- Berlin
- Corona und Schulen
Voller Lernspaß in vollen Klassen
Bildungsverwaltung macht Druck, um Befreiungen vom Präsenzunterricht an den Schulen gering zu halten
Mitten in den Ferien versandte Schreiben der Senatsbildungsverwaltung an die Berliner Schulleitungen haben schon häufiger für Irritationen gesorgt. Das ist bei der am Dienstag herausgeschickten Post nicht anders. Auf sechs Seiten erteilt das Haus von Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) hierin »ergänzende Hinweise«, wie die Schulen mit der in der vergangenen Woche verkündeten und bis Ende Februar geltenden Aussetzung der Präsenzpflicht umgehen sollen.
Wie berichtet, hatten Berliner Eltern mit Unterstützung der Linksfraktion wochenlang für die Befreiung der Schüler von der Anwesenheitspflicht vor Ort gekämpft. In den Ohren etlicher Familien, die nun auch von der Möglichkeit Gebrauch machen, klingen die am Dienstag herausgegebenen ergänzenden Hinweise dabei aber eher nach ergänzenden Schikanen.
Ein Elternvertreter aus Pankow, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, sagt, er habe sich vor allem über eine Passage aufgeregt. Hierin werden die Schulleitungen »dringend« gebeten, »die Schülerinnen und Schüler, die den Lernort Schule dringend benötigen, beziehungsweise ihre Sorgeberechtigten dahingehend zu beraten, möglichst weiter am Präsenzunterricht teilzunehmen«. Er lese das vor allem als Aufforderung an die Schulen, »jetzt hartnäckig die betroffenen Kinder zu bearbeiten«, um die Entscheidung der Eltern wieder rückgängig zu machen. »Offensichtlich war man in der Senatsverwaltung so erschrocken über den eigenen Schritt, dass man es nun besorgten Familien möglichst schwer machen will«, sagt der Vater zu »nd«.
Landeselternsprecher Norman Heise kritisiert zugleich die Regelung, dass das beantragte Fernbleiben vom Unterricht vor Ort nach den Winterferien auf dem Zeugnis unter der Rubrik Bemerkungen als »entschuldigte Fehlzeit« erfasst werden soll. »Das ist mir unangenehm aufgestoßen«, sagt Heise zu »nd«. Es sei schließlich immer wieder betont worden, dass den Schülern durch die Pandemie kein Nachteil entstehen soll. Ihm sei nicht klar, wie die Bildungsverwaltung das verhindern will, wenn beispielsweise Schulabgänger mit einem solchen Vermerk im Zeugnis auf Stellensuche gehen.
»Insgesamt schließt das an den Grundtenor an. Und ja, man könnte hier durchaus vom Druck auf Familien sprechen, ihre Kinder trotz Sorgen in die Schulen zu schicken«, so Heise weiter. Als Vorsitzender des Landeselternausschusses sitzt er auch im Hygienebeirat der Bildungsverwaltung, in dem am Montag über einen Entwurf des Rundschreibens gesprochen wurde. Heise sagt, er sei sich sicher: »Das Detail mit dem Zeugnisvermerk war in dem Entwurf noch nicht enthalten.«
Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) quittiert den Feriengruß von Bildungssenatorin Busse mit Kopfschütteln. »Ich frage mich ja, wie die Bildungsverwaltung sich das vorstellt, dass die Kolleginnen und Kollegen jetzt die betreffenden Schülerinnen und Schüler davon überzeugen sollen, doch in die Schule zu kommen«, sagt Berlins GEW-Chef Tom Erdmann zu »nd«. Das wirke alles »ziemlich hilflos« und werde erneut »mehr auf Frust als auf Verständnis« bei den Beschäftigten stoßen.
Die Gewerkschaft hält freilich ohnehin nichts von der Aussetzung der Präsenzpflicht. Die entsprechende Entscheidung der Bildungssenatorin von Montag vor einer Woche war dann auch dementsprechend scharf als »Höhepunkt eines desaströsen Krisenmanagements« attackiert worden. Und bei diesem Urteil bleibe man, so Erdmann: »Mit dem Aussetzen der Präsenzpflicht wird die Verantwortung nur auf die Lehrkräfte und Eltern abgewälzt.«
Zwar bekräftigt die Senatsverwaltung auch in ihrem ergänzenden Schreiben nochmals, dass die Schüler, die den vollen Klassenzimmern fernbleiben, keinen Anspruch auf Distanzunterricht haben, sondern lediglich Aufgaben zur Verfügung gestellt bekommen sollen, »die zu Hause auch erledigt werden müssen« - Fehlzeitvermerk im Zeugnis hin oder her. Aber: »Für viele Lehrkräfte entspricht es nicht ihrem hohen pädagogischen Anspruch, einfach nur Aufgaben abzuwerfen. Das ist also objektiv eine Mehrbelastung«, sagt Gewerkschafter Erdmann.
In der Bildungsverwaltung reagiert man sowohl auf die Kritik der Befürworter als auch der Gegner der temporären Lösung zur Präsenzpflicht gelassen. Bildungssenatorin Busse hatte schon Ende vergangener Woche darauf verwiesen, dass sich der Anteil der Schüler, die hiervon überhaupt Gebrauch machen, nach Auskunft der Bezirke ohnehin nur auf null bis drei Prozent belaufe. Ihr Sprecher Martin Klesmann spricht nun gegenüber »nd« mit Blick auf das jüngste Rundschreiben von einer »etwas strengeren Auslegung« der Regeln, »damit die Schulen nicht so viel umplanen müssen«.
Tatsächlich zielt ein Teil der neuen Auslegung darauf ab, einem erleichterten Schulschwänzen einen Riegel vorzuschieben. Beispielsweise wird klargestellt, dass eine »tage- oder stundenweise Inanspruchnahme« der Befreiung von der Präsenzpflicht nicht infrage komme. Der Aussetzungszeitraum müsse vielmehr »mindestens eine Schulwoche umfassen«.
Nun dürfte es eher selten vorkommen, dass Eltern eine stundenweise Befreiung in Erwägung ziehen, um etwa ihrem Kind ein leidiges Unterrichtsfach zu ersparen. Bei volljährigen Schülerinnen und Schülern, die sich die entsprechenden Bescheinigungen selbst ausstellen können, ist das vermutlich schon weniger auszuschließen. »In so einem vitalen Bereich wie der Berliner Bildungs- und Schullandschaft kommt eben alles vor«, erklärt Busses Sprecher Martin Klesmann.
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