Es rumort bei Klima-Aktivisten

HEISSE ZEITEN - Die Klimakolumne: Wie radikal muss die Bewegung sein?

  • Clara S. Thompson
  • Lesedauer: 3 Min.

»Die ›unübersehbare Radikalisierung‹ bei Fridays for Future« (»Welt«), »Protestforscher über Klimabewegung - Fenster offen in Richtung Radikalisierung« (Deutschlandfunk). So lesen sich in letzter Zeit vermehrt Schlagzeilen über die Klimabewegung. Über eine mögliche Radikalisierung der Bewegung wird heiß debattiert - in und außerhalb der Bewegung. Was steckt dahinter?

Der Hintergrund der Debatte ist klar: Wegen nach wie vor fehlender effektiver Klimaschutzmaßnahmen kommt bei Aktivist*innen und Wissenschaftler*innen, die sich seit Jahren für mehr Klimaschutz einsetzen, ein Gefühl der Desillusionierung auf. Die jüngste Entscheidung der EU, Gas und Atomkraft als nachhaltig einzustufen, wird als Provokation empfunden. Nun überlegen Aktivist*innen, wie es weitergehen kann.

Clara S. Thompson
Clara S. Thompson ist Mitgründerin des Bündnisses »Wald Statt Asphalt« und bei Fridays for Future aktiv.

»Never change a running system« (»Ändere niemals ein System, das funktioniert«), scheint die Faustformel zu sein, der Manager wie Tesla-Chef Elon Musk und VW-Geschäftsführer Herbert Diess folgen, die Milliarden mit dem Verkauf ihrer Autos machen. Ihr Ziel, Profite zu generieren, wird ohne größere Störungen von ihren Unternehmen erreicht - es gibt überhaupt keinen Anreiz, irgendetwas an diesen Abläufen zu ändern.

Dass es keinen Änderungsbedarf an Abläufen gibt, kann die Klimabewegung nicht für sich behaupten. Natürlich gab es in den letzten Jahren Erfolge und vor allem eine Bewusstseinsverschiebung Richtung Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit- aber im Gegensatz zu wirtschaftlichen Unternehmen ist der künftige Erfolg der Klimabewegung größtenteils abhängig von der Aufmerksamkeit, die sie erhält. Und nach drei Jahren Klimastreiks und Demonstrationen finden diese Aktionsformen nicht mehr das gleiche Interesse. Zeit also für neue Protestformen.

Die neue Bandbreite der Aktionsformen reicht von kürzlich in Mode gekommenen Waldbesetzungen bis hin zum Hungerstreik in Berlin, wie er vor der Bundestagswahl 2021 stattfand. Aber auch über friedliche Sabotage wird diskutiert - die Idee, in Zukunft nicht einfach nur die Kohlegrube zu besetzen, sondern noch eine entscheidende Schraube aus dem Bagger mitzunehmen, sodass die Maschine erst einmal nicht mehr läuft. Eine Aktionsform, die viele erfolgreiche soziale Bewegung des letzten Jahrhunderts, wie die Suffragetten-Bewegung, fest in ihrem Repertoire hatten.

Diese Idee der friedlichen Sabotage lässt die Pulsadern konservativer Redakteure bei »Welt«, »Bild« und Co. anschwellen. Alleine schon die Debatte darüber, welche Aktionsformen legitim sind, scheint bemerkenswert viel Ärger hervorzurufen. Dass Deutsche es nicht mögen, wenn Regeln gebrochen werden, ist spätestens seit dem Beginn der Schulstreiks durch Fridays for Future klar. Bei allem, was darüber hinaus geht, scheint der Spaß endgültig vorbei zu sein.

Die vermeintliche neue Radikalisierung der Klimabewegung wird aber nicht nur an der Aktionsform festgemacht. Auch inhaltlich meinen einige - wie Niedersachsens FDP-Chef Stefan Birkner -, Fridays for Future komme vom richtigen Weg ab. Die »System Change, not Climate Change«-Parole, die von vielen FFF-Gruppen gerufen wird, sei der Beweis, dass die Radikalisierung von FFF beginne, dass sie in Wirklichkeit den Staat stürzen wollten und von Linksextremisten unterwandert würden. So liest es sich zumindest auf der Info-Seite zur »Linksextremistischen Einflussnahme auf die Klimabewegung« der Bundeszentrale für politische Bildung.

Auch wenn es manchen enttäuschen mag: Radikalität heißt, etwas an der Wurzel zu packen. Wenn Radikalität in der Klimabewegung bedeutet, dass sie die Klimakrise an der Wurzel packen will, klingt das sinnvoll. Wenn Menschen nun zu klimaschädlichen Maschinen gehen und diese abschalten, wird das Problem der Klimaverschmutzung viel mehr an der Wurzel gepackt als bei einer Demo 50 Meter entfernt. Die Forderungen der Klimabewegung haben sich nicht plötzlich geändert. Um Klimagerechtigkeit ging es schon immer, auch wenn das manchem vielleicht erst jetzt bewusst wird.

Historisch gesehen gab es nur wenige soziale Bewegungen, die in den Forderungen so radikal und von den Mitteln her so moderat waren wie die Klimabewegung, was der Protestforscher Simon Teune bestätigt. Aktuell ist die Debatte um die Radikalisierung der Bewegung wohl mehr Schein als Sein.

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