- Wirtschaft und Umwelt
- Grundeinkommen in Spanien
Ein Weg aus der Armutsfalle
Der spanische Ökonom Daniel Raventós hält ein Grundeinkommen für besser als herkömmliche Beihilfen
Wie ist die soziale Lage im spanischen Staat?
Mit der Krise ab 2008 haben sich die Lebensbedingungen der Mehrheit weiter verschlechtert, aber nicht die der Reichen. Die Lage verschlimmerte sich mit der Covid-Pandemie. Dass sie sich hier besonders negativ entwickelt, hat auch damit zu tun, dass die Arbeitslosigkeit im Königreich Spanien stets besonders hoch ist. Sie beträgt derzeit laut EU-Statistikbehörde 14,1 Prozent. Die Folge ist, dass Krisen Spanien härter treffen als Länder mit geringerer Arbeitslosigkeit. Regierung und Arbeitgeberverbände sind zwar erfreut über viele Arbeitsplätze, die 2021 geschaffen wurden. Das sind aber vor allem ungesicherte prekäre Jobs, schlecht bezahlt, befristet oder in Teilzeit und nicht vergleichbar mit den Stellen vor 2008.
Ist also das Armutsvirus pandemisch, wenn 12 Millionen Menschen an oder unter der Armutsgrenze leben und fast die Hälfte der Bevölkerung kaum noch über die Runden kommt?
Ja, das ist die Lage.
Die Sozialdemokraten haben ein »Lebensnotwendiges Mindesteinkommen« (IMV) geschaffen, das einen »qualitativen Sprung im Sozialstaat« bedeuten soll. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Guy Standing meinte aber, es sei »eine der dümmsten Maßnahmen, die man sich vorstellen kann«. Wie kommt er dazu?
Neu an der Beihilfe ist nur, dass sie für den gesamten Staat eingeführt wurde. Alle Regionen hatten schon irgendeine Beihilfe für Arme. Das erste IMV, das noch immer das beste und umfangreichste ist, wurde im Baskenland eingeführt. Die Unterschiede in den Programmen sind jedoch enorm. Madrid und Murcia haben die schlechtesten. Schon deshalb ist es kein qualitativer Sprung. Als Ziel wurde im Juli 2020 auch nur formuliert, die extreme Armut zu beseitigen, nicht die Armut. Nur 800 000 Familien sollten bessergestellt werden. 80 Prozent der Armen wurden von vornherein von den Maßnahmen ausgeklammert. Auch bezog sich Guy Standing in seiner Kritik darauf, dass große bürokratische Hürden aufgebaut und eine groteske Situation geschaffen wurden.
Worin liegt der Unterschied zwischen dem Grundeinkommen und dieser Beihilfe?
Beihilfen sind immer an Bedingungen geknüpft, während das Grundeinkommen bedingungslos gewährt wird. Und Beihilfen sind meist nicht kompatibel miteinander. Viele fragen mich, ob auch Milliardäre das Grundeinkommen bekommen sollen. Meine Antwort: Alle sollen es haben, doch nicht alle sollen davon profitieren. Untersuchungen zeigen, dass im spanischen Fall die breite Masse profitieren würde, die reichsten 20 Prozent müssten aber mehr an Steuern zurückzahlen, als sie erhalten. Das Grundeinkommen ist deshalb im Kampf gegen die Armut viel besser, weil es nicht allein auf Arme zielt.
Wird damit eine soziale Hängematte geschaffen, die bewirkt, dass die Menschen gar nicht mehr arbeiten wollen?
Zunächst möchte ich anmerken, dass die teure Bürokratie ein großes Problem bei den Beihilfen ist. Man braucht ein Heer für Verwaltung und Kontrolle. Diese Kosten fallen beim Grundeinkommen komplett weg. Ein weiteres großes Problem von Beihilfen ist die Armutsfalle. Es ist nicht erlaubt, zusätzliches Einkommen zu haben. Für einen miesen befristeten Job, bei dem man meist nicht mehr in der Tasche hat, wird eine Beihilfe nicht aufgegeben, um sie später kompliziert neu zu beantragen.
Dieses Problem gäbe es mit einem Grundeinkommen nicht?
Da das Grundeinkommen mit anderen Einkommen kompatibel ist, bietet es die Möglichkeit, sich aus der Armutsfalle zu befreien. Man zahlt, kommt ein Einkommen hinzu, dann Steuern oder höhere Steuern, hat aber insgesamt mehr in der Tasche. Das ist ein Anreiz. Praktisch alle Pilotprojekte in Kenia, Finnland, Kanada oder Indien haben gezeigt, dass die Teilnahme am Arbeitsmarkt bei der Einführung eines Grundeinkommens signifikant steigt.
In Katalonien wird nun auch ein Pilotprojekt gestartet, dass Ihr Bruder leiten wird. Wie wird das aussehen?
Bis zum Jahresende soll das Design ausgearbeitet sein, unter anderem mit Beratern wie Guy Standing, der auf Pilotprojekte aus zwei Jahrzehnten zurückblicken kann. Denn es soll das bestmögliche Projekt werden, auch wenn wir sicher Fehler machen. Es sollen zwei oder drei repräsentative Gemeinden mit insgesamt 5000 Bewohnern ausgesucht werden, dazu kommen vergleichbare Gemeinden als Kontrollgruppe. In den ausgewählten Gemeinden sollen 2023 und 2024 alle ein Grundeinkommen erhalten. Wir wollen komplette Gemeinden, um auch festzustellen, wie sich das Projekt sozial und ökonomisch im Umfeld auswirkt: Was machen die Leute? Was passiert im Vergleich zu den Kontrollgemeinden? Die Gemeinden sollen auch untereinander verglichen werden.
Und wie hoch soll das Grundeinkommen sein?
Das ist noch unklar. Es soll aber an der Armutsschwelle liegen. Doch es ist ein Unterschied, ob jemand als Single lebt oder fünf Personen in einem Haushalt. Die Kosten steigen dafür allerdings nicht um den Faktor fünf, was Miete, Stromverbrauch, Nahrungsmittel und weitere alltägliche Ausgaben angeht.
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