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Norwegen plant größte Militärübung seit den 1980er Jahren
40 000 Soldaten sollen an Nato-Manöver im März und April teilnehmen. Russland zeigt bereits vorab seine maritimen Muskeln
Bis zum Wochenende erhielten 4155 norwegische Autobesitzer einen Brief von den Streitkräften. Inhalt: Im Falle des Falles gehört ihr Auto uns! »Eine solche Voranforderung mag dramatisch erscheinen«, sagt der für die Aktion verantwortliche Generalmajor Lars Christian Aamodt, er betont aber nachdrücklich, dass »die Verteidigung Norwegens eine Aufgabe für die gesamte Nation« sei. Dabei beruft er sich auf ein Gesetz aus dem Jahr 1951. Aus einem anderen Teil der norwegischen Streitkräfte, die die nördlichste Flanke der Nato sichern, kommt folgender Aufruf: »Wir suchen Kollegen, die helfen, Informationen zur Unterstützung militärischer Operationen zu sammeln, zu verarbeiten und zu analysieren.« Auch für Männer und Frauen, die keine militärischen Vorkenntnisse mitbringen, habe der Job bei Norwegens Militärspionen Karrierepotenzial, heißt es.
In jedem Spionage-Handbuch, ganz gleich in welcher Sprache, gelten Aktionen wie diese als ein Anzeichen für mögliche kriegerische Absichten. Wieso sollte man das in Moskau anders sehen? Weil Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt: »Wir wollen keinen Krieg austragen, wir wollen ihn verhindern.« Deshalb, so der Norweger in der vergangenen Woche weiter, müsse die Nato auch auf das Schlimmste vorbereitet sein. Seltsamerweise lässt man solche Beteuerungen wider den Anschein im umgekehrten Fall wesentlich weniger gelten.
Zugegeben, die Nato verkauft martialische Aktionen zumeist smarter als Russland. Am 3. Januar hatte der Chef des operativen Hauptquartiers der norwegischen Streitkräfte ein digitales Treffen mit dem Chef der russischen Nordflotte arrangiert. Dabei informierte Generalleutnant Yngve Odlo Admiral Aleksandr Moisejew über »Cold Response 22«. Odlo versicherte, dass sich strikt an das Wiener Dokument über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen von 2011 gehalten werde. Das gelte auch für Transparenz, weshalb Russland wie auch alle anderen Mitglieder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als Beobachter willkommen seien. Moisejew dankte für die zur Verfügung gestellten Informationen und wünschte seinen norwegischen Kollegen eine sichere Durchführung des Manövers.
Das klingt geradezu freundlich, betrachtet man das übrige Verhältnis zwischen der Nato und russischen Stellen. Hoch im Norden ist alles ein wenig anders als in Zentraleuropa. Zwar brach auch Oslo nach der Okkupation der Krim im Jahre 2014, wie die meisten anderen Nato-Mitglieder, alle sicherheitspolitischen Kontakte zu Moskau ab, doch sicherten sich die norwegischen Militärs abseits der politischen Leitlinien eine Hotline vom militärischen Hauptquartier bei Bodø zum Hauptquartier der russischen Nordflotte in Severomorsk. Man möchte Missverständnisse vermeiden und mögliche Vorfälle vor deren Eskalation eindämmen. Laut General Eirik Kristoffersen, Chef der norwegischen Streitkräfte, sei die Kommunikation gut.
Das kann man nur hoffen, denn das für März und April geplante westliche Großmanöver hat – so wie Russlands maritime Muskelspiele im Januar und Februar – gerade in den aktuell aufgeregten Zeiten jedes Potenzial für nachhaltige Missverständnisse. Knapp 40 000 Soldaten aus den Nato-Staaten Kanada, Dänemark, Großbritannien, Frankreich, Belgien, Niederlande, Italien, Griechenland, Türkei, Deutschland, Spanien, Polen, Tschechische Republik, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowenien, Kroatien, Montenegro und Nordmazedonien sowie aus Norwegens Nachbarland Finnland wollen an »Cold Response 22« teilnehmen. Zum Vergleich: Zum wegen der Corona-Pandemie letztlich abgesagten Nato-Manöver »Cold Response 2020« waren 15 000 Soldatinnen und Soldaten aus zehn Staaten befohlen.
Das derzeitige Säbelrasseln zwischen der Nato und Russland hat einen langen Vorlauf. Um eine so große Anzahl an Soldaten zu bewegen, braucht es Monate an Vorbereitung. Bedrohlich wirken die Militäraktivitäten trotzdem. Die Ausweitung der Manöveraktivität hat nicht nur mit den Streitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine zu tun. »Es gibt ein deutlich erhöhtes Interesse unserer Verbündeten für den Norden und die Arktis«, sagte General Kristoffersen und spricht von der »größten Militärübung innerhalb des Polarkreises seit den 1980er Jahren«. Norwegens Verteidigungsminister Frank Bakke-Jensen bestätigt, dass man »Cold Response 2022« als Teil einer dauerhafteren Nato-Präsenz in der Arktis sehen müsse.
Die Machtdemonstration ist nicht nur quantitativ, sondern auch waffentechnisch nicht »ohne«. Während die britische Royal Navy ihren Flugzeugträger HMS »Prince of Wales« zum Nato-Manöver schickt, verlegen die USA die USS »Harry S. Truman« samt Geleit- und Versorgungsschiffen aus dem Mittelmeer nach Norwegen. Die »Truman« kann bis zu 90 Jets und Hubschrauber mitführen, an Bord des »Prinzen-Trägers« sind normalerweise zwölf F-35-Stealth-Jets. Nun will man deren Anzahl angeblich verdoppeln. An »Cold Response 22« beteiligen sollen sich auch vier B-1-Atombomber der US-Luftwaffe, die auf dem Militärflugplatz Orland in der Mitte Norwegens stationiert sind. Jeder dieser Jets kann bis zu 24 Marschflugkörper mit einer Reichweite von bis zu 360 Kilometern und andere tödliche Fracht mitführen.
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Umso genauer werden Russlands Streitkräfte auf das Manöver schauen. So wie schon im vergangenen Jahr bei der Übung »Arctic Challenge Exercise 2021«. Die Bundeswehr hatte da nicht nur zehn »Eurofighter« im Einsatz, sondern auch Experten des Zentrums Elektronischer Kampf, die russische Raketensysteme simulierten. Die russische Nordflotte hatte damals zwei Raketenkreuzer als »externe Beobachter« entsandt. Die Teilnehmer von »Cold Response 22« werden es unter anderem mit der Fregatte »Admiral Gorschkow« zu tun haben. In Moskau wies man dezent darauf hin, dass die Mannschaft dieses Schiffes bereits mehrfach erfolgreich Zirkon-Hyperschallraketen getestet habe. Zudem werden U-Boote »Fühlung halten«.
Die Gefahr, die vom russischen Militär ausgeht, ist vermutlich berechenbar. Das gilt nicht für den »Übungsteilnehmer« namens Corona. Oslo beruhigt kritische Nachfragen mit dem Hinweis, dass jeder dritte Übungsteilnehmer auf See sein wird. Alle anderen würden in speziellen Lagern untergebracht und »unnötigen Kontakt mit der Bevölkerung« vermeiden. Somit besteht zumindest keine Gefahr, dass die Militärs – und sei es nur übungshalber – braven Bürgern die Autos aus den Garagen holen.
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