Juso-Chefin: »Politik machen, die vorausschauend ist«

Jessica Rosenthal plädiert für eine Impfpflicht ab 18, verteidigt aber die Vorsicht des Kanzlers

  • Max Zeising
  • Lesedauer: 4 Min.

Frau Rosenthal, die Jusos haben sich auf ihrem Bundeskongress im November für die Einführung einer Impfpflicht ab 18 Jahren ausgesprochen. Können wir also erwarten, dass die 49 Jusos im Bundestag dieser nun auch zustimmen werden?
Die Jusos im Bundestag sind kein monolithischer Block, sondern frei gewählte Abgeordnete, die sich eigenständig positionieren werden. Der Juso-Bundeskongress hat sich aber eine klare Meinung gebildet, die ich absolut teile. Ich werde deshalb einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren zustimmen. Außerdem kann solch eine allgemeine Impfpflicht nur gemeinsam mit einer großflächigen Impfkampagne funktionieren.

Eine Impfpflicht könnte die Omikron-Welle nicht mehr bekämpfen und erst gegen eine mögliche Herbstwelle wirken. Wir wissen aber noch gar nicht, welche Mutation dann vorherrscht und ob die Impfstoffe dann noch wirksam sind.
Wir müssen endlich eine Politik machen, die vorausschauend ist. Die Impfpflicht ist der sicherste Weg in einen Herbst und Winter, in dem wir wieder zusammen sein können, in dem Schul-, Uni- und Ausbildungsbetriebe und das Recht auf Bildung gesichert sind. Man kann jetzt schon sagen, dass drei Impfungen vor einem schweren Verlauf schützen. Das sagen Expert*innen auch für weitere Mutationen voraus.

Interview
Jessica Rosenthal ist seit einem Jahr als Nachfolgerin von Kevin Kühnert Bundesvorsitzende der Jusos. Bei der Bundestagswahl 2021 zog sie über die Landesliste Nordrhein-Westfalen ins Parlament ein. Sie sitzt dort im Bildungsausschuss sowie als Stellvertreterin im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Vor der Orientierungsdebatte im Bundestag über die Einführung einer Impfpflicht sprach Max Zeising mit der 29-jährigen Sozialdemokratin.

Zur Impfpflicht äußern sich manche Expert*innen allerdings zurückhaltender. Die Virologin Melanie Brinkmann etwa, die in der Pandemie stets zum Team Vorsicht gehörte, hat sich für eine Impfpflicht ab 50 Jahren ausgesprochen. Warum ist das für Sie keine Option?
Ich verstehe, warum man mit Blick auf die Verhältnismäßigkeit eher die Gruppen ab 50 in den Blick nimmt. Ich glaube aber, dass wir die notwendige Impfquote von 90 Prozent in der gesamten Gesellschaft nicht mit solch einer Impfpflicht ab 50 Jahren erreichen werden. Diese Impfquote braucht es aber, um weitere Mutationen und eine dauerhafte Belastung des Gesundheitssystems zu verhindern. Und: Es gibt auch vulnerable Gruppen, die nicht 50 plus sind.

Bundeskanzler Olaf Scholz wirkt bei der Impfpflicht-Debatte zurückhaltend. Er wirbt für die Impfpflicht ab 18, allerdings als einfacher Abgeordneter. Eine Regierungsvorlage wird es nicht geben. Warum zeigt Scholz so wenig Führung?
Hinter diesem Vorgehen steht ja die Entscheidung, dass der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit eine ethische Dimension hat. Dass Olaf keine Linie vorgeben will, kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich glaube trotzdem, dass insbesondere die SPD-Fraktion, aber auch andere Fraktionen zur gleichen Bewertung kommen werden wie Olaf Scholz und wir eine Mehrheit für die allgemeine Impfpflicht im Bundestag haben werden.

These: Wäre die FDP nicht in der Regierung, läge längst ein Vorschlag vor.
Die FDP hat sicher eine diversere Haltung in den Reihen ihrer Abgeordneten, als das beispielsweise in der SPD-Fraktion der Fall ist, aber das ist ja das Wesen einer Gewissensfrage. Auch wenn ich hier selbst eine klare Position habe.

Warum nimmt Olaf Scholz so viel Rücksicht auf die FDP?
Ginge es um andere Fragen, die keine Gewissensfragen sind, würde Olaf seiner Richtlinienkompetenz – so habe ich ihn zumindest kennengelernt – alle Ehre machen. Nur ist es eben in diesem Fall eine Gewissensfrage. Und da hat der Regierungschef nicht die oberste Kompetenz, sondern das Gewissen jedes einzelnen oder jeder einzelnen Abgeordneten.

Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach wirkt wie ausgewechselt, seit er im Amt ist. In der Opposition war er Mahner und Warner, jetzt will er neutral sein und legt ebenfalls keinen Vorschlag vor.
Auch er ist nicht neutral, sondern will, dass bei solch einer wichtigen Debatte der Gesetzesentwurf dort hervorgeht, wo die Entscheidung getroffen wird, aus der Mitte des Parlaments. Wenn Sie mit Karl als Abgeordneten sprechen, werden Sie einen vehementen Verfechter der Impfpflicht finden.

Es gibt einen fraktionsübergreifenden Vorschlag für eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren, unterzeichnet etwa von den Gesundheitsexperten Dirk Wiese (SPD) und Janosch Dahmen (Grüne) sowie der FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Das ist doch was für Sie, oder?
Dirk Wiese, Dagmar Schmidt und weitere Abgeordnete erarbeiten den Antrag gemeinsam in ihren Namen, aber viele Sozialdemokrat*innen – und auch ich – sind in ihrer Haltung sehr nah an dem, was da jetzt ausgearbeitet wird.

Ein Impfregister soll es Dirk Wiese zufolge aus zeitlichen Gründen vorerst nicht geben. Wenn der Impfstatus der Bürger*innen aber nicht zentral erfasst wird, ist doch die Impfpflicht ein zahnloser Tiger.
Nein, das ist sie nicht. Es gibt andere Möglichkeiten, zum Beispiel Kontrollen.

Also: Impfregister vom Tisch?
Nein. Ein Impfregister hat viele Vorteile, man könnte beispielsweise noch einmal gezielt Menschen anschreiben. Nur: Es dauert sehr lange, ein solches Register aufzubauen. Deshalb ist es nicht sinnvoll, das jetzt mit der Impfdebatte zu verknüpfen. Wir brauchen jetzt zügig die allgemeine Impfpflicht, um wieder eine Perspektive zu haben. Alle weiteren Schritte können dann auch noch im Anschluss besprochen werden.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.