- Sport
- Olympische Winterspiele in Peking
Nur eine Episode in der Geschichte der Boykotte
Etliche Länder schicken keine staatlichen Repräsentanten nach Peking. In der Vergangenheit diente Fernbleiben allerdings schon häufig als Mittel zum Protest
Viele Staatschefs der westlichen Welt werden der Eröffnungsfeier der Olympischen Winterspiele am Freitag in Peking fernbleiben. Angestoßen wurde dieser »diplomatische Boykott« von der US-Regierung. Viele ihrer wichtigsten Partner folgten, unter anderem Großbritannien, Kanada und Australien. In Deutschland aber vermeiden viele Spitzenpolitiker den Begriff Boykott, auch der neue Bundeskanzler Olaf Scholz.
Diese Diskussion ist eine weitere Etappe in der langen Geschichte von olympischen Boykotten. Die erste fand vor den Nazispielen in Berlin 1936 statt. Deutsche Intellektuelle, die im Exil in Frankreich lebten, gründeten ein olympiakritisches Netzwerk. In Großbritannien und Skandinavien fanden kleinere Kundgebungen statt. In den USA jedoch forderten Tausende Menschen auf Demonstrationen einen Boykott. Avery Brundage, damals Präsident des Nationalen Olympischen Komitees der USA und später Präsident des IOC, setzte die US-Teilnahme in Berlin durch. Nur Spanien blieb den Spielen in Berlin fern. Die linksgerichtete Regierung plante für Juli 1936 eine »Volksolympiade« in Barcelona als Protest gegen den Faschismus. 6000 Athleten aus 22 Ländern sagten ihre Teilnahme zu. Viele von ihnen stammten aus Gewerkschaften und kommunistischen Parteien. Doch dann putschte das Militär: der Beginn des Spanischen Bürgerkrieges - und das Ende der »Volksolympiade«.
20 Jahre später geriet die Olympische Bewegung noch stärker unter Druck. 1956 schlug die sowjetische Armee den Volksaufstand in Ungarn nieder. Dennoch durften Sportler der UdSSR wenige Tage später an den Spielen in Melbourne teilnehmen. Daraufhin sagten die Niederlande, Spanien und die Schweiz ihre Teilnahme ab. 1956 war auch das Jahr, in dem der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser den Suezkanal verstaatlicht hatte. Israel, Großbritannien und Frankreich marschierten in Ägypten ein, um den Schifffahrtskanal unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Sportler der Invasoren durften in Melbourne teilnehmen. Daraufhin verkündete Ägypten einen Boykott, dem sich der Irak, Kambodscha und der Libanon anschlossen.
Zu jener Zeit, wenige Jahre nach dem chinesischen Bürgerkrieg, wuchsen auch die Spannungen zwischen den Kommunisten in Peking und den Nationalisten in Taiwan. Beide Staaten wollten bei Olympia in Melbourne das »wahre China« repräsentieren. Die Volksrepublik wollte die Symbole Taiwans allerdings nicht anerkennen und boykottierte die Spiele 1956. Ihre Rückkehr auf die olympische Bühne erfolgte erst 1980, bei den Winterspielen im US-amerikanischen Lake Placid.
In den 60er Jahren stand dann die Apartheidpolitik im Zentrum von Boykottdebatten. Sportler aus Südafrika durften nicht mehr an Olympia teilnehmen und sollten international isoliert werden. 1976 brach das neuseeländische Rugbyteam diese Vereinbarung und reiste für Testspiele durch Südafrika. Dennoch durfte Neuseeland an den Olympischen Spielen 1976 in Montreal teilnehmen. Daraufhin erklärten mehr als 20 afrikanische Staaten einen Boykott.
Die wohl größte Kontroverse entstand jedoch wegen des Kalten Krieges. 1974 wurde Moskau zum Gastgeber der Sommerspiele 1980 ernannt. Schon kurz nach der Vergabe wollten einige Politiker in den USA die Teilnahme ihrer Sportler von der Menschenrechtslage abhängig machen. 1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein. Der amerikanische Präsident James Carter, der nach der Erstürmung der US-Botschaft in Teheran wenige Wochen zuvor stark in der Kritik stand, wollte nun Härte zeigen. Im Auftrag Carters warb auch Muhammad Ali in Afrika für einen Olympia-Boykott. Mehr als 40 Staaten blieben den Spielen von Moskau fern, auch die Bundesrepublik.
Doch damit war die Debatte noch lange nicht vorbei. Bereits etliche Jahre vor den Sommerspielen 1984 in Los Angeles forderten einige US-Politiker den Ausschluss der UdSSR. Im April 1984 verweigerte das US-Außenministerium einem sowjetischen Sportfunktionär mit KGB-Vergangenheit die Einreise. Es folgten Streitigkeiten um Transport- und Visaangelegenheiten. Die UdSSR, die lange auf einen sportlichen Triumph auf amerikanischem Boden gehofft hatte, verkündete im Mai 1984 den Boykott von Los Angeles. 18 weitere Länder boykottieren die Spiele, darunter die DDR. Nicht jedoch China, Jugoslawien und Rumänien.
Vor den Spielen 1988 in Seoul wollte das IOC die Ära der Boykotte hinter sich lassen. Allerdings unterhielten viele sozialistische Staaten keine diplomatischen Beziehungen zu Südkorea. Auch auf Anregung des kubanischen Staatschefs Fidel Castro bemühte sich Nordkorea um eine Beteiligung. Pjöngjang, das noch nicht so isoliert war wie heute, wünschte sich eine gesamtkoreanische Mannschaft und etliche Olympia-Wettbewerbe auf eigenem Territorium. Die Verhandlungen mit dem IOC scheiterten. Nordkorea boykottierte die Spiele 1988. Fünf Staaten schlossen sich an, unter anderem Kuba und Nicaragua.
Im noch jungen 21. Jahrhundert stand dann vor allem Russland im Zentrum von Boykottdiskussionen. Unter anderem wegen der Repression gegen zivilgesellschaftliche Gruppen und Medien. Die westlichen Staaten schickten 2014 ihre Sportler zu den Winterspielen nach Sotschi, doch etliche Staatschefs blieben fern, auch die Kanzlerin. Die Rede war von einem »diplomatischen Boykott«. Ein Begriff, der in den kommenden Wochen wieder oft zu hören sein wird.
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