Regional, saisonal, digital

Der Online-Bauernmarkt »Marktschwärmer« erfreut sich in Brandenburg wachsender Beliebtheit - bei Landwirten wie Verbrauchern

  • Maximilian Breitensträter
  • Lesedauer: 5 Min.
Landwirtin Anja Nagora auf ihrem Bauernhof.
Landwirtin Anja Nagora auf ihrem Bauernhof.

Dass sie einmal Vollzeit-Landwirtin werden würde, hätte sich Anja Nagora vor sechs Jahren nicht im Traum vorstellen können. Damals hatte die gelernte Biologisch-Technische Assistentin zusammen mit ihrem Freund Fabian Behrend gerade ein altes Bauernhaus mit etwas Land im Ortsteil Göhlsdorf der Gemeinde Kloster Lehnin (Potsdam-Mittelmark) gekauft. »Unser Plan war, das Haus herzurichten und dort zu wohnen. Nebenbei wollten wir ein paar Hühner halten und Obst und Gemüse für unseren Eigenbedarf anbauen«, sagt die 42-jährige, die selbst aus dem nahen Werder (Havel) stammt.

Doch schnell hatten Nagora und Behrend Freude an den frischen, eigens herangezogenen Salaten und Gemüsesorten gefunden. Die Mengen wurden für den Eigenverbrauch und die Arbeit als reine Nebentätigkeit zu groß. Also machte sich das Paar 2019 mit seinem Göhlsdorfer Hof und insgesamt 14 Hektar landwirtschaftlicher Fläche als zertifizierter Bioland-Betrieb selbstständig. Ihre Stelle in einem veterinärmedizinischen Labor gab Anja Nagora dafür gern auf. »Das Arbeiten an der frischen Luft für ökologische, gesunde Lebensmittel ist einfach herrlich«, sagt sie. Die Erzeugnispalette der Göhlsdorfer reicht je nach Saison von Kartoffeln, Tomaten und Gurken über Freiland-Eier bis hin zu Fruchtsäften und Marmelade.

Bestellung auf der Webseite oder per App

Doch für das bäuerliche Glück müssen auch die Finanzen stimmen. Da der direkte Verkauf am Hof und in der Umgebung nicht den gewünschten Umsatz brachte, mussten die Landwirte wider Willen über andere Absatzmöglichkeiten nachdenken. Die großen Supermarktketten waren keine Alternative. »Als kleinbäuerlicher Öko-Betrieb mit geringer Produktionsmenge hast du bei den Discountern und großen Ketten keine Chancen zu überleben«, sagt Anja Nagora.

Über eine befreundete Landwirtin lernten sie und ihr Mann 2020 die »Marktschwärmer« kennen: eine Online-Plattform für den Direktverkauf von ökologisch produzierten Lebensmitteln, die unabhängig vom Einzelhandel kleinere und mittlere Erzeuger*innen direkt mit Verbraucher*innen vernetzt. Das Prinzip des 2011 in Frankreich unter dem Titel »La Ruche qui dit Oui« (zu Deutsch: Der Bienenkorb, der Ja sagt) gegründeten Start-ups ist simpel: Verbraucher*innen suchen sich auf der Webseite oder in einer App Lebensmittel aus ihrer Region aus, bezahlen sie digital und holen sie einmal in der Woche zu einer verabredeten Zeit und an einem festgelegten Ort ab.

Dieser Ort ist der Marktplatz, »Schwärmerei« genannt. Doch anders als bei einem herkömmlichen Markt bringen die Landwirt*innen hier nur die Lebensmittel mit, die vorher online schon gekauft wurden. Seit 2014 gibt es das Konzept auch in Deutschland, seit 2017 getragen von der Equanum GmbH mit Sitz in Berlin-Friedrichshain unter dem Label »Marktschwärmer«.

Weniger Lebensmittelverschwendung

Anja Nagora ist von dem Prinzip begeistert: »Den Direktverkauf, der uns als kleinen Betrieb mit den Verbraucherinnen und Verbrauchern jenseits der großen Märkte zusammenbringt und dabei auch noch die Verschwendung von Lebensmitteln verhindert, finde ich eine super Sache.« In der Potsdamer »Schwärmerei« haben sich die Göhlsdorfer mit ihren Produkten inzwischen fest etabliert.

Seit September vergangenen Jahres haben Anja Nagora und Fabian Behrend außerdem ihre eigene regionale »Schwärmerei« im 30 Kilometer entfernten Brandenburg an der Havel ins Leben gerufen. Als sogenannte Gastgeber der »Schwärmerei« in der Stadt werden die beiden Landwirt*innen mit 8,35 Prozent am Umsatz beteiligt. Davon soll unter anderem die Miete für den Laden in der Brandenburger Altstadt bezahlt werden, wo die Kund*innen ihre bestellten Lebensmittel jeden Mittwoch abholen können.

»Wenn wir uns auf einen normalen Wochenmarkt stellen, wissen wir nie, was wir am Ende verkaufen und was wir wegwerfen müssen«, sagt Behrend. Durch die Online-Bestellungen weiß er dagegen genau, wie viele Salate er vom Feld pflücken und wie viele Eier er in der Woche mitbringen muss. »Das Prinzip der ›Marktschwärmer‹ setzt auf regionale Lebensmittelerzeugung und kurze Transportwege«, erklärt der Landwirt. »Das Ganze stärkt uns Öko-Kleinbauern.«

Auch in der Havelstadt selbst ist die »Schwärmerei« inzwischen beliebt, rund 300 Mitglieder und 13 Erzeuger*innen machen mit. Im Land Brandenburg gibt es insgesamt schon zehn »Schwärmereien«, in Berlin 28. Bundesweit sind es nach Angaben von »Marktschwärmer« inzwischen knapp 150 regionale Vertriebsnetzwerke, weitere sind im Aufbau.

Bislang kein großes regionales Angebot

Vincent Bartolain ist für die noch junge »Schwärmerei« in Brandenburg an der Havel dankbar. Der 21-Jährige wohnt im Umland und ist Kreisvorsitzender der Grünen in der Stadt. »In der Stadt Brandenburg war es ohne die Schwärmerei bisher sehr kompliziert, an regionale Biolebensmittel zu kommen«, sagt er. Die großen Bio-Supermarktketten gibt es hier nicht, lediglich ein einziges Reformhaus hat ein kleines Angebot. »Viele Leute sind inzwischen bereit, etwas mehr für gute Lebensmittel auszugeben, die nachhaltig und lokal hergestellt werden«, sagt Bartolain. »Das hat auch mit dem wachsenden Bewusstsein zu tun, dass wir wirklich etwas gegen die Klimakrise tun müssen.«

Verbraucher*innen zahlen gern mehr

Tatsächlich gibt das Bundeszentrum für Ernährung an, dass rund zwei Drittel aller Verbraucher*innen in Deutschland Produkte aus ihrer eigenen Umgebung bevorzugen - und dafür auch bereit sind, mehr Geld auszugeben.

Das »Marktschwärmer«-Konzept ist aus Sicht von Vincent Bartolain auch deshalb so erfolgreich, weil es mit dem Online-Verkauf die Bedürfnisse einer immer größer werdenden Verbraucher*innengruppe bedient. »Es ist easy mit dem Smartphone gemacht, du gehst kein Abo ein, und es gibt auch keine Mindestbestellmenge«, sagt der junge Grünen-Politiker.

Für die beiden Landwirt*innen vom Göhlsdorfer Hof war der »Marktschwärmer« ein Glücksgriff. »Ohne das Netzwerk hätten wir unseren kleinen Betrieb wohl nicht halten können«, sagt Anja Nagora. Derzeit denken sie darüber nach, ihre landwirtschaftliche Fläche zu erweitern und außerdem Rinder zu halten.

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