Skilehrer für den schnellen Effekt

In Scuol kann man den »Skeacher« für zwei Abfahrten direkt auf dem Berg mieten

  • Christian Schreiber
  • Lesedauer: 5 Min.

Bei den Schoko-Päckchen langt jeder zu, aber sonst zieren sich die Skifahrer noch an diesem traumhaften Vormittag, wo die Sonne bereits sämtliche Pistenkilometer im schweizerischen Scuol ausleuchtet. Plötzlich beißt doch jemand an. Eine Mutter und ihr Sohn schlagen ein und starten mit Skilehrer Markus Gurtner zum Kurz-Kurs in Motta Naluns. Zwei Abfahren, 30 Minuten, 50 Franken. Gurtner ist heute als »Skeacher« im Einsatz. Hinter dem Begriff verbirgt sich mehr als ein Skilehrer. Oder weniger. Es kommt ganz auf den Blickwinkel an.

Am Morgen haben Gurtner und zwei Kollegen einen kleinen Stand auf dem Mot da Ri (2583 Meter) aufgebaut, Banner und Schilder platziert, die neugierig machen sollen: Spontan. Skischule. Buchen? Der Skilehrer 2.0 holt seine Gäste direkt auf der Piste ab und zeigt ihnen in kürzester Zeit, was zu verbessern wäre. »Jeder kann noch was lernen. Auch wenn er gut fährt«, hat Gurtner zu Mutter und Sohn gesagt, bevor sie sich an seine Skienden geheftet haben. Das Trio saust über eine schwarze Piste hinab. Gurtner ist bemüht, kleine Fahrfehler zu korrigieren. »Ski breiter, beim Carven mehr Kanteneinsatz, die Hände weiter auseinander.« Am Ende ist die Frau glücklich und ernüchtert zugleich: »Das war ein toller Auffrischungskurs. Aber man landet auch auf dem Boden der Tatsachen. Viele Dinge müsste ich abstellen oder umstellen.«

Gurtner kehrt auf den Mot da Ri zurück, der strategisch eine clevere Wahl ist. Man kann große Teile des Scuoler Skigebiets mit seinen 80 Pistenkilometern überblicken. Von hier aus starten Abfahrten in allen Schwierigkeitsgraden, denn der »Skeacher« muss sofort das Terrain parat haben, das zu seinem Kunden passt. Der Vierersessel spuckt Skifahrer in Endlosschleife aus, die nicht anders können, als auf Gurtner und seine beiden Kollegen zuzufahren. Gurtner winkt manchmal mit den Schoko-Päckchen, die Leute kommen näher. Er ist nicht aufdringlich, schon gar nicht aggressiv. Mal haut er einen kleinen Scherz raus, dann fragt er, wie die Bretter so laufen, wie der Schnee ist. Ski-Small-Talk auf der Piste. »Das kann nicht jeder bei uns. Wir mussten uns auch erst reinfühlen.« Man dürfe diese Arbeit auch nicht als minderwertig empfinden. »Skeacher ist kein Halbtagsjob. Auch heute sind wir vollwertige Skilehrer.«

Rund 100 Skilehrer gehören zur Schweizerischen Skischule Scuol, als »Skeacher« wagen sich acht abwechselnd auf die Piste. Einmal im Monat sind drei oder vier von ihnen im Einsatz. Die Scuoler zählen zu den Pionieren, waren im Winter 2017/18 mit dabei, als es die ersten zaghaften Versuche in Graubünden gab. Mittlerweile beteiligen sich mehr als ein Dutzend Skischulen von Arosa bis Zuoz. Die Idee ist, in der Zwischensaison für eine bessere Auslastung zu sorgen. Motto: Bevor der Skilehrer zu Hause sitzt, steht er besser an der Piste und spricht potenzielle Kunden direkt an, die unten im Tal wahrscheinlich keinen Kurs gebucht hätten. »Skeacher« steigern den Umsatz gewiss nicht in neue Höhen, erklärt Cla Neuhaus, Chef der Schweizerischen Skischule Scuol. »Aber ich sehe es auch als Werbung für uns. Wir sind am Berg noch präsenter, bleiben im Gespräch.« Der Skilehrer neuen Typs ist Werber und Verkäufer. Im Übrigen keine neue Rolle, sondern nur eine neu interpretierte, wie Markus Gurtner anmerkt: »Die Skilehrer vom alten Schlag sind früher in die Hotels und haben an der Bar nach Kunden geangelt.«

Die nächsten Gäste von Gurtner sind ein Vater-Sohn-Duo. Lange Schwünge auf der roten Piste, dann zückt der »Skeacher« das Handy, drückt auf Play. Anschließend folgt eine fixe Videoanalyse in der Liftschlange. Gurtners Vormittagsbilanz: vier zahlende Kunden in zwei Stunden, 27 Päckchen Schoko verteilt. Pause, Zeit zum Durchschnaufen.

Mehr als die Hälfte seines Lebens hat der 39-Jährige im Unterengadin verbracht. Wenn man ihn fragt, wo er herkommt, tippt er sich mit dem Finger auf die rechte Brust. Das Namensschild lautet KÜSU. Spitznamen dieser Art gibt’s nur in Bern und Umgebung. Beim Mittagessen zieht KÜSU erstmals den Helm ab. Links kommt ein auffälliger Ohrstecker mit Stern zum Vorschein, der ihn fast schon jugendlich wirken lässt und gut zu seinem spitzbübischen Lächeln passt. Er besitzt die Gabe, Menschen schnell für sich zu gewinnen, wirkt vertrauensvoll und überzeugend. Das hilft, bei der Kurzarbeit auf der Piste erfolgreich zu sein. Allerdings nicht immer, wie der Nachmittag zeigt, wo Gurtner leer ausgeht. »Nach dem Essen sinkt die Motivation bei den Leuten.« Viele seien schon müde, könnten sich nur mehr schwer konzentrieren und würden lieber abschwingen Richtung Feierabend-Bier, als mit dem »Skeacher« an Fehlern zu arbeiten. Letztlich spielt auch unser modernes Ski-Zeitalter eine Rolle: Die Bahnen schaufeln mehr Leute weg, fahren schneller. Für den Skifahrer bedeutet das mehr Abfahren und weniger Pausen. Er ist früher müde. Erst recht in Scuol, wo auch in der Hauptsaison kaum Schlangen an den Liften entstehen. Tagestouristen meiden das Unterengadin aufgrund der längeren Anreise.

Und so ist man oftmals schon am frühen Nachmittag auf halbleeren Pisten unterwegs, die dank der südlichen Ausrichtung des Skigebiets in der Tat von früh bis spät Sonne haben. Der ein oder andere mag sich vielleicht an den beiden verbliebenen Bügelliften stören, die parallel hinauf zum Champatsch (2783 Meter) führen, dem höchsten Punkt, den man per Lift erreichen kann. Der Zirkus in Scuol spielt sich im Wesentlichen in Höhen jenseits der 2000-Meter-Marke ab, somit kann der Tourist noch auf winterlich-weißes Skifahren bauen.

Ein finale furioso ist die Traumpiste hinab nach Sent: Der Skifahrer cruist erst durch flowiges Gelände. Dann wird es steiler, aber nicht zu heftig, so dass Carving-Schwünge noch gut drin sind. Die Skier brausen mit Tempo über natürliche kleine Hügel, die ein kleines Kitzeln im Bauch auslösen. Es tauchen keine Skihütten auf, wo Bässe aus den Ritzen wummern. Als Pausenstation dient lediglich die verträumte »Sömi Bar« mit Blick auf die gegenüberliegenden Gipfel. Eine Aussicht, die dem Skifahrer auf der Traumpiste bis zum Schluss treu bleibt. Der einzige Wermutstropfen ist, dass man am Ende zehn Minuten mit geschulterten Skiern durch das Örtchen Sent stapfen und dann mit dem Bus zurück nach Scuol muss.

Mittlerweile sind die »Skeacher« dabei, ihre sieben Sachen zu packen. Banner und Schilder sind verstaut, die Kartons leer. »Schoko an den Mann zu bringen ist keine Kunst.« Skikurse auf der Piste zu verkaufen, hingegen schon.

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