In allerletzter Minute

Die Abschiebung des Kurden Heybet Şener konnte verhindert werden. Die Abschiebepolitik deutscher Behörden ändert das nicht

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

In Bayern wurde am Freitag die Abschiebung von Heybet Şener verhindert. Der 31-jährige Kurde lebt seit 2018 in München. Am Mittwoch wollte er bei einem Termin im Landratsamt Erding seine Aufenthaltsduldung verlängern. Stattdessen wurde er in Abschiebehaft genommen und sollte am Freitag in die Türkei abgeschoben werden. Das Landesamt für Asyl und Rückführungen begründete die Aussetzung der Abschiebung gegenüber der »Süddeutschen Zeitung« damit, dass nach einer medizinischen Untersuchung ein Arzt »Zweifel an der Reisefähigkeit des Herrn Şener« bekommen habe. Şener war nach seiner Festnahme am Mittwoch in Hungerstreik getreten.

Der Unterstützer Kerem Schamberger schreibt auf Twitter: »Die Abschiebung von Heybet Şener konnte wirklich in allerletzter Minute verhindert werden. Ohne den Druck von Dutzenden Personen am Flughafenschalter, von Abgeordneten, von Geistlichen, von Hunderten ganz normalen Menschen, wäre das nicht möglich gewesen.« Ein Grund für die ausgesetzte Abschiebung sei gewesen, dass ein Arzt sich geweigert hatte, bei Şener gegen seinen Willen auf das Coronavirus zu testen.

Der Anwalt des Kurden prüfe nun, ob es möglich sei, einen zweiten Asylantrag zu stellen. Ein früher Antrag war abgelehnt worden. Die Behörde habe dies mit rechtsstaatlichen Standards begründet, die angeblich in der Türkei eingehalten würden, teilte der Rechtshilfefonds Azadî mit, der auf den Fall aufmerksam machte. Den Angaben des Vereins zufolge war Heybet Şener im Zuge politisch motivierter Strafverfahren in der Türkei zu mehr als acht Jahren Haft verurteilt worden und bereits in Polizeigewahrsam gefoltert worden. Grund für seine Flucht nach Deutschland sei ein weiteres drohendes Verfahren wegen regierungskritischer Äußerungen in Sozialen Medien gewesen. Ihm werde »Terrorismus« und »Beleidigung des Staatspräsidenten« vorgeworfen. Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation Amnesty International missbrauchen türkische Behörden Ermittlungsverfahren und Strafverfolgungsmaßnahmen, um Andersdenkende zum Schweigen zu bringen.

Lesen Sie auch: Im Zweifel gegen die Betroffenen. Herr C. lebt seit fünf Jahren in Deutschland, spricht Deutsch und ist mit einem Mann verheiratet. Die Ausländerbehörde Magdeburg will ihn in die Türkei abschieben.

Die bayrische Behörde wollte ihn trotzdem abschieben. Şener ist damit nicht der einzige. Schamberger sagt zu »nd«: »Die verhinderte Abschiebung war ein Erfolg. Aber das ist nur die Spitze des Eisbergs der brutalen und menschenverachtenden Abschiebepolitik in Deutschland.« Ihn hätten in der Folge zahlreiche Kurd*innen kontaktiert, die in die Türkei abgeschoben werden sollen, wo ihnen ebenfalls Inhaftierung drohen könnte. In Magdeburg droht dem schwulen Kurden C. die Ausweisung in die Türkei (»nd« berichtete am 3.2.). In Baden-Württemberg sitzt derzeit der Kurde Muhammed Tunc in Abschiebehaft. Er hat nach Infos von Unterstützer*innen sein ganzes Leben hier verbracht.

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