- Berlin
- Briefkastenfirma Fairview Properties
Fahrstuhl ins Elend
Fairview Properties kündigt, statt den Aufzug zu reparieren - Schöneberger Ladenmieter sind ruiniert
»Sie haben uns ruiniert«, sagt Olga, mit den Tränen kämpfend. Sie, das sind ihre Hausverwaltung und die Hauseigentümerin, die in Luxemburg sitzende Briefkastenfirma Fairview Properties Sàrl. Sie teilt sich den Briefkasten mit 74 weiteren Unternehmen von Admiral Holdings bis Winch Properties - alle in der Rechtsform Sàrl, die einer deutschen GmbH entspricht. Über ein Beteiligungsgeflecht über Zypern und die britischen Jungferninseln führen die Spuren zur Pears Group der gleichnamigen Milliardärsfamilie.
»Wahrscheinlich«, das muss man schreiben wegen des fehlenden endgültigen Beweises, gehört auch die Fairview Properties Sarl zur Pears Group, das haben gemeinsame Recherchen von Correctiv und dem »Tagesspiegel« ergeben. Der Name der Unternehmensgruppe, der wohl Hunderte Häuser mit Tausenden Wohnungen in Berlin gehören, ist spätestens seit der Räumung der Neuköllner Kiezkneipe »Syndikat« im Jahr 2020 stadtweit bekannt.
Auch Olga und ihre zwei Kinder, Tochter Natalia und ein Sohn, ihre vollständigen Namen wollen sie nicht in der Zeitung lesen, sind Gewerbemieter. Die beiden Frauen - der Sohn musste sich wegen der Situation eine andere Arbeit suchen - betreiben das Feinkost- und Spezialitätengeschäft Grunewalder in der Schöneberger Grunewaldstraße 50, unweit des Bayerischen Platzes. Spezialitäten aus verschiedenen osteuropäischen Ländern und Produkte Berliner Start-ups gehören zum Sortiment. »Wir sollen am 8. Februar geräumt werden«, sagt Olga verzweifelt.
Der Lift ging kaputt, das Unglück begann
Tochter Natalia führt durch ihren Laden, zeigt maßgefertigte Regale, Tiefkühltruhen, Kühlregale, viele davon leer. Mutter Olga zeigt die Bedienungstheke. Ein paar bunte Plakate kaschieren kaum die gähnende Leere. »Hier wollten wir frischen und geräucherten Fisch verkaufen«, sagt Natalia. Außerdem hätte es einen Imbiss geben sollen, die Arbeiten zur Einrichtung der Küche eine Wendeltreppe tiefer wurden abgebrochen. Im Untergeschoss haben die Betreiberinnen zwei große Kühlzellen einbauen lassen. Sie funktionieren tadellos, sind aber außer Betrieb. Grund ist der Lastenaufzug, der von der Straße hinunter in den Raum mit den Kühlzellen führt. Er ging kaputt, im Oktober 2016. Bis heute funktioniert er nicht.
»Viele Lieferanten sind abgesprungen. So kleine Mengen, wie wir oben in den Kühlregalen unterbringen können, liefern sie nicht. Und die Gewerbeaufsicht verbietet es, die Ware durch vier Räume mit fünf Türen aus dem Keller in den Laden zu schaffen«, berichtet Olga. »Zumal es uns so gar nicht möglich ist, solche Mengen zu transportieren.«
Den inklusive Kellerräumen fast 350 Quadratmeter großen Laden haben sie im Mai 2015 angemietet, im »nd« vorliegenden Mietvertrag ist der Lastenaufzug explizit erwähnt. Da gehörte das Haus noch der BSA Berlin Verwaltungs GmbH & Co. Immobilien 8 KG. Zuvor stand der Laden mehrere Jahre leer, letzter Mieter war die pleitegegangene Drogeriekette Schlecker.
Am 11. Oktober 2016 reklamierten die Mieter erstmals den defekten Aufzug. Über 30-mal kontaktierten sie bis 2020 die Hausverwaltung, die zwischenzeitlich auch noch gewechselt hatte. Im Dezember 2016 kündigten sie die erste Mietminderung an. Im Januar 2017 erhielten sie die fristlose Kündigung. Die Miete wurde aber weiter angenommen. »Die neue Eigentümerin Fairview Properties hat es nicht für nötig gehalten, sich mit diesem Problem auseinanderzusetzen, und hat den viel einfacheren Weg gewählt - nämlich den unliebsamen Mieter loszuwerden. Die Vermieterin entkommt ihrer Pflicht, den Aufzug zu reparieren, und muss nicht für den erheblichen Schaden aufkommen, der uns entstanden ist«, sagt Natalia. »Dass aus dem Aufzug Hydrauliköl ausgetreten ist, welches in das Grundwasser gelangen könnte, interessiert niemanden«, fügt sie noch an.
Die letzte TÜV-Abnahme war 2003
Zuvor hatten sie schon selbst zu dem Aufzug recherchiert. Über 15.000 Euro sollte laut Kostenvoranschlag die reine Reparatur kosten. Doch laut »nd« vorliegender Mail von TÜV Rheinland Industrie Service GmbH Berlin vom Februar 2017 gilt der Fahrstuhl dort bereits seit 2005 als »vorläufig außer Betrieb«, da die letzte im Zwei-Jahres-Turnus vorgeschriebene Prüfung 2003 erfolgt sei. Wie die TÜV-Prüfplakette von 2012 an die Anlage gekommen ist, kann man sich nicht erklären. So oder so wäre auch diese zum Mietvertragsschluss abgelaufen gewesen. Um aktuellen Sicherheitsstandards zu genügen und wieder zugelassen zu werden, müssten wohl rund 50.000 Euro in den Aufzug investiert werden, was laut dem Gewerbemietvertrag Vermietersache gewesen wäre
»Uns wurde also ein Objekt mit einem außer Betrieb gesetzten Aufzug vermietet, und man ließ uns massiv investieren«, fasst Natalia zusammen. 130.000 Euro haben sie nach eigenen Angaben in die Ladeneinrichtung gesteckt, dafür haben sie ein Darlehen aufgenommen. Ein erheblicher Teil steckt in Bau- und Montageleistungen, die wertlos werden, wenn sie nicht mehr am Einbauort genutzt werden können.
Die Ursprungshausverwaltung, mit der der Mietvertrag geschlossen worden ist, reagiert nicht auf nd-Anfrage. Die zweite Hausverwaltung teilt mit, dass sich das betreffende Objekt seit Ende 2020 nicht mehr in deren Verwaltung befinde und man sich direkt mit der Eigentümergesellschaft in Verbindung setzen möge. Was schwer ist bei einer Briefkastenfirma ohne jegliche direkte Kontaktmöglichkeit. Die nun aktuelle Hausverwaltung reagiert bis dato nicht auf nd-Anfrage.
Räumung statt Schadenersatz
2019 reichte die Familie eine Räumungsschutzklage ein, es geht auch um Schadenersatz. Wegen des hohen Streitwerts landet der Fall gleich vor dem Landgericht Berlin. Die Prozessführung der Richterin in dem zweieinhalb Jahre dauernden Verfahren war mehr als seltsam. Zunächst vermittelte sie den Eindruck, dass sie davon ausgeht, dass eine Vertragsverlängerungsoption um fünf Jahre zumindest konkludent zustande gekommen sei. Deswegen wurde die Klage auf Schadenersatz erweitert. »Es ging sehr lange und ausführlich um die Schadenersatzforderungen«, berichtet Natalia. Ein »nd« vorliegendes Verhandlungsprotokoll der vorletzten Sitzung vom Februar 2021 bestätigt, dass sowohl eine Mietminderung und auch Schadenersatz - gefordert wurden von den Mietern 4400 Euro pro Monat - »dem Grunde nach« berechtigt seien. Zu einer vom Gericht angestrebten gütlichen Einigung mit dem Vermieter kam es allerdings nicht.
»In der letzten mündlichen Verhandlung im April 2021 wurde ich unerwartet zur Vertragsverlängerung befragt«, berichtet Natalia. Eigentlich sei die Höhe des Schadenersatzes als Thema angekündigt gewesen. »Die anderen zwei Kläger wurden nicht geladen, und wir wurden auch nicht über den Themenwechsel informiert, so dass ich als einzige Klägerin anwesend war. Ich wurde angehört, ohne mir genau zu erläutern, worauf es ihr ankam«, erinnert sie sich. »Die Richterin verwehrte meinem von dieser Wendung überraschten Anwalt am Ende der Verhandlung, mich weiter zu befragen«, sagt Natalia. »Lassen sie das mal«, mit diesen Worten habe die Richterin den Wunsch des Anwalts abgebügelt, zeigt sie in ihrem Gedächtnisprotokoll der Verhandlung. »Ich verstehe nicht, warum der erfahrene Anwalt keine Erklärungsfrist beantragt hat«, so Natalia.
Die Vermieter bestritten, das entsprechende Fax zur Kenntnis genommen zu haben. »Weil danach nicht gefragt wurde und die Tragweite nicht benannt wurde, habe ich nicht noch einmal berichtet, dass das Schreiben auch persönlich mit einem Zeugen der Hausverwaltung überbracht worden war«, sagt Natalia. Im Urteil kommt das Gericht zu dem Schluss, dass die Vertragsverlängerung nicht zustande gekommen ist. Eine Beschwerde vor dem Kammergericht wird abgewiesen - es konnten keine Rechtsfehler erkannt werden. Eine erneute Beweisaufnahme gibt es nicht. »Und damit muss die Vermieterin weder den Aufzug reparieren noch für die Schadenersatzansprüche aufkommen«, so Natalia.
Hoffen auf den Bundesgerichtshof
»Wir ziehen jetzt vor den Bundesgerichtshof. Aber die Räumung können wir nicht verhindern, weil wir dafür 40.000 Euro Sicherheitsleistung hätten hinterlegen müssen«, berichtet Natalia.
Der nächste Nackenschlag des Eigentümers folgt auf dem Fuß. Als Nutzungsentschädigung verlangt er laut der Familie das Dreieinhalbfache des ursprünglich Vereinbarten, rückwirkend seit dem Zeitpunkt der fristlosen Kündigung. Das sei eine »marktübliche« Miete, so soll die Begründung lauten. Das wären noch einmal um die 300.000 Euro. »Der Laden war auch als Altersversorgung für meine Mutter gedacht«, sagt Natalia. Mutter Olga kann kaum noch gegen die Tränen kämpfen.
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