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Olympia-Taktik: Keine Menschen sehen
Kurz vor der Abreise zu den Spielen in Peking fürchten die Athleten Infektionen und manipulierte Tests
Wie weit sind Sportler bereit, für ihren Traum von Olympia zu gehen? Die Corona-Winterspiele von Peking in Zeiten der Omikronwelle definieren die Grenzen ganz neu. »Wir haben schon zwei Jahre die Kontakte reduziert, aber jetzt ist es noch mal verschärft. Man hat als Sportler keine sozialen Kontakte mehr. Die Taktik ist: Keine Menschen sehen«, sagt die deutsche Skilanglauf-Hoffnung Katharina Hennig. Gerade ist die Zeit der radikalen Selbstquarantäne rund eine Woche vor Olympia, um die noch einmal gestiegene Ansteckungsgefahr zu minimieren.
Das heißt laut Skisprung-Bundestrainer Stefan Horngacher: »Abschirmen von allen Leuten, auch von den Familien.« Es geht also ins Sportler-Kloster, sogar »separiert von Partner oder Partnerin« (Skilanglauf-Chefcoach Peter Schlickenrieder). Als in den letzten Tagen daheim Freunde noch mal auf einen Kaffee vorbeikommen und Glück für Olympia wünschen wollten, so erzählt Jonas Dobler, »musste ich absagen. Das war schon skurril«, so der Langläufer.
Inzwischen ist er längst im abgeschirmten Vorbereitungstrainingslager im schweizerischen Davos angekommen. Jeder in der Blase hier unterliegt einem strengen Testregime. Im Hotel gibt es einen eigenen Speiseraum und sogar spezielle Aufgänge in die Zimmer nur für das deutsche Team. Direkte Nähe hat man meist nur zu einem Teamkollegen. Ansonsten bleibt für den Kontakt zur Außenwelt nur das Handy, das Katharina Hennig als momentan »wichtigstes Utensil« in ihrem Leben bezeichnet.
Ob dieser Quarantäne-Wahnsinn am Ende etwas bringt, weiß niemand so genau. Schließlich bleibt trotzdem ein Restrisiko, speziell bei der Olympia-Anreise im vollen Flieger nach China. Zumal nach der Ankunft dort verschärfte Regeln dafür gelten, wann ein Coronatest als positiv eingestuft wird. Zwar haben die Olympia-Organisatoren den umstrittenen CT-Wert (Cycle Threshold) für einen positiven Test gerade von 40 auf unter 35 gesenkt. Es gibt aber immer noch einen Unterschied zu Deutschland: Dort liegt laut Robert Koch-Institut ein positiver Befund erst bei einem CT-Wert von unter 30 vor. Je niedriger dieser Wert ist, umso ansteckender ist eine Person.
Es kann also passieren, dass man in Deutschland negativ getestet in den Flieger steigt, in China aber positiv ankommt. Die deutschen Rodler haben während ihrer Testrennen auf der Olympiabahn zu Beginn des Winters Erfahrungen damit gemacht, was dann passiert. »Wir waren in China in Isolation, weil bei der Ankunft jemand aus dem Flieger positiv getestet wurde, obwohl bei der Abreise alle noch negativ waren. Wir konnten dann zwar unter totaler Abschottung trainieren, wurden aber ansonsten isoliert«, erzählt Weltmeisterin Julia Taubitz und berichtet vom Procedere: »Jeden Abend um 23 Uhr und morgens um 5 gab es einen Corona-Test. Gerade, wenn man nach dem Jetlag mal endlich eingeschlafen war, wurde man in der Früh wieder geweckt. Das Essen wurde in Plastiktüten vor die Tür gestellt und war meist kalt.« Ein weiteres Ärgernis: Nach Stürzen fehlte es an der Bahn an schneller medizinischer Hilfe, weil die chinesischen Helfer aus Angst vor einer Ansteckung niemanden anfassen wollten.
Die frischgebackene Gesamtweltcupsiegerin Taubitz wird jedenfalls »vor jedem Coronatest nervöser als vor dem eigentlichen Rennen sein«, sagt sie voraus. Auch deshalb, weil viele deutsche Trainer und Sportler mittlerweile Angst vor manipulierten Coronatests äußerten. Die vom deutschen Alpin-Sportdirektor Wolfgang Maier angestoßene Diskussion (»Du kannst jeden aus dem Verkehr ziehen, der dir irgendwie im Weg steht«) bereitet nun auch dem dreimaligen Rodelolympiasieger Felix Loch Kopfzerbrechen: »Wir haben uns vorher nicht vorstellen können, was bei Olympia 2014 in Sotschi in Sachen Dopingtests vorgefallen ist. Und jetzt gibt es ein viel einfacheres Mittel, um jemanden aus dem Verkehr zu ziehen. Im Vergleich zu Dopingtests sind die Corona-Abstriche sehr leicht zu manipulieren. Und dann bist du einfach raus«, fürchtet Loch. Im Rodeln schätzt der Routinier die Gefahr mangels konkurrenzfähiger chinesischer Sportler als relativ gering ein, aber im Bob und Skeleton sähe das schon anders aus. Noch größer könnte die Gefahr beispielsweise im politisch prestigeträchtigen Eiskunstlauf sein, wo der Erzfeind USA in direkter Konkurrenz zu den Hoffnungen von Gastgeber China steht.
Der deutsche Skilanglauf-Boss Schlickenrieder kann sich dagegen nicht vorstellen, dass die Gastgeber massenhaft Coronatests fälschen: »Wir werden sehr korrekte Abläufe erleben. Ich glaube eher, dass die Chinesen den Titel des Organisations-Weltmeisters von Deutschland übernehmen wollen. Schließlich sind Masken und Tests ein Riesenmarkt für China.« Die Gefahr, dass es trotzdem viele positive Testresultate bei Olympia geben könnte, ist laut Schlickenrieder wegen Omikron und vielen Menschen im Olympischen Dorf dennoch sehr real. Er gibt daher nicht die erste deutsche Olympiamedaille im Skilanglauf seit acht Jahren als Ziel aus, sondern etwas ganz anderes: »Die Spiele sind schon ein Erfolg, wenn ein Großteil der nominierten Athleten am Start steht.«
Teilnahme ist also plötzlich wieder alles. Das fast schon vergessene olympische Motto erlebt inmitten des Wahnsinns rund um die Pandemie eine traurige Renaissance.
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