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Versöhnliche Töne des Polterers Friedrich Merz
Der designierte CDU-Chef Friedrich Merz will die Partei zusammenführen, um Unterstützung für seine rechte Agenda zu erhalten
Friedrich Merz steht in der Mitte der Bühne. Er wippt kurz mit dem rechten Fuß und lächelt dann schelmisch. Die Anruferin bei der CDU-Basiskonferenz Ost, der er zuhört und die ein Statement von Merz wünscht, kommt für ihn wie gerufen. Die Frau meckert im sächsischen Dialekt über den »Mitte-links-Kuschelkurs von Mutti Merkel«. »Der hat uns in der Partei geschadet«, sagt sie. Auch das sei eine Ursache für die Schwäche der CDU und das Erstarken der AfD. Es sind Sätze, die auch von Merz stammen könnten. Er strahlt. »Sie haben ein paar Themen angesprochen, die auch uns beschäftigen«, sagt Merz diplomatisch. Auftritte im Osten waren für den Sauerländer stets Heimspiele. So auch an diesem 7. Dezember 2021. Da warb Merz noch um die Stimmen aus der Parteibasis, um Vorsitzender der CDU werden zu können. Er war damit erfolgreich und stach seine Konkurrenten, den ehemaligen Kanzleramtschef Helge Braun und den Außenpolitiker Norbert Röttgen, bereits in der ersten Runde aus.
Während in anderen Parteien vom Generationswechsel die Rede ist, haben sich die Mitglieder der CDU mehrheitlich für den 66-jährigen Merz entschieden. Die Zustimmung des Parteitags am Samstag für diese Personalie ist nur noch Formsache. Für Merz ist der Erfolg im dritten Anlauf eine Genugtuung. Er will eine Scharte in seinem Leben auswetzen. Im Jahr 2002 hatte er in der Opposition den Machtkampf gegen die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel verloren und musste den Vorsitz der Unionsfraktion abgeben. Das hat er offensichtlich nie verwunden. Nun ist Merz zurück. Er will der CDU »ein klares Profil« geben und sie »zu alter Stärke zurückführen«. Wie das gelingen soll, wird Merz bei seiner Parteitagsrede am Samstag skizzieren.
Erste Ansätze wurden bei seinen Auftritten während der Regionalkonferenzen deutlich. Bei der Konferenz Ost wettert ein CDU-Mitglied über die Zustände in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain. Dort kommt es ständig zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Bewohnern von linken Hausprojekten. In der Welt von Merz, in der sich alles und jeder der Logik der Kapitalakkumulation unterzuordnen hat, dürfte es so etwas gar nicht geben. Er stand als Aufsichtsratsvorsitzender und Lobbyist einige Jahre auf der Gehaltsliste von Blackrock, dem größten Vermögensverwalter der Welt. Als Anteilseigner von Immobilienkonzernen hat Blackrock auch von steigenden Mieten in deutschen Großstädten profitiert. Kein Wunder also, dass Merz angewidert ist, wenn er an alternative Hausprojekte und deren Bewohner denkt, die sich gegen die Gentrifizierung der Großstädte wehren. Der Feind steht für ihn links. »Wenn Straftäter in Gebäude eilen, dann sollten Polizisten ihnen auch ohne Durchsuchungsbefehl folgen können«, fordert Merz. Ginge es nach ihm, dann sollten die Beamten in der Rigaer Straße und anderen linken Hausprojekten auf Eskalation setzen.
Verbale Abgrenzung zur AfD
Aber auch die extreme Rechte bereitet Merz ernsthafte Sorgen. Natürlich nicht, weil sie verantwortlich ist für Terror und Gewalt gegen Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, sondern weil die Rechten der Union in den vergangenen Jahren viele Wählerstimmen weggenommen haben. Merz hat es sich zur Aufgabe gemacht, die AfD kleinzuhalten. Darauf hoffen auch ostdeutsche Spitzenpolitiker wie der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Reiner Haseloff und sein sächsischer Amtskollege Michael Kretschmer, die als Unterstützer von Merz gelten. Im »Spiegel« hat er kürzlich angekündigt: »Die Landesverbände, vor allem im Osten, bekommen von uns eine glasklare Ansage: Wenn irgendjemand von uns die Hand hebt, um mit der AfD zusammenzuarbeiten, dann steht am nächsten Tag ein Parteiausschlussverfahren an.« Sonderlich ernst dürfte er das nicht gemeint haben. Denn auch Merz weiß, dass Kooperationen von Politikern der CDU mit der AfD auf kommunaler Ebene längst Realität sind. Vielmehr ist zu befürchten, dass sich die Union unter Merz so weit nach rechts entwickelt, dass eines Tages sogar eine Zusammenarbeit mit der AfD in Landesparlamenten auf der Tagesordnung stehen könnte.
Doch so weit ist es noch nicht. Merz hat nicht wenige Feinde in der Partei. Er hat vor eineinhalb Jahren behauptet, dass »beachtliche Teile des Partei-Establishments verhindern wollen, dass ich Parteivorsitzender werde«. Gemeint waren Kreise um Angela Merkel. Nun will Merz auch diese Menschen auf seine Seite bringen und die CDU nach der schweren Niederlage bei der Bundestagswahl im Herbst wieder zusammenführen. Deswegen wird man von dem Mann, der ansonsten gerne poltert, in nächster Zeit vor allem versöhnliche Töne hören. Der frühere Fraktionsvorsitzende weiß immerhin auch, bei welchen Wählergruppen er es schwer hat, nämlich unter anderem bei Frauen und in Großstadtmilieus. Für den letztgenannten Bereich hat er den früheren Berliner Sozialsenator Mario Czaja in sein Team geholt. Czaja hatte bei der Bundestagswahl 2021 den Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf gewonnen, der zuvor ab 1990 durchgängig an die PDS beziehungsweise die Linke gegangen war. Er soll als Nachfolger von Paul Ziemiak neuer Generalsekretär der CDU werden. Als Vize-Generalsekretärin, ein neues Amt, das der designierte Parteichef erschaffen will, hat Merz die 34-jährige Christina Stumpp aus Baden-Württemberg auserkoren. Frauenförderung ist für Merz nicht ausgeschlossen, solange seine Mitstreiterinnen in der zweiten oder dritten Reihe Karriere machen.
Niemand sollte Merz unterschätzen. Er ist rhetorisch begabt und ein Machtmensch. Wenn es ihm gelingen sollte, die gesamte CDU hinter sich zu bringen, kann die Union tatsächlich eines Tages wieder vor der SPD stehen. Die Partei ist noch immer ein großer Apparat. Sie hat rund 384 000 Mitglieder. Etwa 139 000 Menschen besitzen das Parteibuch der CSU. Allerdings dürften die Zeiten vorbei sein, in denen die Union Wahlen mit großem Vorsprung gewann. Merz ist Realist. Für die CDU stelle sich aus seiner Sicht die »große Frage«, ob sie eine Volkspartei bleiben und wieder Wahlergebnisse von »deutlich über 30 Prozent« erreichen könne, sagte Merz im ARD-»Morgenmagazin«. »Das ist nicht sicher.« Das zeige etwa die Entwicklung in anderen europäischen Staaten, in denen die christdemokratischen Parteien teilweise ein »viel dramatischeres Schicksal« erlitten hätten als die CDU.
Konservative schwächeln in Europa
Die Konkurrenz hat den Konservativen nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen großen Staaten der EU wie Spanien, Italien und Frankreich mittlerweile den Rang abgelaufen. Die Konservativen haben keine schlüssigen Antworten auf die großen Herausforderungen wie etwa den Kampf gegen den Klimawandel. Doch das ist nicht der einzige Grund für ihre Schwäche. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums machen ihnen neoliberale und neofaschistische Kräfte das Leben schwer. Wer radikale Steuersenkungen und eine gewerkschaftsfeindliche Politik will, der wählt eher eine liberale Partei. Diejenigen, die eine Militarisierung der Polizei wollen, Migranten aus dem Nahen Osten für eine Bedrohung halten und sie für zahlreiche Missstände verantwortlich machen, entscheiden sich oft für rechtsradikale Kräfte. Somit stellt sich die Frage, wozu die Konservativen überhaupt noch gebraucht werden. Möglicherweise ist es für die Union ein Segen, dass die AfD zerstritten ist und sich ihr Spitzenpersonal als unfähig erwiesen hat, eine große rechte Partei aufzubauen.
Drohungen gegen Russland
Woanders ist so etwas bereits gelungen. Ein Beispiel für den Niedergang der Konservativen und den Aufstieg der Rechtsradikalen ist Italien. Dort hofft der einstige Regierungschef und Medienzar Silvio Berlusconi, dass ihm demnächst die neofaschistische Lega von Matteo Salvini bei der Wahl zum Staatspräsidenten behilflich ist. Die Kräfteverhältnisse sind klar. Salvini ist der führende Politiker im rechten Spektrum. Die konservative Forza Italia und Berlusconi haben keinen großen Einfluss mehr und taugen nur noch als Juniorpartner oder für repräsentative Ämter.
Erfolgreich waren zuletzt Konservative in Europa, die sich wie der britische Premierminister Boris Johnson gegen die Europäische Union gewandt haben. So radikal wie Johnson wird sich Merz aber nie zur EU positionieren. Viele deutsche Unternehmen profitieren von dem Staatenverbund und das soll aus der Sicht des designierten CDU-Chefs auch so bleiben. Allerdings kritisierte er einige Entscheidungen, die auf EU-Ebene getroffen wurden. So bezeichnete Merz den Corona-Hilfsfonds als einen Schritt hin zu einer »Schuldenunion«. Die EU ist für Merz eher Mittel zum Zweck bei der Durchsetzung deutscher Interessen, nicht nur ökonomisch, sondern auch in der Außenpolitik und beim Aufbau einer europäischen Armee. Jedem Militaristen dürfte bei manchen Äußerungen von Merz das Herz aufgehen. Im Osteuropa-Konflikt forderte der CDU-Politiker jüngst eine »robuste Antwort an Russlands Präsident Wladimir Putin« und er zeigte sich offen für Waffenlieferungen an die Ukraine. Wenn die Koalition aus SPD, Grünen und FDP in diesen und anderen Fragen uneins bleiben sollte, könnten Merz und die CDU davon profitieren.
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