• Berlin
  • Omikron-Welle flutet Berlin

Senat wechselt Pandemie-Strategie

In einer Sondersitzung beschäftigt sich das Abgeordnetenhaus mit der aktuellen Omikron-Welle

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Omikron-Welle türmt sich in Berlin täglich höher auf. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts vom Mittwochmorgen gab es in den vergangenen sieben Tagen 1795,5 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner. Damit liegt Berlin an der Spitze aller Bundesländer. Die wirkliche Verbreitung der Omikron-Variante des Coronavirus liegt jedoch noch deutlich höher. »29 000 Fälle sind noch nicht in die Daten eingepflegt«, erklärte Berlins Gesundheitssenatorin Ulrike Gote am Mittwoch in einer Sondersitzung des Gesundheitsausschusses des Abgeordnetenhauses. In deutlichen Worten räumte die Grünen-Politikerin ein, dass die aktuellen Entwicklungen eine Anpassung der Maßnahmen zur Pandemie-Eindämmung erfordern: »Angesichts der Omikron-Welle, in der wir mitten drin stehen, muss man von einem Strategiewechsel sprechen«, sagte Gote.

Ein Kernelement des Strategiewechsels des rot-grün-roten Senats ist einerseits ein Umdenken, was die Teststrategie angeht, in der die Kapazitäten von PCR-Tests nicht mehr ausreichend sind. »Es ist bekannt, wir haben bundesweit einen Mangel an PCR-Tests, auch in Berlin«, sagte Gote. Außerdem will der Senat einen »Systemwechsel« beim Thema Quarantäne und Isolation durchführen. Kontaktpersonen in Quarantäne zu schicken sei nicht mehr so wichtig wie in der ersten Welle, hieß es. Es sei deshalb epidemiologisch sinnvoll, andere Vorgaben zu machen, so die Gesundheitssenatorin.

Der Gesundheitsexperte der Linksfraktion, Tobias Schulze, sagte: »Man muss sagen, mit der hohen Infektiosität ist es eine Kapitulation.« Ein Niedrighalten der Inzidenz, wie in früheren Zeiten der Pandemie, gehe nun nicht mehr. »Die Verantwortung der Menschen für ihre Gesundheit steigt, muss auch steigen«, sagte Schulze. Es stelle sich die Frage, lasse man es so laufen? Schließlich würden die Menschen erwarten, dass man sie dabei unterstütze, zu Hause zu bleiben und sich zu schützen.

Der zur Sondersitzung des Gesundheitsausschusses dazu geladene Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Torsten Schneider, betonte: »Eine Pandemie laufenzulassen, ist der ganzen Verwaltung entzogen.« Schneider begründete seine Rechtsauffassung mit dem Verweis auf den Schutzauftrag des Gesetzgebers, der sich unmittelbar aus dem Grundgesetz ableite. Solche grundlegenden Entscheidungen seien deshalb dem Bundestag vorbehalten. Der SPD-Politiker warf zudem in die Debatte ein: »Wir schwächen tragende Säulen der Pandemie-Bekämpfung, nämlich die Quarantäne.« Je bedeutsamer die Veränderungen seien, desto besser müssten sie kommuniziert werden. Der Parlamentarische Geschäftsführer mahnte überdies, auf Vokabeln wie »Durchseuchung« oder »Kapitulation« in der Diskussion zu verzichten. Es brauche vor allem Ruhe, Besonnenheit und Verantwortungsbewusstsein.

»Es ist nicht Kapitulation, es ist das Akzeptieren von Fakten«, begründete die Gesundheitssenatorin ihr politisches Handeln. Man verfolge in Deutschland nicht die Strategie, alles laufenzulassen. Es gebe nur keine Möglichkeit mehr, die Omikron-Welle zu stoppen oder massiv abzumildern. Klar sei: »Wir können uns alle noch schützen, in dem man eine Maske aufzieht, Abstand hält, lüftet und Hände wäscht.« Darüber hinaus helfe natürlich das Impfen, so die Senatorin. Aus ihrer Sicht sind derzeit alle miteinander überfordert, diesen Strategiewechsel zu kommunizieren. Überhaupt sei die Bundesrepublik Deutschland nicht gut darin, mit Unsicherheit umzugehen.

Wie in Zukunft beispielsweise das Freitesten aus der Quarantäne und der Isolation funktionieren wird, ist derzeit unklar. Mit diesen Fragen beschäftigen sich unter anderem die Gesundheitsministerinnen und -minister der Länder mit dem Bundesgesundheitsminister. Auch die Quarantänezeiten dürften ein Streitpunkt werden. Arbeitgeber dürften sicherlich darauf erpicht sein, ihren Beschäftigten möglichst keine Fehlzeiten zuzugestehen.

Angesichts der Omikron-Welle kann es Berlin bei der Anpassung einer neuen nationalen Teststrategie nicht schnell genug gehen. Was die Zertifikate angeht, die belegen, dass man aus der Quarantäne darf, setzt Berlin auch auf Apotheken. Auf keinen Fall sollen die Gesundheitsämter mit dieser Aufgabe weiter überlastet werden. Einen erster Verordnungsentwurf für den Bildungsbereich will der Senat in der kommenden Woche verabschieden. »Da muss es einfache Lösung geben«, fordert Gesundheitssenatorin Gote.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.