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Auf der Suche nach einer Vision für die Pflege

Präsidentin des Deutschen Pflegerats fordert grundsätzliche Verbesserungen im gesamten Berufsfeld

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats (DPR), Christine Vogler, scheute bei der Eröffnungsveranstaltung des am Donnerstag in Berlin gestarteten Pflegekongresses 2022 keine deutlichen Worte. »Wenn wir am aktuellen System nichts ändern, haben wir in Deutschland keine Zukunft für die Pflege«, warnte sie eindringlich. Ihr Statement stützt sich auf aktuelle Schätzungen, denen zufolge es hierzulande in zehn Jahren fünf Millionen Pflegebedürftige geben wird. Das Problem dabei: Ohne strukturelle Änderungen werden es im selben Zeitraum eine halbe Million Pflegekräfte zu wenig sein.

Die wichtigste Maßnahme, um diesen Trend zu stoppen, sieht Vogler in der Kompetenzerweiterung der Pflegeberufe. Hierbei lautet das Schlüsselwort Heilkundeübertragung, womit die um heilkundliche Kompetenzen erweiterte Berufsausbildung gemeint ist. Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hatte bereits im Sommer 2021 neun von einer Fachkommission entwickelte Ausbildungsmodule zur Übertragung von Heilkunde auf Pflegefachpersonen veröffentlicht. Die Ausbildungsmodule umfassen ein verpflichtendes Grundlagenmodul sowie acht Wahlmodule. Mit dem Grundlagenmodul sollen die Teilnehmenden laut BIBB »ein professionelles Berufs- und Rollenverständnis mit erweiterter heilkundlicher Verantwortung entwickeln«. Die Wahlmodule widmen sich den Bereichen Wundheilung, Diabetes, Bluthochdruck, Schmerzen, Demenz, Ernährung, künstliche Beatmung über die Luftröhre sowie chronische Atemwegserkrankungen.

Zusammen mit der Kompetenzerweiterung soll die so genannte Generalisierung die Pflege nach vorn bringen. Die Rahmenpläne für eine bundesweit einheitliche Ausbildungsordnung sind noch unter EX-Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) entstanden. Doch auch wenn der damalige Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus (CDU), die Vorlage des Rahmenlehrplans als Meilenstein bezeichnete, hapert es bis heute an der Umsetzung.

Daher wird DPR-Präsidentin Vogler auch nicht müde, diese vehement zu fordern. »Ich hoffe, dass da von der Ampel-Regierung sehr viel mehr kommt, als bis jetzt signalisiert wird«, richtete sie ihren Appell an die neuen politischen Verantwortlichen. Die lernortübergreifende Gestaltung der Generalistik ist demnach auch das Schwerpunktthema des diesjährigen Kongresses, neben digitaler Pflegeassistenz und Kennzahlensystemen sowie Controllinginstrumenten im Pflegemanagement.

Von entscheidender Bedeutung aber sei als eine der ersten Maßnahmen die Anhebung der Gehälter in der Branche. »Die momentan gezahlten Löhne sind indiskutabel«, so Vogler dazu. Sie verwies einerseits auf den hohen Verantwortungs- und Belastungsgrad in dem Beruf sowie andererseits auf den Gender Pay Gap – das Lohn-Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern – bei der mehrheitlich von Frauen ausgeübten Pflegetätigkeit. »Ein angemessenes Einstiegsgehalt bei einer 40-Stunden-Woche wären 4000 Euro brutto«, machte die DPR-Präsidentin deutlich.

Zugleich kritisierte Vogler, dass die berufsbegleitende Betreuung von Pflegepersonal bis heute überhaupt nicht vorgesehen sei. »Wer glaubt, dass man seine Jahre in diesem Beruf einfach abarbeiten kann, hat überhaupt nicht verstanden, worum es geht«, wurde die 52-Jährige grundsätzlich. Es brauche dringend sehr viel mehr zuträgliche Unterstützung für die Pflegekräfte wie beispielsweise Psychologen. All das natürlich neben konkreten Maßnahmen, die den Fachkräftemangel im Pflegebereich aufhöben. »Wir sprechen über Zustände, wo Mitarbeitende sagen, dass sie es in ihrer Nachtschicht nicht mal in alle Zimmer schaffen«, veranschaulichte Vogler die Situation.

Die Hauptleidtragenden der ganzen Misere seien letztlich die Pflegebedürftigen, deren Perspektive man einnehmen müsse. Mit Bezug auf die neue Regierung und ein aktuell anstehendes Treffen mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor Augen, kritisierte die DPR-Präsidentin, dass momentan noch immer nur im Rahmen der alten Strukturen gedacht werde. Die Frage sei aber: »Hat die Politik eine Vision?«

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