- Politik
- Corona-Maßnahmen
Dänemark vorerst kein Vorbild
Die WHO sieht Europa vor einem Corona-»Endspiel«, die Regierung hält derweil weiter an Maßnahmen fest
So schnell kann es gehen: Noch vor wenigen Wochen standen Markus Söder und Winfried Kretschmann Seit’ an Seit’, um als Protagonisten des von Söder ausgerufenen »Teams Vorsicht« für strenge Maßnahmen und eine allgemeine Impfpflicht zu werben. Damals diktierte uns noch die Delta-Mutation, die viele schwere Verläufe verursachte, gegen die drei Impfungen aber ein gehöriges Maß an Schutz nicht nur gegen Tod und Krankenhausaufenthalte, sondern auch gegen symptomatische Infektionen bieten.
Mittlerweile aber regiert Omikron unter neuen Vorzeichen: Die Verbreitungsgeschwindigkeit hat sich deutlich erhöht, die Impfungen helfen nicht mehr so gut gegen Infektionen, aber die Verläufe sind milder geworden. Und: Mehr als 50 Prozent der Deutschen sind mittlerweile geboostert. Unter diesen Umständen haben sich der bayerische CSU-Ministerpräsident und sein baden-württembergischer Amtskollege von den Grünen ein gutes Stück voneinander entfernt. Während Söder vom »Team Vorsicht« zum »Team Augenmaß« wechselte, warnt Kretschmann vor einer verfrühten Exit-Strategie.
Abgesehen davon, dass Söders Imagewechsel bekanntermaßen recht sprunghaft erfolgen und nicht selten strategisch motiviert erscheinen, so stehen Bayern und Baden-Württemberg in diesen Tag stellvertretend für die zwei Seiten der Debatte: Braucht Deutschland jetzt einen Ausstiegsplan? Oder soll man damit lieber noch warten?
Scholz mahnt weiter zur Vorsicht
Europa steht laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) vor einem Corona-»Endspiel«. Drei Faktoren gäben dem Kontinent die Aussicht auf eine mögliche »Feuerpause« im Kampf gegen Sars-CoV-2, erklärte der WHO-Regionaldirektor für Europa, Hans Kluge, bei einer Online-Pressekonferenz in Kopenhagen am Donnerstag: die große Zahl verabreichter Impfungen und natürlicher Immunisierungen durch Omikron, das nahende Winterende sowie die geringere Krankheitsschwere der Variante.
Die Frage ist nun: Wie umgehen mit dieser Botschaft? Dänemark hat entschieden, Corona nicht länger als »gesellschaftskritische Krankheit« einzustufen. Seit Dienstag gelten im Nachbarland bis auf vereinzelte Einreiseregeln keine Einschränkungen mehr. Die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes gehört bis auf Weiteres ebenso der Vergangenheit an wie Nachweise über Impfungen, Genesungen und negativen Tests. Großveranstaltungen sind ebenso erlaubt wie der Besuch von Bars und Diskotheken.
Im Ausland wundert man sich zuweilen über die strengen Deutschen, während ein Teil der hiesigen Bevölkerung die Durchseuchung der Schulen beklagt. Fakt ist: Deutschland wird Dänemark vorerst nicht folgen. Nachdem er zuletzt schmerzlich vermisst worden war, tauchte Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwochabend im ZDF-»heute journal« auf und erklärte, die Voraussetzungen für Lockerungen seien noch nicht erfüllt: »Die Lage ist nicht danach.« Auch der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen mahnte bei »Maischberger« zur Vorsicht und nannte drei Kriterien, die erfüllt sein müssten, um Lockerungen zu gewährleisten: sinkende Hospitalisierungsrate, ausreichende Bettenverfügbarkeit in den Krankenhäusern und Personalverfügbarkeit im medizinischen Bereich.
Doch auch in den Reihen der Ampel-Koalition mehren sich die Stimmen, die auf Lockerungen drängen – diese kommen, wie erwartet, von der FDP. So hat sich Fraktionschef Christian Dürr dafür ausgesprochen, die derzeit bestehenden Kontaktbeschränkungen zu überprüfen. Auch der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat eine »konkrete Exit-Strategie« mit klar definierten Öffnungsschritten aus den Corona-Beschränkungen gefordert. Diese müsse bereits vorliegen, wenn Prognosen von Experten zutreffen und die Infektionszahlen Ende Februar wieder sinken.
Länder lockern, Inzidenz steigt
Als Grund gegen ein schnelles Ende der Corona-Maßnahmen wird häufig genannt: die im Vergleich zu Nachbarländern geringere Impfquote in Deutschland. Tatsächlich zeigen Studien, dass die Impfung auch unter Omikron sehr gut gegen schwere Verläufe schützt. Wären mehr Menschen geimpft, wäre die Krankenhaus-Auslastung geringer.
Manche Bundesländer setzen derweil bereits erste Lockerungen um. Nach dem angekündigten Aus der 2G-Regel im Einzelhandel in Schleswig-Holstein und Hessen zog Mecklenburg-Vorpommern am Donnerstag nach: Die als bundesweit einheitliche Schutzmaßnahme gedachte Regel werde immer mehr zum Flickenteppich und es drohe die Gefahr eines Einkaufstourismus, sagte Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD). Zugleich ist die Zahl der Corona-Neuinfektionen erneut auf einen Höchststand gestiegen: Die Gesundheitsämter meldeten nach RKI-Angaben von Donnerstagmorgen 236 120 Fälle in 24 Stunden, die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz stieg auf 1283,2 an.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.