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  • Religionsstreit an Schulen

Die Kids wollen diskutieren

Studie sieht religiöse Konflikte an Neuköllner Schulen auf dem Vormarsch, Experten kritisieren die Analyse

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 6 Min.

»Es war eine neue Welt«, sagt Tobias Nolte, der selbst ein katholisches Gymnasium besucht hat. Nach seinem Referendariat begann er als Oberstufenlehrer an der Neuköllner Gemeinschaftsschule auf dem Campus Rütli zu arbeiten. Er sei Kindern und Jugendlichen begegnet, »von denen 90 Prozent eine migrantische Geschichte hatten und von denen auch 90 Prozent eine Lehrmittelbefreiung haben, was heißt, dass sie in armen Familien leben«, erklärt Nolte.

Es sei ihm vor dem Hintergrund seiner eigenen Biografie nicht neu gewesen, dass Religion eine starke Rolle spiele, erklärt der Lehrer für Deutsch und Politik. »Aber es war mir neu, dass Kinder sich so stark darüber identifizieren«, erinnert er sich. Nolte hat, seit er 2013 auf dem Rütli-Campus angefangen hat, Projektkurse mit dem Titel »Glauben und zweifeln« sowie »Naher Osten« mitentwickelt und umgesetzt. Am Dienstag nimmt er an einem Online-Gespräch zur Frage »Religionsstreit an Schulen? Wie umgehen mit Konflikten?« teil, zu dem der Mediendienst Integration eingeladen hat.

Der Anlass: In Neukölln soll eine »Anlauf- und Dokumentationsstelle konfrontative Religionsbekundungen« geschaffen werden, die unter anderem Vorfälle religionsbezogener Konflikte an Schulen erfasst. Der Verein für Demokratie und Vielfalt (DeVi) hat dafür eine Bedarfsanalyse erstellt und im Dezember 2021 veröffentlicht. Für die Analyse wurden qualitative Interviews mit pädagogischem Personal an acht Schulen des Bezirks im Oktober und November 2021 geführt; zwei weitere Schulen wurden bereits 2019 in einer »internen und thematisch vergleichbaren Befragung« untersucht. Die Analyse zeige, dass 50 Prozent der befragten Schulen eine »hohe Problemwahrnehmung des Phänomens« haben, 37 Prozent eine »geringere« und 13 Prozent (eine Schule) keine, heißt es darin.

Ob aus der Studie der Schluss gezogen werden kann, dass es eine solche Anlauf- und Dokumentationsstelle grundsätzlich braucht, darüber ist man sich im Bezirk ganz und gar nicht einig. Tobias Nolte hat große Zweifel. Er könne den Eindruck der Studie überhaupt nicht teilen, erklärt er. Natürlich gebe es Konflikte, aber die seien nicht dezidiert religiös motiviert. Sein Eindruck aus den gut besuchten Wahlpflichtkursen, das heißt den freiwillig absolvierten Seminaren, die er unter oben genanntem Titel anbietet: »Es gibt ein großes Bedürfnis, sich zum Thema Religion auszutauschen«, so der Pädagoge. Seine Kurse konzipiere er auch nicht explizit zum Islam, sondern bereite darin unter anderem die Infragestellung des kirchlichen Weltbilds durch Galileo Galilei, Verschwörungstheorien sowie Reden des salafistischen Predigers Pierre Vogel auf. Bei Plattformen wie Tiktok und Youtube finde man religiöse Welterklärung im Schnelldurchlauf, sagt Nolte. Sein Problem sei vielmehr die Zeit, die man für Beziehungsarbeit mit Schüler*innen benötige, um die Bereitschaft zum Diskutieren zu wecken, fügt er vor dem Hintergrund seiner Teilzeitstelle hinzu. »Religiöse Konflikte sind bei uns im Kollegium kein großes Problem, Arbeitsbelastung schon.«

Der Begriff »Konfrontative Religionsausübung« wird laut Götz Nordbruch von Ufuq.de zunehmend synonym für »Islamismus« oder als Hinweis auf ein frühes Stadium einer Radikalisierung verwendet. Nordbruch, der Berliner Schulen zu Fragen religiöser Diversität berät, kritisiert das: »Die Verwendung des Begriffs verstellt den Blick auf die Motive, aus denen Jugendliche agieren, und suggeriert eine besondere Dringlichkeit, dieses Verhalten zu sanktionieren.«

Im Gespräch anlässlich der Devi-Studie gibt Nordbruch zu bedenken, dass es bei der Debatte um Prävention, Radikalisierung oder Abwendung von der Schule immer auch um die Institution gehen müsse. »Prävention kann nicht nur heißen: Der Jugendliche muss sich verändern«, auch die Schule müsse das. Man könne in einem explizit säkularen Raum wie Schule durchaus religiöse Fragen diskutieren. »Welches Würstchen kommt beim Schulfest auf den Grill?« sei zum Beispiel keine explizit religiöse Frage, sondern auch eine ökologische, ethische - oder eine der persönlichen Vorliebe.

Werner Schiffauer ist Ethnologe an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) und hat sich die Studie auch vor dem Hintergrund ihrer Methodik angeschaut. Er komme »zu dem eindeutigen Ergebnis, dass sich konfrontative Religionsausübung auf wenige Einzelfälle beschränkt und insgesamt in deutlichem Rückgang begriffen ist«, betont Schiffauer. Dies lasse sich insofern herauslesen, dass man Auseinandersetzungen als religiös definiere, die weniger mit Religion zu tun haben als mit ethnischen und politischen Vorstellungen. Das betreffe die Aufteilung von Fußballmannschaften in »Türken« und »Araber« genauso wie die Beobachtung, »dass Kinder Israel aus dem Atlas rausschneiden und übermalen wollen. Dies werde zu Recht als klare Infragestellung des Existenzrechts Israels thematisiert«, betont Schiffauer, und sei »natürlich problematisch, aber es ist eine politische und keine religiöse Äußerung«. Auch wenn es um angebliche Kriminalität im Zusammenhang mit »Gangs« oder »Clans« gehe, habe dies nichts mit dem Islam zu tun.

Die Beteiligten an der Debatte verweisen auf Beratungen wie die Anlaufstelle für Diskriminierungsschutz an Schulen, die Berliner Unabhängige Beschwerdestelle oder auch die Arbeit der Anti-Mobbing-Beauftragten, die es zu stärken gelte. Man habe die Macher*innen der Devi-Studie im Übrigen eingeladen, an der Diskussion teilzunehmen, heißt es vom Mediendienst Integration auf Nachfrage, allerdings hätten diese abgelehnt.

Die Devi-Studie ist nicht repräsentativ. Der jährlich herausgegebene Berlin-Monitor ist es hingegen schon. Von 2016 bis 2020 haben sich die antimuslimischen Vorfälle in der Hauptstadt verdoppelt, im Falle religiöser Konflikte an Schulen gehen diese in 317 von 324 Fällen auf pädagogisches Personal und diskriminierende Äußerungen gegenüber dem Islam zurück.

Auch der Rat der Berliner Imame beteiligt sich an der Diskussion um die Etablierung einer »Anlauf- und Dokumentationsstelle konfrontative Religionsbekundung«. In einer Stellungnahme vom Dienstag heißt es: »Die unreflektierten Äußerungen zur Arbeit von Moscheegemeinden diskreditieren unser Bemühen, Muslim*innen, die unsere Moscheen aufsuchen, Pluralität zu vermitteln und für eine Meinungs- und Handlungsvielfalt zu werben.« Sie untergraben unser Bemühen, Menschen über den wahren Sinn und Zweck von Ritualen, Vorschriften und religiösen Regeln aufzuklären und ihnen ein ausgewogenes Religionsbild zu vermitteln. Als Moscheegemeinden und Imame sei man nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.

Die Linksfraktion Neukölln lehnt die Registerstelle ebenfalls ab. Fraktionsvorsitzender Ahmed Abed erklärte in der Bezirksverordnetenversammlung, man fordere, dass Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) »seine Unterstützung zurücknimmt«. Es brauche »wirkliche Verbesserungen für Schulen«, anstatt »unwissenschaftliche Bestandsaufnahmen« oder »stigmatisierende Registerstellen«. Im neuen Koalitionsvertrag sei eine unabhängige Informations- und Beschwerdestelle für Antidiskriminierung und Inklusion an Schulen beschlossen worden, die beim Berliner Parlament angesiedelt werden soll. »Diese ist dann für alle Formen von Diskriminierung oder Mobbing Anlaufstelle. Wichtig ist, dass diese neue Stelle mit genügend Personal ausgestattet wird. Dafür muss in den jetzt laufenden Haushaltsverhandlungen genügend Geld bereit gestellt werden«, so Ahmed Abed weiter.

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