Berlin wartet auf den Scheitelpunkt

Senat macht Weg frei für nahezu komplette Aufgabe der Kontaktnachverfolgung

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 3 Min.

Erst die Schulen und Kitas, nun die Gastronomie, die Hotellerie, das Veranstaltungswesen und der Sport: Berlins Gesundheitsämter stellen die Kontaktnachverfolgung bei positiv auf das Coronavirus getesteten Personen in immer mehr Bereichen ein. Im Grunde werde es eine Nachverfolgung jetzt nur noch bei vulnerablen Gruppen geben, etwa in Pflege- und Altenheimen: »Ansonsten nicht mehr«, sagte Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) am Dienstag im Anschluss an die wöchentliche Senatssitzung.

Parallel dazu entfällt für Restaurants, bei Veranstaltungen oder in Hotels die bisher nötige Anwesenheitsdokumentation. Da die Gesundheitsämter in diesen Bereichen nun hinschmeißen, »brauche ich auch die Daten nicht mehr«, so Gote zur Erläuterung der ab Samstag geltenden »Vierten Verordnung zur Änderung der Vierten Infektionsschutzmaßnahmenverordnung«.

Die Zahlen, denen keiner mehr traut
  • Laut Robert-Koch-Institut lag die Sieben-Tage-Inzidenz in Berlin am Dienstag bei 1761,2. Am Vortag wurde der Wert mit 1820,6 angegeben.
  • Insgesamt wurden dabei 12 200 Neuinfektionen gemeldet, wobei alle Bezirke wieder Daten lieferten. Am Montag hatten nur zwei der zwölf Bezirke Zahlen übermittelt.
  • Mit Abstand am höchsten ist die Inzidenz nach wie vor in den schulrelevanten Altersgruppen. Am Dienstag lag sie bei den 5- bis 9-Jährigen bei 4035, in der Gruppe der 10- bis 14-Jährigen sogar bei 4351.
  • Zugleich geht es bei der Impfkampagne nur noch »relativ langsam voran«, so Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) am Dienstag. Den aktuellen Zahlen zufolge haben 76,9 Prozent der Berliner mindestens eine Erstimpfung. Auch wenn zugleich 53,9 Prozent bereits »geboostert« sind: Die vom Senat für den 1. Februar ausgegebene Zielmarke einer 80-Prozent-Impfquote wurde verfehlt. rru

Und da man am Dienstag während der Sitzung des rot-grün-roten Senats schon dabei war, den Corona-Laden zu entrümpeln, hat man sich zusätzlich entschlossen, den im März auslaufenden Vertrag mit den Betreibern der Luca-App nicht zu verlängern. Die nicht unumstrittene App sollte unter anderem Restaurantbesitzern und Veranstaltern helfen, die Erfassung der Kontakte der Besucher ohne Zettelwirtschaft zu erledigen. Das könne sich Berlin jetzt sparen, schließlich gebe es ja keine Kontaktnachverfolgung mehr, lautet auch hier die Begründung.

Gesundheitssenatorin Gote, aber auch Vizesenatschefin Bettina Jarasch (Grüne) warnten zugleich davor, aus den aktuellen Daten des Berliner Corona-Lageberichts voreilige Schlüsse zu ziehen. Den Zahlen des Robert-Koch-Instituts zufolge sank die Sieben-Tage-Inzidenz am Dienstag auf rund 1760, am Vortag lag der Wert noch bei etwas mehr als 1820. »Es ist so, dass wir wissen, dass viele Daten in den Bezirken noch nicht eingepflegt sind, weshalb auch dieser Wert etwas mit Vorsicht zu behandeln ist«, sagte Gote. Man habe zwar die Hoffnung, dass in Berlin der Höhepunkt der Omikron-Welle früher erreicht werde als in anderen Bundesländern. Aber: »Ich möchte nicht so weit gehen, dass wir hier einen Trend haben.«

An Gotes Seite dämpfte Umweltsenatorin Jarasch dann auch Erwartungen, es könnte alsbald Lockerungen geben. »Angesichts der Tatsache, dass wir den Scheitelpunkt noch nicht erreicht haben, glauben wir nicht, das jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um eine Öffnungsdebatte zu führen«, so Jarasch. Nicht zuletzt mit Blick auf die unzuverlässige Datenbasis wäre es »unseriös«, irgendwelche Zeitpläne für »Exit-Strategien« zu präsentieren. Jarasch sprach stattdessen durchaus wolkig von »Perspektiven«, über die man sich verständigen wolle.

Zunächst werden ab Samstag ohnehin erst einmal viele Berlinerinnen und Berliner mit Genesenen-Status in die Röhre schauen: Nicht ganz überraschend wird die Gültigkeitsdauer des Genesenen-Nachweises von sechs auf drei Monate herabgesetzt. Das heißt, für die Betreffenden gilt nun vielerorts mindestens eine Testpflicht, sofern sie nicht bereits eine Auffrischungsimpfung bekommen haben, was freilich selbst erst drei Monate nach einer Infektion empfohlen wird. Der Senat setzt mit der Fristverkürzung lediglich einen Bund-Länder-Beschluss um. Gesundheitssenatorin Gote zeigte sich dabei wenig begeistert über das vorangegangene Hickhack zu dieser Frage: »So darf es nicht mehr laufen«, sagte sie.

Klargestellt ist nun auch, wer künftig Anrecht auf einen kostenfreien PCR-Test hat. Nämlich grundsätzlich weiterhin alle. Da »eine signifikante Auswertung der PCR-Tests« aber nicht mehr möglich ist, wird es eine Priorisierung auf vulnerable Bereiche geben, inklusive pflegender Angehöriger. Wer nicht diesen Gruppen zugerechnet wird, »muss dann länger auf sein Ergebnis warten«, so Gote. Oder kann eben einen zertifizierten Antigen-Schnelltest machen. Der genügt nun auch, um eine Infektion nachzuweisen oder sich aus der auf fünf beziehungsweise sieben Tage verkürzten Isolation und Quarantäne freitesten zu lassen. »Da bin ich genauso auf der sicheren Seite wie mit einem PCR-Test«, versuchte sich die Grünen-Politikerin bezüglich der Schnelltestqualität in Optimismus.

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