Brückenschlag ohne Verkehrswende

Beim Neubau der Berliner Marggraffbrücke wird die Tram nicht berücksichtigt, obwohl der Senat dort eine Strecke plant

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 4 Min.
In der 2019 veröffentlichten Themenkarte Straßenbahn zum Berliner Flächennutzungsplan ist die Strecke zum Bahnhof Schöneweide gestrichelt eingezeichnet. Doch beim Brückenneubau ist das nicht berücksichtigt worden.
In der 2019 veröffentlichten Themenkarte Straßenbahn zum Berliner Flächennutzungsplan ist die Strecke zum Bahnhof Schöneweide gestrichelt eingezeichnet. Doch beim Brückenneubau ist das nicht berücksichtigt worden.

»Zum wiederholten Mal hat es der Berliner Senat versäumt, die Weichen für seine viel beschworene Verkehrswende rechtzeitig zu stellen«, heißt es in einer Erklärung des Berliner Fahrgastverbands IGEB vom Montag. Anlass sind die Pläne des Wasserstraßen-Neubauamtes für den Ersatz der maroden Marggraffbrücke in Baumschulenweg. Denn die vom Senat dort vorgesehene Straßenbahnstrecke ist planerisch nicht berücksichtigt.

Wie so viele andere Brücken in der Hauptstadt ist das 1963 bis 1965 errichtete Bauwerk, das den Britzer Verbindungskanal überspannt, von Betonkrebs befallen und muss schleunigst ersetzt werden. Bis zur Einstellung der Strecke 1973 fuhren über die Brücke noch die Straßenbahnlinien 87 und 95 von Treptow bis nach Köpenick. Der Senat plant die Rückkehr der Tram in Baumschulenweg. Laut der 2019 veröffentlichten Themenkarte Straßenbahnnetz soll bis zum Jahr 2035 die geplante Strecke von der Sonnenallee durch die Baumschulenstraße und weiter die B96a entlang nach Schöneweide wieder aufgebaut werden. Doch der Brücken-Ersatzbau sieht dort bloß drei Autospuren Richtung Norden und sogar vier Richtung Süden vor, denn der Linksabbiegerstreifen zur Ende 2017 eröffneten Minna-Todenhagen-Brücke über die Spree soll über die Marggraffbrücke verlängert werden. Zwischen den zwei Richtungsbrücken soll nur ein 3,90 Meter breiter Spalt verbleiben, und die Neukonstruktionen sind nicht auf die Last von Straßenbahnzügen ausgerichtet.

Nicht mehr als hübsche bunte Linien

Damit stehe hinter der geplanten Strecke »ein großes Fragezeichen«, kritisiert der Fahrgastverband. Der ÖPNV-Bedarfsplan sollte mehr sein »als eine hübsch anzusehende Vision bunter Linien. Aber viel mehr ist das Dokument anscheinend nicht wert, wenn jetzt eine Brücke für mindestens die nächsten 50 Jahre gebaut wird, auf der es keinen Platz für eine Straßenbahn geben wird«, kritisieren die Fahrgastlobbyisten. Die damalige Verkehrssenatorin Senatorin Regine Günther (Grüne) habe es demnach nicht für nötig gehalten, »alle Bauvorhaben auf den Straßenbahntrassen des ÖPNV-Bedarfsplanes auf den Prüfstand zu stellen und auf weitsichtige Vorratsbauten hinzuwirken«, heißt es von der IGEB. Das sei früher geschehen, zum Beispiel auf der Massantebrücke zwischen Johannisthal und Rudow, auf der dereinst die Straßenbahn vom Bahnhof Schöneweide nach Gropiusstadt fahren soll, oder auch in der Wasserstadt Spandau.

Verwaltung wiegelt ab

Das Wasser- und Schifffahrtsamt des Bundes habe die Planungen für den Ersatzneubau der Marggraffbrücke 2015 begonnen, »deutlich vor dem Berliner Nahverkehrsplan von 2019 und daher bislang ohne Straßenbahnvorsorge«, sagt Jan Thomsen, Sprecher der Berliner Mobilitätsverwaltung, zu »nd«. Außerdem stehe die »genaue Führung« der Tram-Neubaustrecke vom Potsdamer Platz nach Schöneweide noch nicht fest. Er erklärt: »Die landesseitigen Grundlagenuntersuchungen für den Korridor beginnen in einigen Jahren und werden dann alle Randbedingungen berücksichtigen.«

Wenn nicht noch in letzter Minute Planungsänderungen für den Ersatzbau erfolgen, dann dürfte es praktisch unmöglich sein, ohne einen kostspieligen Abriss und weiteren Neubau nach wenigen Jahren eine Straßenbahnstrecke dort unterzubringen. Das dürfte auch dazu führen, dass eine Strecke über die Marggraffbrücke nicht förderfähig ist.
»Der Senat muss unverzüglich mit allen Mitteln versuchen zu erreichen, dass eine Gleistrasse auf der neuen Marggraffbrücke auch in der Zukunft möglich ist«, fordert der Fahrgastverband. Dort hält man es auch für fragwürdig, dass überhaupt ein verlängerter Linksabbiegestreifen vom Senat auf eigene Kosten bestellt worden ist, obwohl »doch der Autoverkehr möglichst weitgehend über die parallele Stadtautobahn A113 verkehren soll«. Für eine fragwürdige Maßnahme zugunsten des Autoverkehrs habe Berlin also Geld, für die Straßenbahn nicht, so der IGEB.

»Die Möglichkeit einer Straßenbahnführung über die Marggraffbrücke hat sich mit dem bevorstehenden Ersatzneubau des Bundes voraussichtlich erledigt«, erklärt Mobiltätssenatorin Bettina Jarasch (Grüne) auf nd-Anfrage. »Die Straßenbahn vom Potsdamer Platz bis Schöneweide muss und wird dennoch kommen«, bekräftigt sie jedoch. Aufgabe sei es in den kommenden Jahren, die beste Trasse zu finden. Bisher gebe es lediglich einen Streckenkorridor im Nahverkehrsplan.

Linke fordert Bericht zu Brückenplanung

»Die Senatsverwaltung sollte umgehend prüfen und Bericht erstatten, ob bei absehbaren Brücken-Neubauten die Straßenbahn auch Berücksichtigung findet«, fordert Linke-Verkehrsexperte Kristian Ronneburg gegenüber »nd«. Die Verwaltung müsse »Trassenentscheidungen beschleunigen sowie die Verankerung der Trassen im Stadtentwicklungsplan und im Flächennutzungsplan voranbringen«.

An anderer Stelle ist inzwischen bereits ein Schwenk bei der Brücken-Neubauplanung vollzogen worden. Der Neubau der Elsenbrücke zwischen Friedrichshain und Treptow wird so geplant, dass er auch eine Straßenbahnstrecke tragen kann, obwohl dort nicht einmal Gedankenspiele für eine Tramtrasse bekannt sind.

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