- Berlin
- Mietenwahnsinn in Berlin
Hamburg taugt nur bedingt als Vorbild
Mieterverein sieht vor Auftakt zu Berliner Wohnungsbündnis Licht und Schatten in beiden Städten
Diesen Freitag soll es ein erstes Treffen des Bündnisses für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen geben. »Es soll nicht einfach eine Runde sein, wo man sich austauscht über Schwierigkeiten«, verspricht die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Donnerstag in ihrer Regierungserklärung im Abgeordnetenhaus. Dem Bündnis sollen sowohl landeseigene als auch renditeorientierte Wohnungsunternehmen - konkret Vonovia und die Adler-Gruppe -, Genossenschaftsvertreter, Bau- und Wohnungswirtschaftsverbände und der Gewerkschaftsbund DGB angehören. Giffey nennt es auch »gut, dass beide Bürgermeister zugesagt haben, in der politischen Runde dabei zu sein«. Die Teilnahme von Mobilitätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) und Kultursenator Klaus Lederer (Linke) lässt sich eher als Einhegung der bauwütigen Bürgermeisterin und ihres Stadtentwicklungssenators Andreas Geisel (SPD) verstehen. Auch Bezirksbürgermeister aller drei Koalitionsparteien sollen vertreten sein.
Vorbild sei für Franziska Giffey »ein Bündnis, das erfolgreich war«, nämlich die Hamburger Senatskommission Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Doch ein weiterer Teilnehmer, der Berliner Mieterverein, warnt am Donnerstag bei einer Online-Pressekonferenz vor dem »sehr neubaufixierten Blick auf die Hamburger Situation«, allein schon »wegen der deutlich schwierigeren sozialen Situation« in der Hauptstadt, wie dessen Geschäftsführer Reiner Wild sagt.
- Der gesteigerte Wohnungsneubaus hat offenbar weder in Berlin noch in Hamburg auf Wiedervermietungs- und Bestandsmieten einen insoweit dämpfenden Effekt gehabt, dass für breite Schichten bei Wiedervermietung die 30-Prozent-Belastungsgrenze am Haushaltsnettoeinkommen zu halten ist, heißt es in der Kurzstudie des Berliner Mietervereins.
- Von 2011 bis 2019 wuchs die Hamburger Bevölkerung um 7,5 Prozent auf 1,85 Millionen Menschen. Berlin ist im gleichen Zeitraum sogar um 10,3 Prozent gewachsen: auf 3,67 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner.
- 2020 kamen in Hamburg auf 100 Haushalte knapp 94,9, in Berlin 97,4 Wohnungen.
- Von 2014 bis 2020 wurden an der Spree Baugenehmigungen für 44,1 Wohnungen pro 1000 Einwohner erteilt, an der Elbe waren es 40,8. Bei den Fertigstellungen hinkt Berlin mit 27,95 neuen Wohnungen pro 1000 Einwohner dem Hamburger Ergebnis von 36,64 hinterher.
- Ein Drittel der Projekte stockt laut Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) wegen fehlender Ausgleichs- und Ersatzflächen oder Verkehrslösungen oder wegen politischer Hindernisse. nic
»Es gibt Licht und Schatten in beiden Städten«, erklärt Wild bei der Vorstellung der Kurzstudie des Mietervereins zur Situation in Berlin und Hamburg. Was beide eint: »Die zentrale Erkenntnis ist, dass die rechnerische Versorgungssituation auch trotz vielfältiger Neubauaktivitäten in Berlin und Hamburg weiterhin schlecht ist, in Hamburg trotz stärkerer Neubauaktivitäten sogar noch schlechter als in Berlin«, so Wild (siehe Kasten). Allerdings, so räumt er ein, habe Berlin 2011 eine leicht bessere Ausgangsposition gehabt mit rechnerisch etwas mehr Wohnungen als Haushalten.
»Das wesentliche Defizit am Wohnungsmarkt ist im mittleren und unteren Bereich«, weist der Mieterlobbyist auf das drängendste soziale Problem in der Hauptstadt hin. Angesichts dessen könne man nicht einfach jeglichen Neubau »mit der Gießkanne« unterstützen. »Gemeinwohl und sozialer Wohnungsbau müssen in den Fokus geraten«, fordert er.
Bei den Fertigstellungszahlen im Wohnungsbau habe Hamburg »klar die Nase vorn«, sagt Reiner Wild. Allerdings sei an der Elbe der Anteil der Ein- und Zweifamilienhäuser deutlich größer als an der Spree. Das erkläre zumindest einen Teil des Vorsprungs. Denn bei den Baugenehmigungen pro Tausend Einwohner liege Berlin vorn.
Hamburg führe auch beim Anteil preisgünstiger Wohnungen am Neubau. Er liege tatsächlich bei 30 Prozent. »In Berlin ist das überhaupt nicht gut gelaufen«, so Wild. Allerdings zeigen sich dabei auch deutlich unterschiedliche Philosophien. Private und Genossenschaften haben an der Elbe einen deutlich höheren Anteil an den Sozialwohnungen. In Berlin seien landeseigene Wohnungsbaugesellschaften für 80 bis 85 Prozent der neuen geförderten Wohnungen verantwortlich, an der Elbe für 20 bis 45 Prozent.
Die große Spanne erklärt sich aus sehr unterschiedlichen Angaben des städtischen Wohnungsunternehmens Saga und des Fördermittelgebers, der Hamburgischen Investitions- und Förderbank. »Hamburg hat nach Ablauf der Bindung ein Problem«, sagt Reiner Wild. Denn die Wohnungen in Privatbestand würden »mittelfristig nicht mehr für die soziale Wohnraumversorgung zur Verfügung« stehen. Das relativiere den Hamburger Vorteil der höheren Bewilligungsquoten mittelfristig. Beide Städte eint wiederum, dass es immer weniger Sozialwohnungen gibt. An der Spree sank deren Anzahl von 2010 bis 2020 um 37 Prozent, an der Elbe von 2007 bis 2020 um 35 Prozent.
Der Berliner Mieterverein macht auf ein weiteres Problem aufmerksam. »Die Anforderungen zur Bewältigung der Klimakrise werden das komplette Baugeschehen überlagern«, sagt Wild. Dazu kämen noch Punkte wie Materialknappheit und Fachkräftemangel. Er fordert daher die Beteiligung von Umweltorganisationen und der Architektenkammer am Bündnis. Mit dem ausgerufenen Bauziel von 20 000 Wohnungen pro Jahr habe die Politik sich »sehr weit vorgewagt«. Ob das die richtige Zahl sei, davon habe Wild »von der Wohnungswirtschaft nichts gehört«.
»Der Erhalt günstigen Wohnraums wird eine wesentliche Aufgabe sein, nicht nur im Mietpreisrecht«, sagt Reiner Wild. Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) hält es für realistisch, sich mit der Wohnungswirtschaft in Berlin auf einen freiwilligen Mietenstopp für mehrere Jahre zu einigen. Im Gegenzug soll es für die Immobilienbranche Erleichterungen beim Neubau geben. »Die Bauherren haben natürlich ein Interesse, schnelle Baugenehmigungen und Planungsrecht zu bekommen«, sagt Geisel. Vonovia scheint mäßig interessiert zu sein, der Alternative Mieter- und Verbraucherschutzbund berichtet von einer saftigen Mieterhöhung um zehn Prozent in Staaken.
CDU-Fraktionschef Kai Wegner lobt im Abgeordnetenhaus das neue Bündnis. Für die FDP ist der Vorstoß von Geisel nichts. »Die Äußerungen des Senators laufen auf nichts weniger hinaus als auf eine Erpressung ausgerechnet derjenigen, die den dringend benötigten Wohn- und Gewerberaum in Berlin schaffen. Solch eine Politik erweckt kein Vertrauen und gewinnt keine Investitionen für die Hauptstadt«, erklärt Björn Jotzo, Mieten-Experte der FDP-Fraktion.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.