer Anteil der erneuerbaren Energien an der Heizenergie wird nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch der Versorgungssicherheit nutzen. Erdwärme, Umgebungswärme und Sonnenenergie sind immer vorhanden und kostenlos. Biomasse kann von den Nutzern selbst gelagert werden. Auch eine deutlich höhere Energieeffizienz der Gebäude, die die Verbräuche senkt, trägt zur Versorgungssicherheit bei. Plötzlich steil steigende Energiepreise auf dem internationalen Markt und die Abhängigkeit von einzelnen Energieversorgern werden dann der Vergangenheit angehören. Aber ehe diese Zukunft Realität für die meisten Verbraucher wird, müssen jetzt die Gasspeicher reguliert und dem Vorsorgeprinzip auch bei Gas muss Geltung verschafft werden.
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